Wohin marschiert das Heer?
Fehlende Ausrüstung, keine gepanzerten Fahrzeuge, fälliges Eurofighter-Update. Der Verteidigungsminister richtet einen dramatischen Appell an die nächste Regierung. Er fordert mehr Geld und eine Verlängerung des Grundwehrdienstes.
Die 132-seitige Hochglanzbroschüre des Bundesheeres ist druckfrisch und sieht auf den ersten Blick wie ein Werbeheft aus. Doch der Inhalt ist brisant. Detailliert haben die Experten des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs in dem Zustandsbericht aufgelistet, woran es bei der Truppe wegen der klaffenden Budgetlücke fehlt. „Wir gehen aufgrund der Budgetsituation ein hohes Grundrisiko ein“, sagte Verteidigungsminister Thomas Starlinger dazu. Man könne den flächendeckenden Schutz der österreichischen Bevölkerung nicht mehr gewährleisten. In zehn Jahren werden die militärischen Fähigkeiten auf null Prozent runtergefahren sein. „Ich hoffe, dass der Bericht einen erhellenden Effekt auf die Politik hat“, sagte Starlinger. Er fordert eine Budgeterhöhung im kommenden Jahr von derzeit 2,2 auf 3,1 Milliarden Euro und eine schrittweise Anhebung der Verteidigungsmittel auf ein Prozent des BIP bis 2030. In der EU liegen die Militärbudgets im Schnitt bei 1,4 Prozent des BIP, aber man sei realistisch, sagte Starlinger. Bedrohung Realistisch sei man auch bei den Bedrohungsszenarien gewesen. Diese umfassen laut dem Bericht in den kommenden Jahrzehnten für Europa hybride Angriffe (etwa die Kombination aus Terroranschlägen und Computerangriffen), groß angelegte Terrorangriffe und Extremereignisse. Darunter versteht man Massenmigration, Black-outs oder Naturkatastrophen. So forderte Starlinger vor allem mehr Mittel, um sogenannte Schutzoperationen durchführen zu können. Damit ist der Schutz kritischer Infrastruktur zum Beispiel nach einem großräumigen Stromausfall, hervorgerufen etwa durch einen Hackerangriff, gemeint. Bei der derzeitigen Budgetsituation kann man laut Bericht einem solchen Angriff nur noch bis zum Jahr 2030 entgegenwirken. Für die eigentlich verfassungskonforme Aufgabe des Heeres, die wirkliche Landesverteidigung etwa nach dem Einmarsch einer fremden Armee, bräuchte man noch viel mehr Geld. Doch hybride Bedrohungen seien derzeit die größte realistische Bedrohung im europäischen Raum. Ausrüstung Der Investitionsrückstau beim Heer beträgt stolze 16,2 Milliarden Euro. Dieses Geld braucht es, um das Militär bei Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät auf den Wunschzustand zu bringen. Allein für leichte gepanzerte Fahrzeuge benötigt man sechs Milliarden Euro. Die Luftstreitkräfte brauchen inklusive Abfangjäger-Update 2,2 Milliarden Euro. Werden die Abfangjäger keinem Upgrade unterzogen, hat dies zur Folge, dass die Flugzeuge nur am Tag Ziele identifizieren können, da keine Nachtsichtfähigkeit gegeben ist. Unverzüglich sei außerdem eine prinzipielle Entscheidung über die Zukunft der Luftraumüberwachung und der Eurofighter zu treffen. „Erfolgt keine rechtzeitige Bereitstellung von Mitteln, so werden bereits in den nächsten Jahren verschiedene Systeme des Bundesheeres ohne Ersatz ausgeschieden, wodurch die Streitkräfte weiter Fähigkeiten verlieren werden“, warnen die Experten. Dazu zählen etwa der fehlende Schutz der Soldaten, unzureichende Luftraumüberwachung, fehlende Luftabwehr vom Boden aus, fehlende Cyberverteidigung und fehlende Fähigkeit bei der Abwehr von atomaren, biologischen oder chemischen Kampfstoffen. „Ich finde es verantwortungslos und unmoralisch, Soldaten ohne Ausrüstung in Einsätze zu schicken“, erklärte der Minister.
„Eine ganz große Baustelle ist auch die Drohnenabwehr“, sagte der Verteidigungsminister. Von den 300 Schutzobjekten, die als kritische Infrastruktur im Krisenfall geschützt werden müssten, könnte man mit der derzeitigen Ausrüstung nur „ein halbes Objekt“vor Drohnenangriffen bewahren. Grundwehrdienst Neben dem Ruf nach mehr Geld und der Warnung vor dem unzureichenden Schutz fordert der Verteidigungsminister eine Aufstockung des sechsmonatigen Grundwehrdiensts auf acht Monate inklusive zusätzlicher verpflichtender Milizübungen. Sechs Monate seien für eine militärische Ausbildung einfach zu kurz, um daraus auch einen Nutzen zu ziehen.
„Ein Polizeischüler darf nach 13 Monaten maximal auf Streife mitgehen, bei uns er muss nach sechs Monaten im Krisenfall einen Checkpoint bewachen oder auf Patrouille gehen“, kritisierte der Übergangsminister am Dienstag.
In dem Bericht wird außerdem die Stärkung der Miliz, etwa durch bessere Ausrüstung und mehr Übungen, gefordert. Das Bundesheer plagen prinzipiell neben finanziellen Sorgen auch starke Personalabgänge. Aufgrund von Pensionierungen werden bis zum Jahr 2030 etwa 8300 Personen das Bundesheer verlassen. Die Zahl der Grundwehrdiener stabilisiert sich nach einem Rückgang in den vergangenen Jahren jetzt auf etwa 17.500 jährlich. Die Österreichische Sicherheitsstrategie gibt einen Gesamtrahmen von 55.000 Soldaten vor. Daraus ergibt sich laut Bericht ein Bedarf von 24.000 Berufssoldaten und Zivilbediensteten zusätzlich. In der Miliz sieht man die Aufstockung der Berufssoldaten unter der Hand kritisch. Immerhin sei das österreichische Heer gemäß Verfassung ein Milizheer. Einsparungen Was passiert, wenn es nicht mehr Geld gibt? Laut Bericht können dann Katastrophenhilfe, Schutzoperationen, Assistenzeinsätze bis spätestens 2030 nicht mehr abgedeckt werden. Fehlt weiterhin Geld, könnte man als ersten Schritt etwa den Flugbetrieb beim Bundesheer einstellen, auch die Hilfe des Bundesheeres bei Veranstaltungen – wie die Pistenpräparierung bei Skiveranstaltungen – müsse man einstellen, auch die Ausbildungen würde man zurückfahren.
„Die Soldaten sind dann zum Daumendrehen verdammt“, sagt der Minister.