Gutes Leben erfordert gutes Gespür
Erwin Wagenhofer erzählt in seinem neuen Film, wie Menschen mit Mut und Zielstrebigkeit zu Vorbildern werden.
Alle paar Jahre macht Erwin Wagenhofer einen Dokumentarfilm, der wie die Faust aufs Aug passt, obwohl er seit Jahren in Produktion ist. Das war bei „We feed the world“so, der 2005 die globale Nahrungsmittelproduktion thematisierte, das war so bei „Let’s make MONEY“, der 2008 mitten in der losbrechenden Finanzkrise ins Kino kam, sowie bei „Alphabet“, der sich 2013 mit der zerstörerischen Wirkung leistungsorientierter Bildung auseinandersetzte. „Inzwischen haben alle verstanden, dass es so nicht weitergeht“, sagt Erwin Wagenhofer, bevor jetzt sein neuer Film „But Beautiful“in die Kinos kommt.
Dieser geht nicht von einem Problem aus, sondern handelt von Menschen, die Lösungen gefunden haben – wie der Goldegger „Holzinnovator“Erwin Thoma, die Permakultur-Einsteiger Barbara und Erich Graf, und die Frauen des Barefoot College. Die Porträts inspirierender Menschen sind verbunden mit Auftritten von Musikern, die ihre Berufung gefunden haben.
SN: Wie hängt „But Beautiful“mit Ihren bisherigen Filmen zusammen? Erwin Wagenhofer: Er ist eine klassische Weiterentwicklung. Der Film beginnt ja mit diesem Michelangelo-Zitat: „Das Problem des Menschen ist es nicht, sich hohe Ziele zu setzen und zu scheitern, sondern sich niedrige Ziele zu setzen und Erfolg zu haben.“Das kommt ja aus dem letzten Film. Es ist logisch, dass es da weitergeht. Das hohe Ziel ist, etwas auszusuchen, womit man auch scheitern kann.
Es wäre ein Leichtes gewesen, einen Film nach dem anderen über Abgründe zu machen. Jede Woche bekomme ich Vorschläge: „Machen Sie etwas über Pharma“oder so.
SN: Ist „But Beautiful“eine Antwort auf solche Vorschläge? Ja, wir sind in einer Zeit angekommen, in der wir etwas anderes brauchen. Das versuche ich ernst zu nehmen. Wir sind wo angelangt, wo auch für normale Leute sinnlich erfahrbar wird, dass es so nicht mehr weitergeht. Wir können die Probleme nicht mehr negieren. Also: Wie lösen wir sie? 99 Prozent der Probleme sind menschengemacht, das haben ja die anderen Filme gezeigt. Wenn ein Problem von Menschen gemacht ist, kann’s der Mensch auch lösen, das ist das Tolle daran.
SN: Wie gelingt es, anhand dieser Projekte diese Überlegungen zu vermitteln?
Als Erstes war die Musik da, schon viele Jahre. „But Beautiful“ist ja ein Jazzstandard, da gibt es auch einen Song mit einem tollen Text dazu. Wir wollten einen Film über Verbundenheit machen, auch mit weiblichen Vorbildern, weil wir immer wieder draufgekommen sind, dass die Frauen so unterrepräsentiert sind. Mich hat anfangs vor allem interessiert, wie sind Menschen in der Musik miteinander verbunden? Das war als Erstes da. Dann haben wir Menschen gesucht, die sich schon auf den Weg gemacht haben, die uns einen Schritt voraus sind.
SN: Einer dieser Menschen ist der Salzburger Erwin Thoma, der sich als Teil des Waldes fühlt und der Häuser nur aus Holz baut. Ja, der ist konsequent. In seinen Häusern gibt es keine Chemie, keinen Leim, das hat er sich zum Ziel gesetzt aus seinem eigenen Schicksal heraus, weil die Kinder, als sie noch klein waren, so krank geworden sind, wegen einer Leimallergie. Dann hat er gesagt, ich baue Häuser ohne Leim. Er ist wirtschaftlich fast verendet mit der Idee, aber hat das konsequent durchgezogen und ist heute auch erfolgreich.
Dann sind da Barbara und Erich Graf (die auf La Palma Permakultur betreiben, Anm.). Die meisten würden sagen, das sind Aussteiger, aber sie würden sich selbst nicht so bezeichnen. Das sind Einsteiger. Die steigen wieder ein in den Kreislauf der Lebendigkeit. Und diese indischen Frauen (die am Barefoot College Solartechnik lernen) sind nie ausgestiegen, dadurch, dass sie gar nicht verschult sind.
SN: Wie hat Erwin Thoma zu dem gefunden, was ihn so zufrieden hat werden lassen? Wo das herkommt, das müssen Sie ihn selbst fragen. Ich hab ihn kennengelernt, und wir hatten sofort eine Verbindung zueinander, das war faszinierend. Der ist ein Teil des Waldes, jeder, der das anschaut, merkt das. Das ist wie der Trompeter (der junge Wiener Mario Rom, Anm.): Auch der und seine Trompete sind eine Einheit, das hört man.
Da sollten alle Leute hin, weil jeder so eine Verbindung hat – nicht unbedingt zu einer Trompete oder zum Wald, ein anderer zum Kochen, zum Schneidern, zur Brillenoptik, was weiß ich – das ist ja mit Talent gemeint. Dem Hans Krankl war wahrscheinlich immer klar, dass er Fußballer wird, oder Franz Klammer wusste, dass er mit die Ski owebrettlt. Wenn jeder dieser Verbindung folgte, würden wir eine andere Welt haben. So viele Leute müssen Betriebswirt werden, weil der Vater das auch war, oder Arzt, weil die ganze Familie Ärzte sind, oder Lehrerfamilien, das geht ja auch oft weit zurück.
„So geht es nicht mehr weiter.“
Erwin Wagenhofer, Dokumentarfilmer
SN: Offenbar eint das Angekommensein diese Personen des Films: Die sind angekommen, wo sie hingehören, ohne dabei auf das gehört zu haben, was andere dazu sagen. Genau. Die beiden auf La Palma sind studierte Leute. Die größte Schwierigkeit ist oft in den eigenen Familien, die hatten tolle Jobs in Berlin, sie ist Architektin und hat gut verdient – und dann haben sie gehört: „Spinnts ihr, jetzt gehts ihr da hinaus auf diese Insel irgendwo im Atlantik, mit den Kindern, wohnts zwei Jahre im Zelt und wühlts wie die Ferkel in der Erde herum?“Das ist es, was der Michelangelo-Spruch meint. So etwas ist ein hohes Ziel.
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