Das Ende einer Ära
Martin Scorseses „The Irishman“beantwortet abschließend jene Fragen, die das Genre des Mafiafilms noch offengelassen hatte.
WIEN. Am 30. Juli 1975 verschwand Jimmy Hoffa. In den Fünfzigerjahren sei er „so berühmt wie Elvis“gewesen, in den Sechzigerjahren „größer als die Beatles“, sagt Frankie Sheeran in Martin Scorseses „The Irishman“. Dann wurde Hoffa, Anführer der einflussreichen „Teamster“-Gewerkschaft, unter anderem wegen Betrugs zu einer Haftstrafe verurteilt. Von Nixon wurde er begnadigt. Doch kurz bevor er wieder in seinen alten Posten an der Spitze der „Teamster“zurückkehren konnte, war er wie vom Erdboden verschluckt.
Der Fall ist einer der großen ungelösten in der US-Verbrechensgeschichte; 2004 schrieb der ehemalige Hilfssheriff Charles Brandt sein Buch „I Heard You Paint Houses“, für das ihm Jimmy Hoffas langjähriger Freund, der Mafiakiller Frankie Sheeran, die angebliche Wahrheit über Hoffas Verschwinden verraten hatte. Nun hat Scorsese in seinem epischen „Irishman“Sheerans Version verfilmt, mit einer Traumbesetzung, die Mafiafilmfans Tränen in die Augen treibt: Robert De Niro („Goodfellas“) spielt Sheeran, den irischstämmigen Lastwagenfahrer und Kriegsveteranen, der in Italien gekämpft hat und sich daher so gut mit der Cosa Nostra versteht; Harvey Keitel und Joe Pesci spielen die
Oberhäupter einer Mafiafamilie, die im Norden Pennsylvanias agiert; und Al Pacino („Scarface“) ist in der Rolle von Jimmy Hoffa.
„The Irishman“erzählt das Leben eines Mannes nach, der sich emsig die Karriereleiter hinaufprügelt und -mordet, für die richtigen Leute Aufträge ausführt, sich selbst kein einziges Mal am falschen Ende einer Schusswaffe wiederfindet, und dabei am Ende ein Leben voller Verluste zu beklagen hat. Um die
Jahrzehnte, die der Film umfasst, auch in den Gesichtern der Schauspieler widerzuspiegeln, ließ Martin Scorsese seine gealterten Darsteller digital verjüngen, was anfangs irritiert, aber dann überraschend gut funktioniert. Scorsese hat den Film für Netflix gedreht, zwei Wochen Kino-Schonzeit gewährt der Streaminganbieter dem „Irishman“nun auch, was hocherfreulich ist: Die dreieinhalb Stunden Erzählzeit sind keine Minute zu lang, Scorsese und seine Filmeditorin Thelma Schoonmaker nehmen ausführlich die Gelegenheit wahr, in Szenen hineinzuführen, Machtund Sozialgefüge darzulegen, und Freundschaften auszuerzählen. Am Ende steht die bittere Demontage aller Mafianostalgie. Womöglich war es das alles doch nicht wert für Frankie „Irish“Sheeran. Die dreieinhalb Stunden im Kino sind es fix.
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