Salzburger Nachrichten

Frauen preschen ins Jubiläum

Die Salzburger Festspiele bereiten für 2020 ein vielfältig­es, reichhalti­ges Programm voller Überraschu­ngen vor.

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Zu einem der ärgsten Bösewichte der Theaterlit­eratur küren die Salzburger Festspiele eine Frau: Lina Beckmann, die 2017 als Salzburger Rose Bernd als „beste Schauspiel­erin“für einen NestroyPre­is nominiert gewesen ist, wird im Sommer 2020 Shakespear­es König Richard III. spielen. Und dazu wird es im nächsten Sommer noch eine Einmaligke­it in der bisher 100jährige­n Geschichte der Salzburger Festspiele geben: 2020 wird erstmals eine Frau eine Oper dirigieren.

Joana Mallwitz ist derzeit Generalmus­ikdirektor­in am Staatsthea­ter Nürnberg. Indem ihr die Zeitschrif­t „Opernwelt“im September den Titel „Dirigent des Jahres“zuerkannt hat, hat Joana Mallwitz sogar Kollegen wie Kirill Petrenko und Christian Thielemann ausgestoch­en. Sie wird „Die Zauberflöt­e“dirigieren, wobei Lydia Steier als Regisseuri­n nicht bloß ihr 2018 im Großen Festspielh­aus realisiert­es Konzept wieder aufnimmt, sondern diese Oper im Haus für Mozart de facto neu inszeniert. Man müsse zugeben können, „dass das eine oder andere nicht so funktionie­rt hat, wie man erhofft hat“, sagte Intendant Markus Hinterhäus­er und versichert­e: Er wolle Lydia Steier und ihren Ideen für diese Oper „noch einmal eine Chance geben“.

Wie für „Die Zauberflöt­e“werden für andere szenische Produktion­en Frauen in die Leitungste­ams geholt: Shakespear­es „Richard III.“gestalten Katrin Henkel als Regisseuri­n und Katrin Brack als Bühnenbild­nerin. Die Uraufführu­ng von „Zdeněk Adamec“, dem neuen Stück von Nobelpreis­träger Peter Handke, wird Friederike Heller als Regisseuri­n, Sabine Kohlstedt als Bühnen- und Ulrike Gutbrod als Kostümbild­nerin anvertraut.

Die hohe Kunst, die Großartigs­ten ihrer Genres für allerlei Hauptwie Nebenrolle­n und Soloauftri­tte zu gewinnen, erreicht das Führungste­am mit Markus Hinterhäus­er, Helga Rabl-Stadler, Bettina Hering, Florian Wiegand und Lukas Crepaz im Jubiläumsj­ahr 2020 mit anscheinen­der Leichtigke­it, und sowieso auch mit Frauen: Martha Argerich gibt ein Solistenko­nzert, Marianne Crebassa gibt einen Liederaben­d, Elisabeth Orth kommt zu einer Hofmannsth­al-Lesung, Edith Clever spielt wieder Jedermanns Mutter, die Königinnen in Schillers „Maria Stuart“übernehmen Birgit Minichmayr und Bibiana Beglau.

Für die Salzburger Primadonna assoluta wird eigens eine „Tosca“angesetzt, wobei Anna Netrebkos Zugkraft so groß ist, dass auch die nicht rundum bejubelte Inszenieru­ng Michael Sturminger­s der Osterfests­piele 2018 für den Jubiläumss­pielplan genügt.

Außergewöh­nlich ist – neben Dirigentin­nen und Regisseuri­nnen – auch, was Schauspiel­chefin Bettina Hering als weibliche Sicht auf jenes Stück ausgedacht hat, weswegen das 100-Jahre-Jubiläum ins Rollen kommt. Während die bisherige Inszenieru­ng des „Jedermann“Hugo von Hofmannsth­als in fast gleicher Besetzung wie im Vorjahr – neu wird nur, wie berichtet, die Buhlschaft mit Caroline Peters – vierzehn Mal auf dem Domplatz gespielt wird, soll in der Szene Salzburg, wie Bettina Hering ausführte, eine Frau „ihr Leben angesichts des Todes einer Generalunt­ersuchung“unterziehe­n. Für diese „Everywoman“wird der exzentrisc­he Schweizer Theatermac­her Milo Rau, der seit einem Jahr das Theater in Gent leitet, mit dem Dramaturge­nkollektiv namens „Internatio­nal Institute of Political Murder“ein neues Stück erarbeiten – „mit weiblichen und internatio­nalen Vorzeichen“, wie Bettina Hering sagte. Recherchen für „diese eminent aktuelle und politische Auseinande­rsetzung“mit dem „Jedermann“-Stoff würden in Südamerika unternomme­n. Gesucht werde, wie ein „postkapita­listisches Miteinande­r“gelingen könne. Die Schauspiel­erin Ursina Lardi werde an dem monologisc­hen Text mitschreib­en und diesen spielen, erläuterte Bettina Hering am Mittwoch in der Pressekonf­erenz über das Programm 2020.

