Wie Technologie Barrieren einreißen kann
Einhandtastatur oder Übersetzer in Gebärdensprache: Mehrere Neuentwicklungen aus Österreich adressieren Menschen mit Behinderungen. Eine soll gar das Leben aller Büroarbeiter reformieren.
WIEN. Anzug, Hemd, Krawatte – sogar die Aufmachung des Avatars war dem Anlass entsprechend. Als Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Mai per Videobotschaft den Wiener Diversity Ball eröffnete, wurden seinen Grußworte von einer kleinen Figur am Bildrand in Gebärdensprache übersetzt. „Hätten wir den Avatar wie Van der Bellen gestaltet, hätte es wie eine Karikatur gewirkt. Also haben wir ihn zumindest passend gekleidet“, schildert Georg Tschare. Der Kärntner ist Geschäftsführer von Sign Time, die SiMAX entwickelt hat – eine Software zur Übersetzung von geschriebenem Text in 3D-animierte Gebärdensprache. „Ein Kunde schickt einen Text, die Software legt ihn auf einen Avatar um, ein Mensch bessert nach – und dann schicken wir das Video zurück.“
SiMAX ist beileibe nicht die einzige technologische Innovation aus Österreich, die Menschen mit Behinderungen adressiert. Ein Impuls dafür ist etwa der Ideenwettbewerb Unikate, veranstaltet vom heimischen Behindertenrat. „Für eine
Person mit Behinderungen entwickeln Schüler und Studenten eine Innovation, die die gesellschaftliche Teilhabe fördert, ermöglicht oder verbessert“, schildert Emil Benesch, beim Rat für inklusive Planungsprozesse zuständig. Zu den Entwicklungen gehört etwa eine einhändige Tastatur für Blindenschrift. Oder eine Steuerung, die all jenen, die im fortgeschrittenen Stadium an der Nervenkrankheit ALS leiden, ermöglicht, einen PC mittels Muskelaktivitäten zu steuern. Oder die Einhandtastatur Tipy von Matthaeus Drory. „Die Tastatur ist so ausgelegt, dass man alles, was man am Computer machen kann, genauso schnell mit einer Hand erledigen kann.“Dafür wurden die Tasten so angeordnet, dass die gängigsten Kombinationen unmittelbar nebeneinanderliegen. Dreht man die Tastatur um, kann sie auch ein Linkshänder nutzen. „Die QWERTZ-Belegung herkömmlicher Tastaturen wurde 1870 entwickelt – und zwar bewusst umständlich, damit sich die Hebel der Schreibmaschinen nicht verhaken.“Dazu kämen Befehle aus dem Frühstadium des IT-Zeitalters. „Sagen Sie mal einem Menschen mit nur einer Hand, dass er einen PC mit drei Tasten (Strg, Alt, Entf, Anm.) sperren muss. Das ist verrückt.“Drory macht keinen Hehl daraus, dass er mit seiner rund 190 Euro teuren Tastatur auch Menschen ohne Behinderungen
ansprechen will. „50 Prozent unserer Kunden sind Programmierer, Architekten etc., die die zweite Hand für einen Digitalstift oder eine Maus frei haben wollen. Wir wollen für alle die Standardtastatur auf dem Markt werden.“Es gibt aber auch Kritik an den Innovationen – etwa an den Gebärdensprache-Avataren von SiMAX. „Die Community ist durchaus gespalten“, schildert Petra Navara vom Österreichischen Gehörlosenbund. An den Avataren werde etwa kritisiert, dass diese gehörlosen Dolmetschern die Jobs wegnehmen könnten. Georg Tschare wehrt sich gegen die Kritik: Durch die Software würden auch Berufe geschaffen. „Allein für uns arbeiten sechs gehörlose Menschen.“Emil Benesch will SiMAX nicht bewerten. Er gibt hingegen eine allgemeine Regel vor. „Menschen mit Behinderungen wollen keine Sonderlösung.“Sie wünschten sich vielmehr Geräte, die für alle entwickelt worden seien. „Man will weder ein Held sein noch diskriminiert werden – sondern teilhaben wie jeder andere auch.“