Es gibt keine Gewinner im Nahostkonflikt
Die Bewohner des Gazastreifens wollen keinen Krieg gegen Israel
Laut Israels Premier Benjamin Netanjahu stellte die gezielte Tötung eines hochrangigen Islamisten Israels Abschreckung wieder her. Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht.
„Ich glaube, der ,Islamische Dschihad‘ beginnt langsam zu begreifen“, prahlte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vor seinem Kabinett am Mittwoch. Inmitten der schwersten Eskalation in Kämpfen zwischen Israel und Gaza seit Monaten zeichnete Netanjahu ein klares Bild: Der „Palästinensische Islamische Dschihad“(PIJ) verstehe, dass Israel ihn „weiterhin ohne Gnade angreifen“werde. Nach einem medienwirksamen Präventivschlag, bei dem Israels Luftwaffe am Dienstagmorgen einen hochrangigen Kommandanten des PIJ aus der Luft mit Raketen in seinem Bett im Schlafzimmer traf, bleibe der Terrororganisation nur die Option, ihre Angriffe auf Israel einzustellen. Sonst werde sie vollkommen zermalmt. Selbstsicher deklarierten auch andere Minister, Israels Abschreckung sei nun wiederhergestellt.
Ganz so simpel ist die Bilanz des neuesten Schlagabtauschs keineswegs. Israel ist kein eindeutiger Sieger, von der „Wiederherstellung effektiver Abschreckung“ganz zu schweigen. Auch der PIJ ist hier kein Gewinner. Vielmehr werden wohl nicht die Streithähne selbst, sondern ganz andere Akteure den größten Nutzen aus der Krise ziehen.
Der PIJ führt seit Dienstag zum ersten Mal in seiner Geschichte allein einen Kleinkrieg gegen Israel. Die größere und mächtigere Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, liefert bislang ausschließlich rhetorische Unterstützung. Dennoch schoss die kleine, von Iran gestützte Terrormiliz mehr als 250 Raketen ab, ungeachtet der Anstrengungen von Israels Luftwaffe.
Am Mittwochmorgen haben sich Israel und der „Islamische Dschihad“laut der Extremistenorganisation
im Gazastreifen auf eine Waffenruhe geeinigt. Die von Ägypten vermittelte Waffenruhe sollte um 5.30 Uhr Ortszeit starten. Dennoch feuerten militante Palästinenser am Mittwochmorgen Raketen nach Israel.
Netanjahu zahlt für die Tötung des PIJ-Militärchefs Baha Abu al-Ata einen enormen Preis. Zwar wurde laut israelischen Angaben ein großer, unmittelbar bevorstehender Angriff verhindert. Doch der kleine PIJ legt weite Teile Israels lahm. Mehr als eine Million Schüler blieben in ihren Häusern. Eltern blieben gezwungenermaßen ebenfalls daheim. Selbst in Tel Aviv, einer Stadt, die 364 Tage im Jahr rund um die Uhr das Leben feiert, blieben Geschäfte geschlossen. Der Wirtschaft entgingen so Einnahmen im Wert von Hunderten Millionen Euro.
Und auch Israels Image als sicheres Reiseland nahm Schaden: Nach wenigen Stunden Raketenbeschuss teilten die Nationalmannschaften Argentiniens und Polens mit, sie erwögen, die angekündigten Freundschaftsspiele in Israel abzusagen. Der Beginn einer begrenzten Krise genügte, um Israels Normalität zu zerstören – ein bedeutender Erfolg des PIJ.
Deswegen kann der aber nicht zufrieden sein. Zwar beteuert die Hamas ihre Solidarität, doch de facto hielt sie sich aus den Kämpfen heraus. Vielleicht kommt es den islamistischen Machthabern Gazas gelegen, dass Israel ihren kleineren innenpolitischen Rivalen in Stücke bombt, schließlich hatte der PIJ in den vergangenen Monaten die Strategie der Hamas offen kritisiert. Dass der „Islamische Dschihad“dafür nun einen Preis zahlt, mag selbst manchen Palästinensern nur gerecht erscheinen. Die Bewohner des Gazastreifens wollen keinen Krieg gegen ihren mächtigen Nachbarn – im Gegenteil. Sie wollen Ruhe, Arbeit und Aufschwung. Sie wissen, dass Raketen ihnen diese Dinge nicht näher bringen.
Netanjahu bekämpft aber Islamisten, indem er die Herrschaft der Hamas, einer anderen islamischen Terrororganisation, stärkt. Das ist kaum ein außenpolitischer Erfolg. Innenpolitisch könnte er indes zu den Gewinnern der Eskalation gehören. Die Kämpfe haben die Gemüter auf beiden Seiten angeheizt. Das stellte Israels arabische Politiker vor ein Dilemma: Sie solidarisieren sich mit ihrem Volk in Gaza, andererseits hatten sie damit begonnen, sich der wichtigsten Oppositionspartei Blau-Weiß anzunähern. Man verfolgt schließlich dasselbe Ziel: Netanjahu abzusetzen, notfalls durch ein informelles Bündnis in Form einer von außen gestützten Minderheitsregierung.
Doch Blau-Weiß stellte sich in der Krise hinter Netanjahu, während die arabischen Politiker Israels Handlungen reflexhaft als „Kriegsverbrechen“verurteilten. So entstand ein unüberbrückbarer Graben zur zionistischen Opposition. Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung wird so wieder wahrscheinlicher, in deren Rahmen Netanjahu erneut als Premierminister amtieren könnte.
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