Türkis-Grün: Die ganz große Oper
Zu den erstaunlichsten Ereignissen der türkis-grünen Regierungswerdung zählt der Umstand, dass Werner Kogler bei jeder zweiten Gelegenheit einen schlagenden Burschenschafter zitiert, nämlich den Soziologen Max Weber.
Weber war ein überaus kluger Kopf. Von ihm stammt die bekannte Definition von Politik als das beharrliche Bohren harter Bretter (was für Koalitionsverhandler eine bedenkenswerte Lehre ist). Er arbeitete den Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik heraus (worauf Kogler bemerkenswert oft hinweist). Und er war eben auch Burschenschafter. Dem Vernehmen nach sogar ein besonders eifrig fechtender. Weber soll mehr als 40 Duell-Forderungen ausgesprochen haben.
Würde ein FPÖ-Parteichef so jemanden zitieren, würde man sagen: typisch! Bei einem grünen Parteichef sagt man nichts. Womit schon einiges darüber ausgesagt ist, welcher Vorteil für Sebastian Kurz damit verbunden wäre, die Blauen als Koalitionspartner durch die Grünen zu ersetzen.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch liegen vermutlich zwei oder sogar mehr Monate vor Kurz, ehe er sich Ex-Altkanzler nennen lassen kann.
Eine solche lange Zeit muss klarerweise irgendwie strukturiert werden. Das ist wie bei der Grand opéra im Paris des 19. Jahrhunderts. Sie dauerte oft mehr als fünf Stunden und hatte daher, damit das Publikum sich auskannte, nach fixen, vom Komponisten strikt einzuhaltenden Regeln abzulaufen.
Die Länge der Akte und der Pausen war von vornherein festgelegt, damit man zwischendurch essen gehen konnte. Und, ganz wichtig: Das Ballett musste immer im zweiten Akt sein. Dies deshalb, da die Pariser Lebemänner ein lebhaftes künstlerisches Interesse an Balletteusen
zeigten. In der Pariser Oper gab es sogar einen eigenen Raum, in dem sich die Herren nach der Vorstellung mit den Balletttänzerinnen treffen konnten, um …, na ja, um ihnen ihre Briefmarkensammlung zu zeigen.
Zugang zu dem Raum mit den Tänzerinnen hatten übrigens nur Saisonkartenbesitzer. (Heute würde man von einem jö-Treuebonus sprechen.)
Vor der Sache mit den Briefmarken wollten die Herren ihre Auserwählte aber tanzen sehen. Und da sie während des ersten Akts vielleicht noch im Bureau zu tun hatten, bestanden sie darauf, dass das Ballett erst im zweiten Akt stattfand. Wehe, ein Komponist richtete sich nicht danach. Als Richard Wagner in Paris seinen „Tannhäuser“vorstellte, provozierte er einen Eklat: Das Ballett war im ersten Akt! Logisch, dass sein Werk prompt durchfiel.
Nach ähnlich fixen Regeln laufen Regierungsbildungen ab. Erster Akt: Wahltag. Zweiter Akt: Marsch zum Bundespräsidenten. Dritter Akt: Sondierungen. Vierter Akt: Koalitionsverhandlungen.
Fünfter Akt: Einigung, Angelobung und Regierungserklärung. – Alles vorgeschrieben wie in einer Grand opéra.
Damit auch etwas Prickelndes dabei ist, darf eine kleine Verhandlungskrise im vierten Akt nicht fehlen. Sie kann aber auch im fünften Akt sein, so streng ist man heutzutage nicht mehr.
Auch alle anderen Anforderungen der Grand opéra werden erfüllt. Das verschwenderische Bühnenbild bildet das barocke Winterpalais des Prinzen Eugen. Und die Tanzeinlagen besorgen wir Medienleute, indem wir das Geschehen gefällig umwabern wie das Corps de ballet, nur ohne Spitzenröckchen.
Es gab übrigens auch Kritiker der Grand opéra. Für sie waren diese beim Publikum überaus beliebten Aufführungen nichts als leere Effekthascherei. Der erwähnte Richard Wagner spottete über ihre „Wirkung ohne Ursache“. Bei der aktuellen Regierungsbildung die ebenfalls eine starke Publikumswirkung ausübt, ist das natürlich ganz anders.