Es muss nicht täglich sein
Die Verbesserung der Hygiene hat in den vergangenen 100 Jahren viel Gutes bewirkt. Doch es könnte sein, dass wir es jetzt im normalen Alltag mit dem Duschen, Baden und Desinfizieren übertreiben.
SALZBURG. Die weltweite Geschichte der Körperhygiene kennt alle Spielarten: heiß baden, kalt baden, ein Mal in der Woche in die Wanne, alle paar Monate in die Wanne oder ins Gemeinschaftsbad, nie in die Wanne, täglich in die Wanne, täglich duschen, Katzenwäsche, zwei Mal pro Tag duschen. Jede Zivilisation setzte in jeder Epoche ihre Hygienestandards – und fast immer passend dazu ihre Moralvorstellungen.
Derzeit lebt der Mensch – blickt man nach Europa und Nordamerika – geschichtlich gesehen in einer Zeit des exzessiven Waschens. Fließendes, sauberes Wasser ist in diesen Ländern kein Luxus, sondern Standard. Die Werbeindustrie seift dazu mit allen möglichen Versprechungen von porentiefer Reinheit ein.
Es mehren sich die Stimmen von kritischen Hautärzten, dass es bereits ein „Zuviel“gibt, das der Haut mehr schadet, als es nutzt. Für Daisy Kopera, außerordentliche Professorin an der Universitätsklinik für Dermatologie der Medizinischen Universität Graz, beginnt das bereits bei den Kleinsten: „Ein Baby sollte man nicht täglich baden. Ein Mal in der Woche ist genug. Danach braucht die Haut Pflege mit einer Öl-in-Wasser-Emulsion. Das gilt auch für Erwachsene. Die tägliche Dusche ist nicht notwendig. Es genügt die Teilreinigung von intimen Bereichen und Füßen, außer man hat eine schweißtreibende Arbeit oder betreibt Sport“, sagt sie.
Nach der Dusche oder dem Vollbad sollte man eine pH-neutrale oder leicht saure Körpermilch auftragen. Der pH-Wert einer gesunden Haut liegt mit etwa 5,5 im sauren Bereich. In diesem Bereich sollten auch Duschgel oder Seife sein. Lauwarm zu duschen, also bei einer Wassertemperatur von etwa 36
Grad, schont zusätzlich die Haut. Beim ausgiebigen täglichen – meist heißen – Duschen oder Baden entfernt man Schmutz und Schweißpartikel von der Haut, doch zugleich auch den natürlichen Fettsäureschutzmantel, den Hypolipidfilm. Dieser besteht aus Schweiß, aus Wasser, das durch die Hautschichten abgegeben wird, aus den Fettmolekülen des Talgdrüsensekrets, aus Hornzellen und diversen Eiweißprodukten.
Der Schutzmantel ist je nach genetischer Veranlagung und Körperregion unterschiedlich, er verändert sich mit dem Alter, wenn man Medikamente nimmt und Stress hat. Normalerweise ist er die natürliche Barriere, um vor Feuchtigkeitsverlust sowie dem Eindringen von Schadstoffen und Krankheitserregern zu schützen. „Jeder Wasserkontakt laugt Fette aus der Haut, die für den Barriereschutz notwendig sind“, erklärt Daisy Kopera. Das häufige Duschen oder Baden zerstört auch jene Bakterien auf der Haut, die nützlich sind. Viele dieser Lebewesen, die den Menschen äußerlich besiedeln, stellen Eiweiße her, die andere Keime abtöten. Wie Forscher in Studien feststellten, ist bei Patienten mit Hautkrankheiten die Zusammensetzung der Bakterienwelt, des Mikrobioms, verändert – so etwa bei Neurodermitis, einer chronisch entzündlichen Hauterkrankung, oder bei Schuppenflechte. Diese Patienten sollen daher gezielte Hautpflege betreiben, um die natürliche Barriere wieder aufzubauen.
Die symbiotische Lebensgemeinschaft mit den „Siedlern“wird auch durch Desinfektionsmittel gestört. Die häufige Desinfektion der Hände ist nur dann notwendig, wenn man als Arzt oder Krankenschwester im Spital oder im Pflegebereich arbeitet, weil damit vermieden wird, lebensbedrohliche Keime zu übertragen. Mittlerweile ist es allerdings üblich geworden, in öffentlichen Bereichen oder Firmen Spender für Desinfektionsmittel aufzustellen. Das ist gut gemeint, aber nicht notwendig.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass richtiges Händewaschen im Alltag ausreichend vor Bakterien und Viren schützt. 80 Prozent aller ansteckenden Krankheiten werden durch die Hände übertragen.
Desinfektionsmittel bringen keinen zusätzlichen Nutzen. Sie können die Haut irritieren oder Allergien auslösen. „Desinfektionsmittel sind genauso wenig sinnvoll wie Feuchttücher nach dem Toilettengang.
Beides ist schlecht, weil sie die bereits erwähnte natürliche Bakterienflora stören. Desinfektionsmittel für den Wohnungsputz sollte man auch weglassen“, sagt Daisy Kopera.
Für das richtige und gründliche Händewaschen ist einiges zu beachten, besonders jetzt, da die Erkältungsund Grippesaison naht: Man feuchtet die Hände unter fließendem Wasser an, die Temperatur wählt man nach Belieben. Dann benutzt man ausreichend Seife und verteilt sie. Zunächst werden die Handinnenflächen und der Handrücken sowie die Fingerzwischenräume gereinigt. Fingerspitzen, Fingernägel und Daumen sollten nicht vergessen werden.
Danach spült man die Hände unter fließendem Wasser ab und trocknet sie. Sie sollten nirgendwo feucht bleiben.
Mindestens 20 Sekunden sollte der ganze Vorgang dauern.
„Die tägliche Dusche ist nicht notwendig, außer man betreibt Sport.“
Daisy Kopera, Dermatologin