WIRTSCHAFT
Nach dem Abschied aus der Bank will sich Andreas Treichl als Aufsichtsratschef der Erste Stiftung um die Finanzbildung junger Menschen kümmern. Sorgen bereitet ihm der Nullzins, der mache private Altersvorsorge praktisch unmöglich.
Andreas Treichl will sich nach seinem Abschied aus der Bank vor allem um die Finanzbildung junger Menschen kümmern.
Nach 22 Jahren an der Spitze gibt Andreas Treichl die Führung der Erste Group zu Jahresende ab. Im Gespräch mit den Chefredakteuren der SN, der anderen Bundesländerzeitungen und der „Presse“spricht Treichl über die Zukunft des Bankgeschäfts und seine eigenen Pläne.
SN: Andreas Treichl im Ruhestand – das ist schwer vorstellbar. Andreas Treichl: Ich stelle mich schon jetzt auf größere Ruhe ein. Aber ich werde nicht vollkommen arbeitsfrei sein, da ich mich um die Erste Stiftung kümmern werde.
SN: Überwiegt bei Ihnen nun die Freude oder die Wehmut? Wehmut habe ich eigentlich gar keine. Denn ich freue mich schon, mich im Rahmen der Stiftung verstärkt um das Thema Finanzbildung und um jene Menschen zu kümmern, um die sich die Bank nicht profitabel kümmern kann. An das neue Management gab es nur eine Vorgabe: Sie müssen die Erste Group so positionieren, dass wir uns in einigen Jahren nicht mehr als Bank bezeichnen, sondern als Financial Health Group.
SN: Was heißt das? Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen und Betriebe ein gesundes Finanzleben führen können. Denn finanzielle Gesundheit ist nach der physischen Gesundheit das Wichtigste. Wir werden daher anders ausgebildete Mitarbeiter haben als jetzt. Viel weniger, aber sicher keine mehr, die uns – wie heute in Tschechien oder der Slowakei – mit zehn Prozent höheren Gehältern vom Lidl abgeworben werden. Denn es ist etwas anderes, Bankprodukte zu verkaufen, als zu sagen: Du kümmerst dich um das Zweitwichtigste im Leben der Menschen. Das ist die einzige Chance, wie wir einen Wert erzeugen können, den Fintechs oder Konzerne wie Amazon oder Google sicherlich nie werden liefern können.
SN: Wird es Bankfilialen dann noch geben? Ja. Natürlich wird es immer mehr digitale Angebote geben. Und zusammen mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz werden 80 bis 90 Prozent aller Themen eines Finanzlebens ohne fremde Hilfe geschafft werden. Wenn ich aber einmal ein Problem habe, dann möchte ich zu jemandem, dem ich vertraue. Die erste Wohnung wird auch in 20 Jahren nicht online gekauft werden.
SN: Das heißt, die Filialbank ist nicht tot? Nein, sicherlich nicht. Denn die persönliche Beratung wird wichtiger werden. Der althergebrachte Schalter ist tot oder wird sterben. Darauf stellen wir uns mit dem neuen Filialkonzept schon ein.
SN: Was machen Sie heute, was Sie als Bank in Zukunft nicht mehr machen würden? Umsatzgetriebene Verkaufsaktionen von Bausparverträgen wird es zum Beispiel nicht mehr geben.
SN: Was wird dieser Wandel für Ihre Rendite und Ihre Aktionäre bedeuten?
Ich würde die Frage umdrehen: Wenn wir es nicht schaffen, damit eine gute Rendite zu erwirtschaften, werden uns die Investoren kein Geld mehr geben. Und dann werden wir scheitern.
SN: Wie werden sich diese Änderungen auf den gesamten Bankensektor und auf die Erste Group auswirken? Ich glaube fest daran, dass wir massiv zulegen werden. Derzeit sind wir Frontrunner, sowohl im Digitalbereich als auch bei unserer gesellschaftlichen Funktion. Und wenn die anderen nicht aufwachen, dann werden wir einmal 100 Prozent Marktanteil haben.
SN: Ein Blick zurück: Wie knapp stand man damals bei der Finanzkrise am Abgrund?
Es war gar nicht so dramatisch, wie es rübergekommen ist. Wir hatten 2009 ein sehr gutes Ergebnis. Zwischen Frühjahr 2008 und Anfang 2009 wurde halt wegen der Verunsicherung der gesamte Marktwert, den wir in den zwölf Jahren zuvor aufgebaut hatten, ausradiert. Das hat zwar nur zwei Monate gedauert, war aber ein extremer Schock. Wenn wir gewusst hätten, dass diese Stimmung nur so kurz dauert, hätten wir uns auch das Partizipationskapital sparen können.
SN: Wie schlimm war es seinerzeit, vom Staat Hilfe annehmen zu müssen? Ich hatte zwei andere Angebote für privates Kapital. Insofern hätte ich auch darauf verzichten können. Die Politik hat damals aber darauf bestanden. Denn es gab auch Banken, denen es wesentlich schlechter ging und die kein privates Kapital erhalten hätten. Das Argument war, wenn wir es nicht nehmen, nehmen es die anderen auch nicht.
