So kann es nicht weitergehen! Oder?
Der Gottseibeiuns der Ökonomen. Christian Felber versteht sich als Wirtschaftsreformer. Jetzt übt er radikale Kritik an unserem alten Modell. Einfach, weil er es für moralisch bankrott hält.
In seinem neuen Buch „This is not Economy“legt sich Christian Felber mit der etablierten Wirtschaftswissenschaft an. Zuvor hat er als Vordenker einer GemeinwohlWirtschaft Aufsehen erregt.
SN: Können Sie nachvollziehen, dass etablierte Wirtschaftswissenschafter empört sind über Ihre Kritik, sie hätten jahrzehntelang einen falschen Zugang gehabt?
Christian Felber:
Voll und ganz. Das ist das Schlimmstmögliche, wenn man dir sagt, du hast nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit erkannt und so ein großes Problem mitverursacht. Wir brauchen einen viel breiteren Blickwinkel, um die aktuellen Probleme lösen zu können. Entweder hat man die Größe einzubekennen, dass man sich verirrt hat, oder man reagiert mit Abwehr. Andererseits handelt es sich hier nicht um Einzelpersonen, sondern um die wissenschaftliche Community, ein Denkkollektiv. Hier hat eine Sozialwissenschaft in der Selbstreflexion nachgelassen. Das ist Teil des Problems, dass sich die Wirtschaftswissenschaft als Naturwissenschaft betrachtet, seit sie sich von der viel breiteren politischen Ökonomie eines Adam Smith verengt hat auf die reine Ökonomik. Adam Smith war Philosoph und Moralphilosoph.
SN: Sie bezeichnen das vorherrschende Wirtschaftsmodell als „ideologisches Glaubenssystem“. Warum?
Ich nenne es fundamentalistisch, weil es auf Werten beharrt, die in keiner demokratischen Verfassung stehen, wie Eigennutzmaximierung, Konkurrenzorientierung, Streben nach finanziellen Zielen, Materialismus und Wachstum. Solche Werte in Anführungszeichen widersprechen unseren demokratischen Grundwerten. Gleichzeitig behaupten sie, wertfrei zu sein. Das ist Erkennungsmerkmal einer Ideologie: Ich verbreite ein Glaubenssystem, das auf einem Wertesystem basiert, und sage, es ist wertfrei, unpolitisch und unideologisch.
SN: Wie konnte es dazu kommen?
Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Zunächst die Illusion und Euphorie, genauso wissenschaftlich zu sein wie die Physik. Diesen Ehrgeiz hatte nur eine Strömung unter den Wirtschaftswissenschaften. Die politischen Ökonomen waren ja mehr Philosophen als Physiker oder reine Ökonomen, sie verstanden sich als Gesellschaftswissenschafter. Da gab es einen Machtkampf, welche Strömung sich durchsetzt. Die Neoklassiker haben gesagt, wir sind Wissenschafter, weil wir Zahlen untersuchen, und ihr seid Politiker, weil ihr die Gesellschaft nach euren Wertvorstellungen in ein politisches Korsett zwängen wollt. Davon haben sie sich so radikal abgegrenzt, dass sie übersehen haben, dass sie selbst ein radikales zahlenbasiertes Wertesystem etabliert haben.
SN: Demnach wäre also jede Art von Wirtschaften politisch?
Es geht nicht anders. Wirtschaft beruht auf Wertentscheidungen und somit einem Wertesystem. Wenn ich sage, es soll bestimmte Märkte geben, Eigennutzen ermutige und Erfolg am Bruttoinlandsprodukt messe, sind das lauter Wertentscheidungen. Kurios ist, dass andere Disziplinen wie die Physik mittlerweile wissen, dass es eine objektive und wertfreie Wissenschaft gar nicht gibt. Aber die Neoklassik als eine von 20 Theorieschulen der Wirtschaftswissenschaft stellt sich dar, als wäre sie die einzige und zugleich tut sie so, als wäre sie wertfrei. Ein Hinweis, dass es mehr ist als ein kollektiver Irrtum. Es ist die Legitimation eines bestimmten politischen Wirtschaftsverständnisses, nämlich des kollektiven globalisierten Kapitalismus. Das erklärt, dass sie alle Irrtümer gleichzeitig begehen, die ich die „25 Todsünden“nenne.
SN: Warum ist das Interesse an neuen Modellen des Wirtschaftens so groß?
Globale Probleme wie der Klimawandel, das Artensterben, Umwelt- und Verteilungsprobleme oder das Zerreißen des sozialen Zusammenhalts werden durch die derzeitige Wirtschaftsform mitverursacht. Darum ist jetzt ein logischer Zeitpunkt, um da gründlicher hinzuschauen. Das zeigen auch Protestbewegungen und politische und soziale Verwerfungen wie Pegida, die Gelbwesten, Trump oder der Brexit. Die Gleichgewichtstheorie gefährdet sämtliche sozialen und ökologischen Gleichgewichte, weil sie nicht mit der Realität arbeitet, sondern mit Elfenbeinturm-Annahmen.
SN: Für Ihre Vorschläge zur Gemeinwohlwirtschaft erhielten Sie Lob, wurden aber auch als Fantast und Kommunist bezeichnet. Ihre Reaktion?
Die Gemeinwohlökonomie funktioniert. Ich habe gerade die 63. Regionalgruppe in Deutschland gegründet, im vollen Audimax der Uni Flensburg. Die Bewegung ist bisher in 30 Staaten aktiv, es gibt 250 Regionalgruppen mit Tausenden Menschen, die sich engagieren, von Schweden bis zu den Philippinen. Das Konzept entspricht viel mehr den Werten der großen Mehrheit der Menschen und es funktioniert, wie empirische Studien bestätigen. Wer sagt, es ist Sozialismus oder Kommunismus, dem zeichne ich mein Lieblingsbild auf mit den Extrempositionen Kapitalismus und Kommunismus. Die Gemeinwohlwirtschaft ist genau in der Mitte im Sinne einer ursprünglichen „oikonomia“, das heißt, Ziel ist das Gemeinwohl, Geld und Kapital sind die Mittel. Unternehmensfreiheit ist in der Gemeinwohlökonomie stärker durchgesetzt als im Kapitalismus, weil sich dort Monopole bilden. Hier aber gibt es keine so großen Kolosse, dass die Freiheiten der anderen eingeschränkt werden können. Vor allem gibt es undogmatisch eine Pluralität aus privatem und öffentlichem Eigentum, Gemeinschaftsgüter und auch ein bisschen ursprüngliche Subsistenzökonomie. Dieses breitere Menü sollten auch die Lehrbücher zeigen.
Dieses Modell widerspricht den demokratischen Grundwerten.
Christian Felber Ökonom