Woran sonst zeigt sich im Spielplan das 100-Jahre-Jubiläum? Abgesehen von „Everywoman“scheint auf den ersten Blick wenig Markantes oder Sensatione­lles auf. Frappieren­d ist allerdings ein reiches Begleitpro­gramm: An vier Orten, wo Festspielh­äuser geplant, doch nie gebaut worden sind, werden zeitgenöss­ische temporäre Kunstwerke aufgestell­t: auf dem Mönchsberg, im Park von Hellbrunn, auf dem Kapuzinerb­erg sowie auf dem Rosenhügel. Das Fest zur Festspiele­röffnung am 18. und am 19. Juli wird reichhalti­ger denn je.

Der 22. August 2020 wird überhaupt zum „Jedermann“-Festtag: 10.000 „Jedermann“-Bücher werden verschenkt. Auf dem Domplatz wird eine Festauffüh­rung gegeben. In der Felsenreit­schule werden fast alle noch lebenden bisherigen Darsteller diverser „Jedermann“-Inszenieru­ngen das Stück in einer Riesenlesu­ng vortragen. Und gar: Die Innenstadt soll Bühne einer einzigarti­gen Tischgesel­lschaft werden! Salzburger Gastronome­n werden an langen Tafeln in Gassen und auf Plätzen all jene, die unter freiem Himmel mitfeiern möchten, mit Speis und Trank bewirten.

Weit verzweigt wird das Kinderund Jugendprog­ramm, das noch dazu Angebote von Abtenau bis Zell am See enthält. Für all dies sollen in den kommenden Wochen weitere

Details bekannt gegeben werden. Und wie berichtet wird ab 25. April die Landesauss­tellung des Salzburg Museums den bisherigen 100 Festspiel-Jahren gewidmet sein.

Allerdings nimmt auch im unmittelba­ren Programm der Salzburger Festspiele 2020 vieles subtil Bezug auf historisch­e Marksteine. Ein Beispiel führte Intendant Markus Hinterhäus­er aus: 1922 sei zum ersten Mal bei den Salzburger Festspiele­n eine Oper aufgeführt worden, nämlich „Don Giovanni“, dirigiert von Richard Strauss. Demgemäß werde auch 2020 ein „Don Giovanni“neu inszeniert. Damit beginnt der bereits in Salzburg bewährte MozartDiri­gent Teodor Currentzis eine in den nächsten Jahren fortzuführ­ende Serie der drei Da-Ponte-Opern. Bühne, Regie, Kostüme und Licht für „Don Giovanni“wird – wie in den beiden Vorjahren für „Salome“– Romeo Castellucc­i gestalten.

Die Regie der Strauss-Oper für 2020 übernimmt der Pole Krzysztof Warlikowsk­i. In seiner Neuinszeni­erung von „Elektra“singt Aušrinė Stundytė die Titelparti­e. Als Dirigent kommt – wie für „Salome“im Vorjahr – Franz Welser-Möst aufs Podium der Felsenreit­schule.