SN: Wie war die Stimmung, auch rund um die Hypo? Da war die Stimmung sehr düster. Der Unterschied war ja auch, dass wir zuerst noch mit der Regierung Gusenbauer-Molterer verhandelt haben. Da hatte man den Eindruck, die Beteiligten verstehen die Thematik. Das hat sich mit der nächsten Regierung anfangs dann drastisch geändert. Das war eine Zeit lang wirklich beklemmend.
SN: War ersichtlich, dass die Hypo so ein Problem wird? Ich hätte es anders gelöst. Man hätte die Bayern nicht aus der Verantwortung lassen dürfen. Das war ein absehbarer Bluff von ihnen.
SN: Die Krise ist zehn Jahre her. Wurde aus den Fehlern gelernt? Ich glaube, es gibt eine massive Verschiebung aus der regulierten Finanzwelt in die unregulierte Finanzwelt. Da braut sich etwas zusammen, was die nächste Krise hervorrufen wird. Bei der regulierten Finanzwelt in Europa würde es mich extrem wundern, wenn da in den nächsten 20 Jahren ein Problem entstehen würde. Außer ein Ertragsproblem. Natürlich gibt es Firmen, die bei normalen Zinsen nicht überlebensfähig wären. Entscheidender ist aber die Frage, wie dann die Staatsfinanzen aussehen würden, denn die niedrigen Zinsen wurden bisher nicht genutzt.
SN: Werden wir auf absehbare Zeit wieder einen real positiven Zins sehen? Nein, ich kann mir keine Entwicklung vorstellen, die in den nächsten Jahren dazu führt, dass wir wieder real positive Zinsen sehen. Die einzige Möglichkeit, wie es zu einer starken Inflation kommen könnte, ist, dass durch die Klimaerwärmung eine massive Verteuerung entsteht – etwa beim Transport. Die Probleme der Nullzinsen – etwa das Ende jeglicher privaten Pensionsvorsorge – sind leider schlecht politiktauglich, da sie erst langfristig auftreten werden. Für die Umwelt kann sich die Jugend dank Greta Thunberg begeistern. Für Zinsen geht niemand auf die Straße demonstrieren.
SN: Anderes Thema: Wie erklären Sie sich eigentlich die Liebe der Österreicher zum Bargeld? Der Österreicher hat eine größere Abneigung gegenüber Transparenz als etwa Skandinavier. Bargeld bedeutet, ich kann mir etwas kaufen, ohne dass jeder weiß, dass ich es besitze. Dafür habe ich auch großes Verständnis. Aber das wird es in Zukunft nicht mehr spielen.
SN: Die Befürworter des Bargelds argumentieren auch, dass Negativzinsen leichter durchzusetzen sind, wenn es nur mehr elektronische Guthaben gibt. Eine übertriebene Angst oder eine berechtigte Sorge? Das ist absolut berechtigt. Auch wir als Erste haben relativ große Barbestände. Die Versicherungsprämie, die wir dafür bezahlen, liegt bei 25 Basispunkten. Damit sparen wir uns 25 Basispunkte gegenüber dem negativen Einlagenzinssatz bei der EZB. Insofern ist es natürlich auch ärgerlich, dass der 500-Euro-Schein abgeschafft wird. Zwei Milliarden in 500ern zu lagern ist billiger als zwei Milliarden in Hundertern.
SN: Offiziell ist das eine Maßnahme im Kampf gegen Schwarzarbeit. Ist es in Wirklichkeit der Kampf gegen jene, die ins Bargeld flüchten wollen? Beides stimmt. Wobei ich grundsätzlich für mehr Transparenz bin, weil so Korruption eliminiert wird.
SN: Zum Abschluss: Was sind abseits der Stiftung Ihre Pläne für die Zukunft. Wie wird sich Ihr Leben verändern? Ich glaube nicht, dass sich wahnsinnig viel verändern wird. Ich wollte eigentlich drei Monate verschwinden. Irgendwo mit dem Rucksack hinfliegen, zum Beispiel nach Nepal. Aber das geht nicht, weil meine Frau nicht mitkommen kann und ich das Thema Finanzbildung vorbereiten muss. Es wird gerade der Lehrplan für 2022/23 erstellt, und ich möchte alles tun, damit Wirtschaft und Finanzkunde als Pflichtfach ab der ersten Klasse der Sekundarstufe eingeführt wird. Das soll auch völlig ideologiefrei geschehen, sondern nur mit Fakten. Was ist der Unterschied, wenn ich auf 30 Jahre ein halbes Prozent Zinsen bekomme oder vier Prozent? Wie funktioniert ein Unternehmen? Wie finanziert sich ein Staat? Das sollten die jungen Leute lernen.
SN: Eventuell müssten Sie da mit einem grünen Bildungsminister verhandeln. Ich habe mit den Grünen, mit denen ich beruflich Kontakt hatte, immer sehr gut zusammengearbeitet. Vor allem mit Vertretern der grünen Wirtschaft. Es gibt viele gute Leute bei den Grünen. Und ich glaube auch, dass eine türkis-grüne Regierung – anders als Türkis-Blau – bei manchen Zukunftsthemen wie Klimawandel, aber auch der Unmöglichkeit der privaten Pensionsvorsorge, wesentlich langfristiger denken wird.