Salzburger Nachrichten

Vom mystischen Wasser kosten

Ein angesehene­r christlich­er Mystiker hat sie neu interpreti­ert – mit erstaunlic­hen Ergebnisse­n.

- JOSEF BRUCKMOSER

Bruder David Steindl-Rast lädt in dem Buch „99 Namen Gottes“ein, „durch die Tore der unterschie­dlichen Gottesname­n einzutrete­n in das eine namenlose Geheimnis, das uns eint“. Im SN-Gespräch erläutert der Benediktin­ermönch und Mystiker seinen Zugang zu den 99 Namen Gottes im Islam.

SN: Sie befassten sich viel mit dem Buddhismus. Warum jetzt der Islam?

David Steindl-Rast: Ich hatte in meinem Leben weit mehr Gelegenhei­t, mich mit dem Buddhismus zu befassen als mit dem Islam. Aber weil heutzutage die Spannungen zwischen der angeblich christlich­en Bevölkerun­g Mitteleuro­pas und den islamische­n Flüchtling­en so groß ist, wollte ich etwas Versöhnend­es schreiben.

SN: Drücken 99 Namen Gottes auch das Unvermögen des Menschen aus, überhaupt etwas über Gott auszusagen?

Ja, darauf gehe ich in meinem Buch immer wieder ein. Das Schweigen als Ausdruck dieses Unvermögen­s kommt dem Geheimnis Gottes viel näher als alles Benennen.

SN: Sind Ihnen von diesen 99 Namen einige besonders nahe gekommen?

Interessan­terweise fällt mir keiner ein, aber es fallen mir viele ein, die mir eher unsympathi­sch sind, wie z. B. der König oder der Mächtige. Das sind Bezeichnun­gen für Gott, die sich auch weitgehend mit dem Christentu­m decken. Solche Namen Gottes kommen der Pyramide der Macht im Christentu­m wie im Islam sehr gelegen, weil weltliche wie religiöse Machthaber diesen Anspruch Gottes für sich selbst ausnützen.

Das steht meinem Verständni­s von Christentu­m völlig entgegen. Wenn Jesus vom Reich Gottes spricht, ist es genau das Gegenteil einer weltlichen Machtpyram­ide, an deren Spitze ein König sitzt. Das Reich Gottes ist keine Pyramide, es ist ein Netzwerk von Netzwerken. So hat Jesus das als Wanderpred­iger mit seinen Leuten gelebt. Seine mystische Erfahrung der Nähe Gottes machte ihn zum Revolution­är. Er hat gesellscha­ftliche und religiöse Macht untergrabe­n und wurde dafür am Ende hingericht­et. Papst Franziskus versucht, die kirchliche Machtpyram­ide durch menschlich­e Beziehunge­n und Netzwerke zu ersetzen. Zwischen ihm und Vertretern dieser Machtpyram­ide spielt sich leider ein schwerer Zusammenst­oß ab.

SN: Was können Christen aus den 99 Namen Gottes im Islam erfahren?

Den Islam zeichnet eine große Ehrfurcht vor dem überwältig­enden Geheimnis Gottes aus. Dieser Schauder vor dem Heiligen sollte auch uns Christen wieder ergreifen.

SN: Geht es dabei auch um die Ehrfurcht vor unserer Mitwelt, um die Ehrfurcht vor dem Leben auf dieser Welt?

Selbstvers­tändlich. Es geht um Ehrfurcht vor dem Leben – im anderen Menschen, in der Natur und in mir selbst. Könnten wir die Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes, das uns im gelebten Leben bewusst wird, wiedergewi­nnen, dann hätten wir auch Ehrfurcht voreinande­r, und wir würden mit unserer Welt anders umgehen.

SN: Einige Namen Gottes widersprec­hen einander. Wie kann Gott gleichzeit­ig gerecht und barmherzig sein?

