Im rot-weiß-roten Tennis beginnt eine neue Zeitrechnung
Dominic Thiem scheint der Vorreiter für eine neue Erfolgsgeneration im internationalen Tennis zu sein. Wer kann davon profitieren?
Als Thomas Muster am 12. Februar 1996 den Tennisthron bestieg und zur ersten österreichischen Nummer eins wurde, haben viele Wegbegleiter von einem historischen Moment gesprochen. Von einem Moment, der wohl nie wieder eintreten würde. Und es klingt fast unglaublich: 23 Jahre später haben wir mit Dominic Thiem wieder berechtigte Hoffnung, dass wir einen Besten in einer Weltsportart feiern dürfen. Dazu geben nicht nur die Leistungen beim ATP-Finale in London berechtigten Anlass. Viele haben sich als Nachfolger von Rafael Nadal, Novak Djoković oder Roger Federer in Stellung gebracht – der 26-Jährige ist einmal der hoffnungsvollste Anwärter darauf. Egal, wie das Saisonfinale in London an diesem Wochenende ausgeht.
Der aktuell (noch) Fünfte der Weltrangliste könnte mit seinem kontinuierlich und behutsam getätigten Aufstieg das nächste Feuer im rot-weiß-roten Tennis auslösen. So etwas wie eine Erfolgsrenaissance nach den Erfolgen in den 90er-Jahren bei den Herren und Damen. Jetzt heißt es, den Schwung im Land mitzunehmen. Auf den Tennisplätzen in Österreich ist bereits eine zarte Thiem-Mania ausgebrochen. Gerade zur rechten Zeit: Nach dem Abgang von Skisuperstar Marcel Hirscher gierten wir nach neuen Erfolgen eines Sporthelden aus heimischen Gefilden. Im Land der Skination Nummer eins haben die Fans einen aus dem Metier Sommersport, zu dem sie aufschauen.
„Der Tennisaufschwung ist da. Es greifen in Österreich um 30 Prozent mehr Leute zum Schläger“, meinte etwa Servus-TV-Experte Alexander Antonitsch in „Sport und Talk“. Die Sportartikelbranche darf jubeln. Der Nachahmungswert beim „coolen“Jungen aus Lichtenwörth sei schon groß. Es tut wieder gut, im Konzert der Großen mitmischen zu können.
Österreichisch ist eigentlich die Karriere des Dominic Thiem: Anfangs belächelt, weil zu lethargisch oder körperlich zu schwach, glaubten viele nicht an internationale Erfolge. Auf nationaler Ebene: ja. Staatsmeistertitel und so – aber auf der großen Bühne? Doch schon damals wurden Wetten abgeschlossen, die glaubten, der heute 16-fache Turniersieger werde einmal die Nummer eins werden.
2020 könnte das Jahr werden, in dem der Niederösterreicher den ersten Grand-Slam-Triumph feiert. „Wenn sein Körper hält“, schrieb dieser Tage SN-Tennisexperte Christian Mortsch, der seit Jahren den Weg von Thiem bei vielen Turnieren begleitet.
Das „Projekt Thiem“ist eines, von dem nun viele profitieren können – neben dem Tennisprofi selbst und seinem engsten Umfeld natürlich. Vor allem einer: Jetzt muss die Euphorie von Tennis Austria genutzt werden. Warum nicht mit einem aufgefrischten Verband? Mit dem neu gegründeten „Austrian Tennis Committee“wurde ein Anfang gemacht. Diese Initiative wurde bereits mit Sportdirektor Wolfgang Thiem, den Unterstützern Thomas Muster und Barbara Schett sowie einigen Wirtschaftstreibenden in Stellung gebracht. Neue Geldquellen müssen gezielt für Nachwuchsprojekte und Profiförderung eingesetzt werden. Denn es könnte wieder sehr lange dauern, bis sich ein Thiem-Nachfolger bei den Herren in Stellung bringt. Bei den Damen ist nach großartigen Zeiten mit Topspielerinnen wie Barbara Schett, Judith Wiesner oder Barbara Paulus keine in Sicht. Barbara Haas ist derzeit als 150. der WTA-Weltrangliste die Beste.