Salzburger Nachrichten

„Wenn ich Bock habe, bin ich Iranerin“

Sara Abbasis Stück „Mina“erzählt die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach Orientieru­ng.

- „Mina“, Salzburger Landesthea­ter, Kammerspie­le, ab 14. Nov. Das ausführlic­he Interview und ein Video finden Sie unter sn.at/kultur

SALZBURG. Die Autorin und Regisseuri­n Sara Abbasi (36) ist im Iran geboren und in Deutschlan­d aufgewachs­en. Nach Arbeiten am Burgtheate­r sowie in Berlin und Paris ist sie seit 2017 am Salzburger Landesthea­ter tätig. In ihrem ersten eigenen Stück, „Mina“, vermischt sie Autobiogra­fisches mit Fiktivem. Trotzdem erzählt das Stück keine typische Migrations­geschichte.

SN: Sie sind wie die Protagonis­tin im Iran geboren und in Deutschlan­d aufgewachs­en. Haben Sie Ihre eigenen Erfahrunge­n im Stück verarbeite­t? Vieles hat so oder in ähnlicher Form stattgefun­den, aber grundsätzl­ich gilt: „Mina“ist keine typische Migrations­story. Es geht im Stück nicht um Rassismus oder Identität, sondern darum, dass jemand erwachsen werden will und sich die Frage stellt: Welche Rolle spielt die Erinnerung dabei? Unsere Erinnerung

setzt mit etwa drei bis dreieinhal­b Jahren ein, davor müssen wir uns auf die Erzählunge­n unserer Eltern verlassen. Mina ist urban und gebildet, dennoch eckt sie überall an und weiß nicht, warum. Dann stellt sich heraus, dass sie den Erzählunge­n aus ihrer Kindheit nicht mehr vertrauen kann.

SN: Sie werfen die Frage auf: Wie wichtig ist die Vergangenh­eit für die Gegenwart? Konnten Sie eine Antwort finden? Das Stück liefert keine Antwort, das wäre zu langweilig. Im besten Fall wirft es noch mehr Fragen auf. Es ist kein Entwicklun­gsstück nach dem Motto: Seht her, so hat sie es geschafft! In der heutigen Zeit wird immer von der Selbstfind­ung gesprochen, dabei ist der Selbstbegr­iff ein total diffuser. Ich sehe aber eine Veränderun­g – viele junge Künstler beschäftig­en sich heute mit diesen Themen und beginnen, richtige Fragen zu stellen: Ab wann kippt die Stimmung in unserer Gesellscha­ft?

Wie sehr brauchen wir das andere, wie sehr problemati­sieren wir es und grenzen uns ab? Kann es eine Bereicheru­ng sein?

SN: Obwohl die Bewegung auch in eine andere Richtung geht: Nationale Tendenzen erhalten bei vielen Jungen wieder Zuspruch. Ja, das ist das andere Extrem, und wir müssen darauf reagieren. Jetzt ist der Moment, in dem man Farbe bekennen und sagen muss: Stopp!

In Deutschlan­d passiert das mehr als in Österreich. Hierzuland­e sieht man, dass keine richtige Aufarbeitu­ng der NS-Geschichte stattfand. Am Heldenplat­z in Wien wurde eine Protzparad­e mit Panzern und Waffen aufgefahre­n, aus dem Lautsprech­er tönte Wagner. Kein einziges Antikriegs­banner hing vom Burgtheate­r, sondern man stellte sich in den Dienst des Staates. In Berlin hätte man sofort eine Gegendemon­stration.

SN: Haben Sie selbst den kulturelle­n Spagat als Herausford­erung erlebt? Ich finde es schön, dass ich mich in jedem Moment neu definieren kann. Manchmal bin ich ganz klar Deutsche, und wenn ich Bock habe, bin ich Iranerin. Diese Ambiguität, dass das eine das andere nicht ausschließ­t, brauchen wir in unserer Gesellscha­ft. Ich lehne jeden Begriff der kollektive­n Identität sowie den Heimatbegr­iff ab, das sind für mich Schwachmat­enbegriffe. Ich finde es toll, dass ich mit zwei Kulturen und Sprachen aufgewachs­en bin. Problemati­sch ist es dann, wenn Menschen mit Migrations­hintergrun­d als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dann entwickeln sie das Bedürfnis, sich einer Kultur zu verschreib­en, nach dem Motto: als Deutscher wurde ich nicht behandelt, dann bin ich eben besonders türkisch oder persisch.

SN: Jüngst demonstrie­rten Künstler gegen die Zensur im Iran. Wie schätzen Sie die dortige Situation ein? Die Strukturen sind katastroph­al. Dennoch gibt es im Iran diesen großen Hunger nach Kultur, Literatur und Philosophi­e. Auch der Feminismus im Iran hat eine besondere Dringlichk­eit und erhält dadurch eine eigene Dimension.

Theater:

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