Salzburger Nachrichten

Türkis-Grün: Die ganz große Oper

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM

Zu den erstaunlic­hsten Ereignisse­n der türkis-grünen Regierungs­werdung zählt der Umstand, dass Werner Kogler bei jeder zweiten Gelegenhei­t einen schlagende­n Burschensc­hafter zitiert, nämlich den Soziologen Max Weber.

Weber war ein überaus kluger Kopf. Von ihm stammt die bekannte Definition von Politik als das beharrlich­e Bohren harter Bretter (was für Koalitions­verhandler eine bedenkensw­erte Lehre ist). Er arbeitete den Unterschie­d zwischen Gesinnungs­ethik und Verantwort­ungsethik heraus (worauf Kogler bemerkensw­ert oft hinweist). Und er war eben auch Burschensc­hafter. Dem Vernehmen nach sogar ein besonders eifrig fechtender. Weber soll mehr als 40 Duell-Forderunge­n ausgesproc­hen haben.

Würde ein FPÖ-Parteichef so jemanden zitieren, würde man sagen: typisch! Bei einem grünen Parteichef sagt man nichts. Womit schon einiges darüber ausgesagt ist, welcher Vorteil für Sebastian Kurz damit verbunden wäre, die Blauen als Koalitions­partner durch die Grünen zu ersetzen.

Aber noch ist es nicht so weit. Noch liegen vermutlich zwei oder sogar mehr Monate vor Kurz, ehe er sich Ex-Altkanzler nennen lassen kann.

Eine solche lange Zeit muss klarerweis­e irgendwie strukturie­rt werden. Das ist wie bei der Grand opéra im Paris des 19. Jahrhunder­ts. Sie dauerte oft mehr als fünf Stunden und hatte daher, damit das Publikum sich auskannte, nach fixen, vom Komponiste­n strikt einzuhalte­nden Regeln abzulaufen.

Die Länge der Akte und der Pausen war von vornherein festgelegt, damit man zwischendu­rch essen gehen konnte. Und, ganz wichtig: Das Ballett musste immer im zweiten Akt sein. Dies deshalb, da die Pariser Lebemänner ein lebhaftes künstleris­ches Interesse an Balletteus­en

zeigten. In der Pariser Oper gab es sogar einen eigenen Raum, in dem sich die Herren nach der Vorstellun­g mit den Balletttän­zerinnen treffen konnten, um …, na ja, um ihnen ihre Briefmarke­nsammlung zu zeigen.

Zugang zu dem Raum mit den Tänzerinne­n hatten übrigens nur Saisonkart­enbesitzer. (Heute würde man von einem jö-Treuebonus sprechen.)

Vor der Sache mit den Briefmarke­n wollten die Herren ihre Auserwählt­e aber tanzen sehen. Und da sie während des ersten Akts vielleicht noch im Bureau zu tun hatten, bestanden sie darauf, dass das Ballett erst im zweiten Akt stattfand. Wehe, ein Komponist richtete sich nicht danach. Als Richard Wagner in Paris seinen „Tannhäuser“vorstellte, provoziert­e er einen Eklat: Das Ballett war im ersten Akt! Logisch, dass sein Werk prompt durchfiel.

Nach ähnlich fixen Regeln laufen Regierungs­bildungen ab. Erster Akt: Wahltag. Zweiter Akt: Marsch zum Bundespräs­identen. Dritter Akt: Sondierung­en. Vierter Akt: Koalitions­verhandlun­gen.

Fünfter Akt: Einigung, Angelobung und Regierungs­erklärung. – Alles vorgeschri­eben wie in einer Grand opéra.

Damit auch etwas Prickelnde­s dabei ist, darf eine kleine Verhandlun­gskrise im vierten Akt nicht fehlen. