Salzburger Nachrichten

Kaltenbrun­ner, Berg und Geist

Gipfelglüc­k. Gerlinde Kaltenbrun­ners Außenwelt sind wilde Berge. Dort fand sie einen Weg tief in ihr Inneres.

- BERNHARD FLIEHER

Einige Zeit hatte Gerlinde Kaltenbrun­ner große Schlagzeil­en. Es ging darum, ob sie die erste Frau sein könnte, die alle Achttausen­der besteigen würde. Nachdem sie alle 14 Achttausen­der bestiegen hatte, wurde es ruhiger um die Oberösterr­eicherin. Sie habe mit den Achttausen­dern abgeschlos­sen, sagt sie. Was ist davon geblieben? Glück und auch eine neue Sicht auf die Welt. „Die innere Dimension des Bergsteige­ns“beschäftig­t sie, auch bei einem Vortrag, mit dem sie kommenden Mittwoch das Salzburger Bergfilmfe­stival eröffnet.

SN: Frau Kaltenbrun­ner, wem oder was begegnen Sie auf einem Gipfel?

Kaltenbrun­ner: Auf dem Weg zum Gipfel begegne ich vor allem mir selbst, ganz und gar, mit all meinen Wünschen, Fragen, auch Zweifeln, Hoffnungen und Erwartunge­n. Immer wenn ich am Gipfel angekommen bin, war keine Frage mehr offen. Ich war ganz bei mir, fühlte mich eins mit allem.

SN: Welche Bedeutung hat für Ihre innere Befindlich­keit denn das Erreichen eines Gipfel?

Für mich ist in erster Linie wichtig und auch sehr schön, die Herausford­erung anzunehmen. Das Anliegen, den Gipfel zu besteigen, ist natürlich da, aber es zählt für mich vor allem auch das Hinbewegen zum Berg, der Kontakt mit den Menschen und dem Berg. Wenn ich dann noch den Gipfel erreichen darf, ist es ein großes Geschenk. Wirklich persönlich weiterentw­ickelt habe ich mich nicht mit dem Erreichen des Gipfels, sondern mehr mit den Situatione­n, wo ich umkehren musste oder auch Rückschläg­e hinzunehme­n hatte.

SN: Lange Zeit war – jedenfalls für die Öffentlich­keit – Ihr Leben davon bestimmt, dass Sie alle 14 Achttausen­der besteigen wollten. Nun geht es ruhiger um Sie zu, entspricht das Ihrem Gemüt?

Die Zeit während der Achttausen­der habe ich auch genossen und sie war sehr wichtig für mich. Jetzt geht es zwar im Außen vielleicht etwas ruhiger zu, das bedeutet jedoch nicht, dass ich im Inneren weniger Intensität habe, eher im Gegenteil. Ich bin sehr verbunden mit der Natur und den Bergen und kann es voll genießen und es stellt mich nicht minder zufrieden. Es ist ein anderer Abschnitt da und das ist richtig gut so.

SN: Hat es Sie je gestört, dass in der Außenwelt das Bergsteige­n immer nach dem sogenannte­n Gipfelsieg bewertet wird? Es ist einfach so, dass in unserer Gesellscha­ft viel nach Leistung bewertet wird. Ganz ehrlich, das hat mich nie gestört, da es mich in meinen Entscheidu­ngen nicht beeinfluss­t hat. Wenn es darum ging, weiterstei­gen oder umdrehen, habe ich mich immer nur mit der Situation verbunden und danach Entscheidu­ngen getroffen. Die oberste Priorität hatte immer die gesunde Rückkehr – mit oder ohne Gipfel.

SN: Sie waren kürzlich in Nepal, um, wie Sie sagten, einen „schönen Sechstause­nder“zu besteigen. Was ist denn für Sie ein „schöner Berg“?

Für mich hat fast jeder Berg etwas sehr Schönes und oft auch ein bisschen etwas Abweisende­s. Für mich ist ein „schöner Berg“auch vor allem, wenn ich einen wunderbare­n Ausblick habe. So wie jetzt am Mera Peak mit Ausblick auf eine gigantisch­e Hochgebirg­slandschaf­t und auf fünf Achttausen­der.

SN: Welche Rolle spielt auf dem Berg die Suche nach etwas Überirdisc­hem, nach etwas Spirituell­em?

Zu Beginn habe ich auch nicht gewusst, was mich da erwartet. Ich durfte dann mit der Zeit spüren – gerade an den hohen Bergen

–, dass es noch sehr, sehr viel mehr gibt, als das, was wir mit unserem Körper wahrnehmen und erreichen können; dass es eine höhere Kraft gibt. Dieser vorhandene­n Kraft habe ich mich mehr und mehr geöffnet und Energie erhalten. Durch das Bergsteige­n habe ich einen Zugang zur Spirituali­tät und damit auch zu mir selbst gefunden.

SN: Welche anderen Wege als den Aufstieg auf einen Berg haben Sie bei der Suche nach dieser Spirituali­tät für sich gefunden?

Durch den Weg des Aufstiegs konnte ich den Weg nach innen zu mir selbst finden und weitere Kanäle haben sich dadurch aufgetan. Sicher auch durch die Abgeschied­enheit und Ausgesetzt­heit versuchte ich mich noch mehr mit dem Berg und auch mit mir selbst zu verbinden. Bedingt durch die Herausford­erungen wollte ich einerseits körperlich so gesund und fit wie möglich sein, was ich durch Training und Ernährung erreicht habe. Anderersei­ts wollte ich natürlich auch mental bestmöglic­h vorbereite­t sein und durch Meditieren und Visualisie­ren konnte ich meine Wahrnehmun­g und Intuition stärken.

SN: Sie sagen, dass man die Kraft seiner Träume nicht unterschät­zen darf. Wie kommen Träume zu Ihnen?

Aus der Begeisteru­ng für die Berge hat es begonnen, dass ich davon geträumt hatte Berge zu besteigen und diese wurden immer höher und lagen weiter weg. Dies hat sich bei mir von klein auf entwickelt. Heute finde ich meine Ziele, indem ich genau hineinspür­e, was ich wirklich erreichen möchte und kann so auch meine Träume gestalten.

SN: Erleben Sie Spirituali­tät nur auf dem Berg oder auch anderswo – und gibt es einen Unterschie­d?

Die Spirituali­tät erlebe ich nicht nur auf den Bergen, sondern auch zu Hause etwa beim Meditieren. Die Intensität ist für mich auf den Bergen jedoch nochmals eine andere. Das hängt damit zusammen, dass ich am allerliebs­ten in der freien Natur unterwegs bin und der Sinnesrück­zug gelingt mir gerade in den Bergen immer noch besser als im Alltag zu Hause.

SN: Sie haben sich jenseits der Öffentlich­keit stets mit Fragen über den Sinn Ihres Tuns am Berg beschäftig­t. Also zum Ende eine „leichte“Frage: Was bedeutet denn „ein gutes Leben“? Ein gutes Leben zu führen bedeutet für mich, ein sinnerfüll­tes Leben zu führen. Einerseits im Einklang mit mir selbst und meinen Mitmensche­n, mit meinem Umfeld und der Natur zu sein. Und auch ein guter Mensch zu sein, nicht nur auf mich selbst zu schauen, sondern auch, dass es anderen Menschen und Lebewesen gut geht.

Durch das Bergsteige­n habe ich einen Zugang zur Spirituali­tät gefunden. Gerlinde Kaltenbrun­ner Bergsteige­rin

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