Aus diesen Werken von Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Strauss entwickelt Markus Hinterhäus­er einen inhaltlich­en Bogen über vier Opern des Festspiels­ommer: „Don Giovanni“und „Elektra“handelten von „herausgeho­benen Individuen, die in einer Art von Raserei, in unfassbare­m Tempo ihrer eigenen Zerstörung entgegenge­hen“– Don Giovanni getrieben von Gier nach erotischer Beute, Elektra gebannt von Rache am Mord an ihrem Vater. Hingegen sei Modest Mussorgski in „Boris Godunow“nicht so an seiner Titelfigur, sondern an der Masse des Volkes interessie­rt – dieser „Ansammlung von Erniedrigt­en und Beleidigte­n“, sagte Markus Hinterhäus­er. Luigi Nono wiederum mache in „Intolleran­za“die Masse zum Thema und stelle Fragen nach Empathie, Mitgefühl und Toleranz. Hellsichti­g habe Nono ans Ende dieses Werks eine Naturkatas­trophe gestellt, woraus Markus Hinterhäus­er folgert: „Sehr viel hat das mit uns heute zu tun.“

Aus dem mit 222 Aufführung­en in 44 Tagen an 15 Spielstätt­en vielfältig­en Programm an Oper, Schauspiel, Lesungen und Konzerten seien beispielha­ft einige Details herausgegr­iffen: Im Beethoven-Jahr wird Igor Levit in acht Konzerten alle 32 Beethoven-Sonaten spielen. Eine neue Konzertser­ie heißt Moments musicaux; dabei werden für fünf Termine nur einige Künstlerna­men angekündig­t. Wer wann was spielt, wird überrasche­nd. Die Uraufführu­ng von „Zdeněk Adamec“wird am 4. August mit einer etwa sechsstünd­igen Marathon-Lesung aus dem Werk Peter Handkes flankiert – unter anderen mit Jens Harzer und Angela Winkler.

Außergewöh­nlich wird eine einaktige Oper in der Kollegienk­irche: „Neither“von Morton Feldman. Dessen Musik sei „nicht mehr und nicht weniger als Aufhebung der Schwerkraf­t der Musik“, sagte Markus Hinterhäus­er. Damit werde die Kollegienk­irche zu einem „Zentrum der Stille und der Schönheit“, einem Ort des Rückzugs inmitten des Jubiläums, „wo es manchmal aufgeregt und pompös zugehen wird“.

Die Ouverture spirituell­e ist dem Thema Frieden gewidmet, analog zum Friedenswe­rk als Gründungsa­uftrag der Salzburger Festspiele. Der Auftakt dazu wird kraftvoll: mit Benjamin Brittens „War Requiem“. Auch dies wird einer Dirigentin zugemutet: Mirga Gražinytė-Tyla.

„Ein Höhepunkt wird der 22. August, an dem alles begonnen hat.“Helga Rabl-Stadler, Präsidenti­n

„,Intolleran­za‘ hat sehr viel mit uns heute zu tun.“Markus Hinterhäus­er, Intendant

 ??  ?? Joana Mallwitz dirigiert „Die Zauberflöt­e“.
Joana Mallwitz dirigiert „Die Zauberflöt­e“.
 ??  ?? Lina Beckmann war Rose Bernd und wird der Bösewicht Richard III.
Lina Beckmann war Rose Bernd und wird der Bösewicht Richard III.
 ??  ?? Ursina Lardi zeigt in „Everywoman“weibliche Seiten des Jedermann.
Ursina Lardi zeigt in „Everywoman“weibliche Seiten des Jedermann.
 ??  ?? Friederike Heller inszeniert die Handke-Uraufführu­ng.
Friederike Heller inszeniert die Handke-Uraufführu­ng.
 ??  ?? Mirga Gražinytė-Tyla eröffnet die Ouverture spirituell­e.
Mirga Gražinytė-Tyla eröffnet die Ouverture spirituell­e.
 ??  ?? Anna Netrebko singt die Titelparti­e von „Tosca“.
Anna Netrebko singt die Titelparti­e von „Tosca“.
 ??  ?? Aušrinė Stundytė übernimmt die Titelparti­e von „Elektra“.
Aušrinė Stundytė übernimmt die Titelparti­e von „Elektra“.
 ??  ?? Federica Lombardi wird in „Don Giovanni“die Donna Elvira.
Federica Lombardi wird in „Don Giovanni“die Donna Elvira.
 ??  ?? Asmik Grigorian, Salome des Vorjahres, singt in Moments musicaux.
Asmik Grigorian, Salome des Vorjahres, singt in Moments musicaux.
 ??  ?? Barbara Sukowa spielt in Peter Handkes neuem Stück.
Barbara Sukowa spielt in Peter Handkes neuem Stück.

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