Wer bremst den Tourismus?
Der Tourismus wächst ins Grenzenlose. So weit die Annahme in Zeiten des Overtourism. Experten aber gehen von einem Abschwächen der starken Zuwächse aus. Gründe dafür seien Brexit, Trump und Greta.
Für Optimismus fühlte sich anlässlich des größten Reisetreffs der westlichen Hemisphäre der wahlkämpfende Regierungschef Boris Johnson zuständig. Seit er vor zehn Jahren erstmals den World Travel Market (WTM) eröffnet habe, habe sich London zur weltgrößten Tourismusdestination entwickelt, erklärte der britische Premier. Und wenn sich die Wege zwischen dem Königreich und Europa getrennt hätten, stünden auch dem britischen Tourismus goldene Zeiten bevor.
Zwar bezeichnete wenige Minuten später seine Tourismus-Staatssekretärin Nicky Morgan den Brexit als für die Industrie problematisch, „aber wir werden unsere Grenzen für unsere Besucher visafrei weit offen halten“.
Wenn der EU-Austritt Großbritanniens – wie es derzeit der Plan ist – Ende Jänner 2020 passiert, dann ist es gerade für Österreich zur Halbzeit der Wintersaison nicht ideal. Martina Jamnig, Leiterin der Außenstelle der Österreich Werbung (ÖW) in London, bleibt dennoch gelassen. Es werde, meint sie, „wenig zu bemerken sein“. Bei den Briten liegt Österreich als beliebteste Winterdestination auf Platz zwei.
Beim Branchentreff in London dominierten allerdings die Commonwealth-Staaten wie Indien, Reisemächte wie die USA und China sowie Afrika und Fernost. Während Osteuropa mit großen Ständen auf sich aufmerksam macht, scheinen sich die EU-Länder schon ein wenig verabschiedet zu haben. In einer originellen Kombination teilten sich etwa die Niederlande und die Schweiz einen Stand.
So wie Deutschland im Vorjahr hat sich auch die Österreich Werbung von der Messe verabschiedet. „Wir haben im Vorjahr evaluiert und entsprechend unserer Markenstrategie entschieden, nicht mehr am WTM zu sein. Wir ziehen uns aber keineswegs vom wichtigen britischen Markt zurück“, betont Jamnig. Optisch ansprechend hält ein Häufchen Aufrechter die Stellung. Salzburg und Tirol sind eher stark vertreten, andere Bundesländer gar nicht. Doch ÖWRückzug und Brexit schmerzen wenig, wenn Produkt und Kontakte stimmen. „Business as usual“, verkündet Sarah Herzl von Panorama Tours Salzburg im Namen der meisten ihrer Kollegen. „Sound of Music“bleibt ein Gassenhauer.
Mit der Megapleite des Reiseveranstalters Thomas Cook gab es einen weiteren touristischen Schlag, der sich auf Österreich allerdings nur wenig auswirken dürfte. Gerade im Skigeschäft spielte der Veranstalter kaum eine Rolle, die Charterkapazitäten von Inghams nach Westösterreich wurden von anderen übernommen. Und die Sommerbuchungen werden wohl erst nach dem Brexit einsetzen.
Österreich ist verglichen mit Spanien eine Nebenfront. Dort wurden unmittelbar nach der Pleite bis zu 50 Prozent Rückgänge vom britischen Markt verzeichnet. Wachstum erwartet aber auch die ÖW unter diesen Voraussetzungen nicht. Ob Brexit oder Cook für die aktuelle Zurückhaltung der Engländer verantwortlich ist, vermag niemand zu sagen. Fakt ist, rund ein Drittel der Briten wartet derzeit erst einmal ab, wenn es um Buchungen geht.
Oxford-Economics-Chef David Goodger nannte konkrete Brexit-Zahlen. Der neue Johnson-Deal sei für die britische Wirtschaft schlechter als der von Theresa May. Statt um zwei reduziere er das Bruttonationalprodukt um 3,1 Prozent. In unterschiedlichem Ausmaß werde der britische Tourismus in die EU-Staaten um bis zu acht Prozent zurückgehen. Spanien und Frankreich werden es am meisten spüren. Allerdings gehen Goodgers Berechnungen vom No-Deal-Brexit aus.
Dem gegenüber hat Caroline Bremner für den Euromonitor International schon seit mehreren Jahren unterschiedliche Varianten berechnet, etwa für den Fall eines anschließenden Freihandelsabkommens. Offen sei, sagt sie, wie viel vom aktuellen Zwei-Prozent-Minus an Auslandsreisen schon auf den dann doch nicht eingetroffenen Brexit zurückzuführen sei. Insgesamt 20 Faktoren fließen in die Brexit-Prognosen ein, Währung und Rezession seien nur zwei davon. Ob eine schwächere Währung automatisch einen Ansturm auf die Insel bringen wird, bezweifeln die Analysten. Der Stand von 2017 werde frühestens 2021 wieder erreicht werden und nur unter der Voraussetzung friktionsfreier Einreise.
Sicherer kann sich Bremner in der globalen Prognose sein. Denn die aktuellen Diskussionen beträfen „nur“Europa, der Wachstumsmotor Asien funktioniere weiter. Zumindest solange die chinesischen Fluglinien in den Aufbau von Strecken nach Europa investieren. Um 3,3 Prozent pro Jahr werden die weltweiten Reiseumsätze auch weiterhin steigen und 2024 weltweit drei Billionen US-Dollar erreichen. Entscheidend dafür sei die Neugier der Menschen.
43 Prozent bevorzugen heute Erlebnisse gegenüber Dingen, gleich 78 Prozent geben Geld bevorzugt für Erfahrungen abseits der Virtualität aus („real world experiences“). Wobei Bremner den „Greta-Effekt“als bremsend sieht. Dieser habe in Skandinavien schon konkret zu Flugabsenz geführt, sei aber durchaus auch weltweit ein Thema. Die Angst vor dem Klimawandel ist in Lateinamerika am größten, dann folgen Europa, USA und Asien fast gleichauf. Die geringsten Sorgen machen sich die Menschen demnach in Nahost und Afrika.
Doch selbst Flugscham könnte das touristische Wachstum bestenfalls punktuell einbremsen. Ohnehin führten wirtschaftsnahe Experten die Rückgänge bei den Flügen in Skandinavien eher auf die neue Flugsteuer zurück. Ebenso sei es eher das sinkende Wirtschaftswachstum, das bremse, als schlechtes Gewissen. Bremner erwartet, Trumps Handelskrieg könnte den US-Tourismus bis zu zehn Millionen Touristen kosten. Schon jetzt bleiben chinesische Gäste aus. An der globalen Reiselust wird all das insgesamt aber wenig ändern. Sowohl in absoluten Zahlen als auch beim Wachstum werde bis 2024 der innerstaatliche Reiseverkehr den grenzüberschreitenden übertreffen.
„Sound of Music“bleibt bei den Briten ein Gassenhauer.
Sarah Herzl,
Panorama Tours