„Den Gelbwesten fehlt eine Greta Thunberg“
Warum der Bürgerprotest nicht auf andere Länder übergeschwappt ist, erklärt Protestforscher Martin Dolezal.
Was ist von der Wut, die vor einem Jahr über Frankreich hereingebrochen ist, noch übrig? Der Salzburger Protestforscher Martin Dolezal erklärt, woran es der GelbwestenBewegung ein Jahr nach ihrem Start krankt.
SN: Wieso konnte die Gelbwesten-Bewegung nicht international mehr Menschen mobilisieren? Martin Dolezal: Protestbewegungen richten sich meist gegen die nationale Politik. Es ist eher eine Ausnahme, dass sich Protestbewegungen internationalisieren wie das bei „Fridays for Future“der Fall war.
SN: Es gab ja aber immer wieder Versuche, die GelbwestenBewegung in andere Länder zu transportieren. Warum hat das nicht funktioniert? Der Gelbwesten-Bewegung fehlt eine klare politische Stoßrichtung. Deshalb fiel es ihr so schwer, sich international zu vernetzen. Zudem haben sich die Forderungen der Gelbwesten explizit an die französische Regierung gerichtet. Anfangs protestierten sie noch gegen eine geplante Steuererhöhung auf Benzin. Irgendwann wurden die Forderungen der Gelbwesten diffuser. Das macht es im Ausland schwieriger, Anknüpfungspunkte zu finden. Welcher Aspekt soll übernommen werden? Wie passt das ins politische Profil? Das wurde nie klar. Das einzig verbliebene Element schien die Unzufriedenheit mit den Regierenden zu sein.
SN: Bräuchten die Gelbwesten eine Greta Thunberg? Also eine Person, die den Protesten vorangeht? Allein, dass wir wissen, wer Greta Thunberg ist, zeigt schon, welche große Bedeutung ein Protestanführer hat. Gerade in der medialen Berichterstattung ist es von Vorteil, wenn die Bewegung eine zentrale Figur hat, die überzeugend eine gewisse Position vertritt und der man auch moralische Werte wie Ehrlichkeit zubilligt. Den Gelbwesten fehlt eine Greta Thunberg.
SN: Würden Sie sagen, der Gelbwesten-Protest war alles in allem erfolgreich? Das kommt darauf an, wie man Erfolg misst. Sieht man sich die Beteiligung bei den Protesten an, dann kann man bei den Gelbwesten beobachten, wie die Mobilisierung abgeflaut ist. Wenn man jedoch die Umsetzung einzelner politischer Forderungen ansieht, hatte die Bewegung Erfolg: Die Erhöhung der Benzinsteuer ist nicht gekommen. Auf der anderen Seite war es wiederum kein Erfolg, dass es bei den Protesten regelmäßig zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen ist.
SN: Die Franzosen haben Streiken fast zu einer Kunst erhoben.
Das liegt daran, dass es in Frankreich keine Sozialpartnerschaften wie in Österreich gibt. Arbeitnehmer tun sich schwer, politische Anliegen zu artikulieren. Für viele ist daher der Streik die einzige Lösung, um ihr Recht einzufordern.
SN: Wie wird es mit der Gelbwesten-Bewegung weitergehen? Prognosen sind immer heikel. Aber ich glaube, wenn die Bewegung kein neues Thema findet, dann wird sie langsam versanden.
Zur Person: Martin Dolezal ist Senior Scientist im Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie an der Uni Salzburg. Er forscht in den Bereichen politische Partizipation und Protest.