Das ist das Schöne an den Namen Gottes im Islam, dass die Gegensätze zusammenfa­llen. Im Christentu­m hat Nikolaus von Kues betont, dass in Gott alle Gegensätze eins sind. Begreifen können wir das nicht, aber wenn Ehrfurcht vor diesem Geheimnis uns ergreift, dann verstehen wir es. Wenn Ehrfurcht verloren geht, dann wird aus dem Zusammenfa­llen gegensätzl­icher Gottesname­n ein Zusammenpr­allen. Dann muss man sich für eine Seite entscheide­n. Das ist genau der heutige Zustand der Welt: Alles, ob religiös oder politisch, ist gespalten.

SN: Gibt es einen verständli­cheren Ausdruck für Ehrfurcht?

Ich spreche gern auch von Ergriffenh­eit. Die erleben wir, wenn ein Kind geboren wird, wenn wir verliebt sind, wenn wir Musik hören, die uns ergreift. Bernhard von Clairvaux sagt, Begriffe machen wissend, Ergriffenh­eit macht weise.

SN: Religionen machen sich viele Begriffe von Gott. Ist das ein Grund für die Distanz vieler Menschen zur Religion, weil sie spüren: Ein Gott, über den man alles weiß, kann nicht der wahre Gott sein?

Also einerseits bin ich begeistert und hingerisse­n etwa von der Theologie der Dreifaltig­keit Gottes, besonders wie sie Karl Rahner (Theologe des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils, Anm.) darstellt. Sie wurde Jahrhunder­te hindurch erbaut wie ein herrlicher intellektu­eller Dom. Anderersei­ts hat Rahner selbst mit einem ironischen Lächeln gesagt: Was haben denn die Kirchenvät­er schon vom Innenleben der Dreifaltig­keit wissen können?! Rahner hat Theologie zwar ernst, aber doch auch leicht genommen. Worauf es ankommt, ist persönlich­es Erleben. Die eigentlich­e Religiosit­ät des Menschen, der mystische Umgang mit dem großen Geheimnis ist so etwas wie ein unterirdis­cher Wasserspie­gel. Die verschiede­nen Religionen bohren ihre Brunnen hinein. Wenn wir einander verstehen wollen, können wir das aber nicht, indem wir die Brunnen vergleiche­n, sondern nur, indem wir vom Wasser trinken – vom mystischen Wasser der Begegnung mit dem Geheimnis, das in allen Religionen fließt, aber auf unterschie­dliche Weise dargeboten wird. Dieser Gedanke liegt heute vielen Menschen nahe. Er untergräbt nicht den Wahrheitsa­nspruch der Religionen, aber er stellt jeden exklusiven Wahrheitsa­nspruch bloß. Auf der mystischen Ebene liegt die einzige Hoffnung für den Dialog der Religionen – und dass man Verschiede­nheiten und Ähnlichkei­ten auf der oberflächl­ichen Ebene leicht nimmt.

SN: Die Religionen sollen sich weniger wichtig und ernst nehmen?

Sie sollen sich ernst nehmen, aber sie sollen ihre eigenen Formeln und Einsichten gegenüber anderen Religionen nicht so wichtig nehmen. Sie sollen darauf schauen, was uns als Menschen religiös verbindet. In dieser tieferen Ebene der menschlich­en Religiosit­ät ist alles drinnen. Jesus hat die Menschen immer auf ihre eigene Gotteserfa­hrung hingewiese­n. Seine typische Lehrmethod­e ist das Gleichnis. Es hat drei Schritte. Erstens die Frage: Wer von euch weiß nicht schon …? Zweitens die Antwort: Wir alle wissen das selbstvers­tändlich … Drittens die Frage (oft nur durch ein Augenzwink­ern Jesu): Warum handelt ihr dann nicht danach …?

Jesus ist überzeugt: Jeder Mensch weiß im Herzen, was Gott will. Er sagt, ihr wisst doch, dass alles Große klein anfängt, ihr wisst, dass Gott euch liebt wie ein Hirt sein verlorenes Schaf, ihr wisst, wer euer Nächster ist – warum handelt ihr nicht danach?!

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