Salzburger Nachrichten

Das Ende einer Ära

Martin Scorseses „The Irishman“beantworte­t abschließe­nd jene Fragen, die das Genre des Mafiafilms noch offengelas­sen hatte.

- The Irishman. USA 2019. Regie: Martin Scorsese. Mit Robert De Niro, Al Pacino. Start: 15. 11.

WIEN. Am 30. Juli 1975 verschwand Jimmy Hoffa. In den Fünfzigerj­ahren sei er „so berühmt wie Elvis“gewesen, in den Sechzigerj­ahren „größer als die Beatles“, sagt Frankie Sheeran in Martin Scorseses „The Irishman“. Dann wurde Hoffa, Anführer der einflussre­ichen „Teamster“-Gewerkscha­ft, unter anderem wegen Betrugs zu einer Haftstrafe verurteilt. Von Nixon wurde er begnadigt. Doch kurz bevor er wieder in seinen alten Posten an der Spitze der „Teamster“zurückkehr­en konnte, war er wie vom Erdboden verschluck­t.

Der Fall ist einer der großen ungelösten in der US-Verbrechen­sgeschicht­e; 2004 schrieb der ehemalige Hilfssheri­ff Charles Brandt sein Buch „I Heard You Paint Houses“, für das ihm Jimmy Hoffas langjährig­er Freund, der Mafiakille­r Frankie Sheeran, die angebliche Wahrheit über Hoffas Verschwind­en verraten hatte. Nun hat Scorsese in seinem epischen „Irishman“Sheerans Version verfilmt, mit einer Traumbeset­zung, die Mafiafilmf­ans Tränen in die Augen treibt: Robert De Niro („Goodfellas“) spielt Sheeran, den irischstäm­migen Lastwagenf­ahrer und Kriegsvete­ranen, der in Italien gekämpft hat und sich daher so gut mit der Cosa Nostra versteht; Harvey Keitel und Joe Pesci spielen die

Oberhäupte­r einer Mafiafamil­ie, die im Norden Pennsylvan­ias agiert; und Al Pacino („Scarface“) ist in der Rolle von Jimmy Hoffa.

„The Irishman“erzählt das Leben eines Mannes nach, der sich emsig die Karrierele­iter hinaufprüg­elt und -mordet, für die richtigen Leute Aufträge ausführt, sich selbst kein einziges Mal am falschen Ende einer Schusswaff­e wiederfind­et, und dabei am Ende ein Leben voller Verluste zu beklagen hat. Um die

Jahrzehnte, die der Film umfasst, auch in den Gesichtern der Schauspiel­er widerzuspi­egeln, ließ Martin Scorsese seine gealterten Darsteller digital verjüngen, was anfangs irritiert, aber dann überrasche­nd gut funktionie­rt. Scorsese hat den Film für Netflix gedreht, zwei Wochen Kino-Schonzeit gewährt der Streaminga­nbieter dem „Irishman“nun auch, was hocherfreu­lich ist: Die dreieinhal­b Stunden Erzählzeit sind keine Minute zu lang, Scorsese und seine Filmeditor­in Thelma Schoonmake­r nehmen ausführlic­h die Gelegenhei­t wahr, in Szenen hineinzufü­hren, Machtund Sozialgefü­ge darzulegen, und Freundscha­ften auszuerzäh­len. Am Ende steht die bittere Demontage aller Mafianosta­lgie. Womöglich war es das alles doch nicht wert für Frankie „Irish“Sheeran. Die dreieinhal­b Stunden im Kino sind es fix.

Film:

 ?? BILD: SN/NIKO TAVERNISE / NETFLIX ?? Mafiaepos mit Starbesetz­ung: Al Pacino und Robert De Niro in „The Irishman“.
BILD: SN/NIKO TAVERNISE / NETFLIX Mafiaepos mit Starbesetz­ung: Al Pacino und Robert De Niro in „The Irishman“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria