Tschechien gedenkt der „Samtenen Revolution“
Vor 30 Jahren wurde das kommunistische Regime binnen weniger Tage weggefegt.
Tschechien und die Slowakei gedenken am Wochenende der Umwälzungen vor 30 Jahren. Mitte November 1989 beendete die „Samtene Revolution“das kommunistische Regime innerhalb nur weniger Tage.
Die Wende begann am 17. November 1989: Bei den größten Protestkundgebungen seit 1969 demonstrierten relativ überraschend Zehntausende in Prag und Bratislava. Die Polizei schlug die Demonstration brutal nieder, was eine Welle der Entrüstung auslöste. Binnen weniger Tage gab die kommunistische Führung dem Druck der Straße nach und trat zurück. Bereits Ende Dezember wurde der bis kurz davor politisch verfolgte Schriftsteller Václav Havel zum Präsidenten gewählt.
Als Vorzeichen der späteren Wende gilt die sogenannte PalachWoche. In der dritten Jänner-Woche 1989 gedachten Bürgerrechtler unter der Führung von Václav Havel des Studenten Jan Palach, der sich am 19. Jänner 1969 aus Protest gegen die Okkupation der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Pakts demonstrativ verbrannt hatte. Das KP-Regime hatte
Angst, dass die historischen Ereignisse umbewertet werden könnten. Die Polizei reagierte brutal auf die Demonstranten, die bloß Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet hatten.
Das Vorgehen der Staatsmacht provozierte weitere Proteste. Erstmals seit 1969 lehnten sich Menschen wieder öffentlich gegen das Regime auf. Havel wurde verhaftet, blieb vier Monate inhaftiert. Auch der damalige Wortführer der Bürgerrechtsbewegung Charta 77, Alexandr Vondra, musste für zwei Monate hinter Gitter. Der Widerstand verstummte nach einer Woche.
Erst am 28. Oktober hatten die Charta 77 und andere Bürgerrechtsorganisationen wieder zu einer Kundgebung aufgerufen. Sie wollten auf dem Prager Wenzelsplatz der Gründung der demokratischen Tschechoslowakei im Jahr 1918 gedenken. Die Polizei ging gegen die mehr als 10.000 Demonstranten erneut mit Schlagstöcken vor.
Oppositionelle Kräfte ließen sich davon nicht einschüchtern. Mehrere Zehntausend Demonstranten versammelten sich dann am 17. November in Prag und Bratislava zu den größten Protestkundgebungen seit 1969. Sie forderten politische Veränderungen sowie die Absetzung des reformunwilligen KP-Parteichefs Miloš Jakeš. Wieder einmal stellte sich die Polizei den Demonstranten entgegen und prügelte auf sie ein. Eine Welle der Entrüstung ging durch das Land.
Aus Protest gegen die Brutalität der Polizei traten in Prag mehr als 20 Theater in einen Streik. Die Theater verwandelten sich in Diskussionsclubs. Im Schauspielclub wurde das „Bürgerforum“gegründet, das sich als eine treibende Kraft für den Fall des Kommunismus etablierte. Die Demonstrationen gingen weiter, immer mehr Menschen nahmen daran teil. Zum Symbol des sanften Widerstands wurden Schlüsselbunde. Die Menschen wollten mit ihren über dem Kopf klingelnden Schlüsseln die Wende einläuten.
Die „Samtene Revolution“zeigte Wirkung, die Ereignisse folgten Schlag auf Schlag: Am 24. November traten KP-Chef Jakeš und die gesamte Führung der Kommunistischen Partei zurück. Am 7. Dezember folgte Regierungschef Ladislav Adamec und drei Tage später legte der kommunistische Staatschef Gustáv Husák sein Amt zurück.
Am 9. Dezember gab der neue Ministerpräsident Marián Čalfa sein Kabinett bekannt. Es wurde die erste nicht kommunistisch dominierte tschechoslowakische Regierung seit 41 Jahren. Und bei der Präsidentenwahl am 29. Dezember 1989 wurde das erste nichtkommunistische Staatsoberhaupt seit 1948 bestimmt: Václav Havel.
Am 30. November beschloss die neue Prager Regierung die Beseitigung des Eisernen Vorhangs an der Grenze zu Österreich. Am 17. Dezember setzten der damalige Außenminister Alois Mock und sein tschechoslowakischer Amtskollege Jiří Dienstbier dann den symbolischen Akt: Sie durchschnitten den Stacheldraht beim Grenzübergang Kleinhaugsdorf-Hate. Die Fotos gingen als Sinnbild für das Ende des Kalten Kriegs um die Welt.