Klimaticket als türkis-grünes Prestigeprojekt
Neuer Anlauf zu einer alten Idee: Schon einmal schaffte es der Plan, eine österreichweit gültige Jahreskarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel zu entwickeln, in einen Koalitionspakt. Nun könnte es etwas werden.
WIEN. Unmittelbar vor dem Start der Regierungsverhandlungen machte Grünen-Chef Werner Kogler hellhörig. Als ein Projekt, das man „relativ schnell“umsetzen könnte, nannte er jenes Ticket, das die Besitzer berechtigen würde, für 1095 Euro pro Jahr (= drei Euro pro Tag) sämtliche öffentliche Verkehrsmittel in Österreich zu benutzen. Für 730 Euro (= zwei Euro pro Tag) könnte man ein Jahr lang in drei Bundesländern öffentlich unterwegs sein, für 365 Euro (= ein Euro pro Tag) in einem Bundesland.
Eine Jahreskarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel geistert schon seit mehr als einem Jahrzehnt unter verschiedenen Namen durch die politische Debatte: Die ÖVP propagierte es einst unter der Bezeichnung Österreich-Ticket, bei den Grünen läuft das abgestufte Modell unter dem Titel 1-2-3-Ticket, die SPÖ griff es diesen Wahlkampf unter dem Schlagwort 1-2-3-Klimaticket auf. Nun bietet es sich in den türkis-grünen Regierungsverhandlungen als Prestigeprojekt an.
Das war schon einmal so: in den rot-grünen Regierungsverhandlungen in Wien nach der Landtagswahl im Herbst 2010. Damals setzte Grünen-Chefin Maria Vassilakou durch, dass es im Wiener Verkehrsverbund zu einer Tarifreform kommen müsse. Eineinhalb Jahre später war es so weit: Seit Mai 2012 gibt es die Jahreskarte in Wien für 365 Euro. Sie wurde zur Signatur von RotGrün. Zum damaligen Zeitpunkt gab es 373.000 Jahreskartenbesitzer, nun sind es 822.000.
Nichtsdestotrotz konnte der (hohe) Anteil jener, die mit Bus, Bim, U- und S-Bahn unterwegs sind, nicht erhöht werden: 38 Prozent der Bevölkerung benutzten vor 2012 das sehr gut ausgebaute öffentliche Verkehrsnetz in Wien; und 38 Prozent waren es auch zuletzt, wobei die Bundeshauptstadt in den vergangenen Jahren ein starkes Bevölkerungswachstum erlebte. 2018 stieg der Anteil des Autoverkehrs trotz stetig intensiverer Parkraumbewirtschaftung sogar um zwei Prozentpunkte auf 29 Prozent, parallel dazu sank der Anteil der Fußgänger auf 26 Prozent.
Kostendeckend ist der öffentliche Verkehr in Wien nicht. Jüngst machten Überlegungen die Runde, den Preis für die Jahreskarte anzuheben. Das wird freilich kaum vor der Wien-Wahl 2020 passieren.
Die Kosten sind denn auch bei einer österreichweit gültigen Jahreskarte eine entscheidende Frage. Daran scheiterte das Projekt schon einmal. Im Nationalratswahlkampf 2008 war es die ÖVP, die das Österreich-Ticket propagierte (damals übrigens zum Preis von 1490 Euro, Anm.). Die Jahreskarte schaffte es in der Folge sogar ins Regierungsprogramm
von SPÖ und ÖVP. Aber bereits im Frühjahr 2009 vertagte die damalige Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) die Umsetzung wegen Unfinanzierbarkeit. Den Zuschussbedarf bezifferte sie mit 30 Mill. Euro. Nun, gut zehn Jahre später, ist von einem Zuschuss in der Dimension eines „niedrigen dreistelligen Millionenbetrags“die Rede, abhängig von den Nutzerzahlen und der Kostenbeteiligung der Länder.
Apropos Länder: Mittlerweile bieten einige von ihnen günstige Jahreskarten für alle Öffis an. In Salzburg nennen sie sich myRegioTickets und kommen 2020.
Zurück zur ganz Österreich umfassenden Jahreskarte für 1095 Euro. Das klingt nach viel Geld. Allerdings kostet allein die ÖBB-„Österreichcard“, die nur zur Benutzung der Züge (nicht der ÖBB-Busse) berechtigt, um 800 Euro mehr. Konkret: 1889 Euro (= 5,20 Euro/Tag).
Neben der Geldknappheit wurde 2009 noch ein zweiter Grund für das Aufschieben des Projekts angeführt: die verschiedenen Verkehrsbetriebe und ihre sehr unterschiedlichen Tarifstrukturen. In diesem Wirrwarr sei man auf keinen grünen Zweig gekommen. Seither hat sich allerdings einiges getan.
Der Letzte, der die Entwicklung eines Österreich-Tickets in Angriff nahm, war vor einem Jahr der damalige Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ). Er setzte eine Arbeitsgruppe ein, die nach wie vor existiert. Im Sommer hieß es, man hoffe, gegen Jahresende erste Ergebnisse vorzulegen. Nun will man sich im Ministerium auf keinen Zeitrahmen festlegen. Nur so viel ist zu erfahren: „Es wird noch gearbeitet.“
Dass günstige Jahrestickets eine gute Sache wäre, sagen alle Experten. Zugleich betonen sie: Ein Erfolg im Sinne des Klimaschutzes könne sich nur einstellen, wenn das Angebot so sei, dass sich die Frage „Öffentlich oder mit dem Auto?“nicht mehr stellt. Das derzeitige Angebot ist – abgesehen von den Ballungsräumen – weit davon entfernt.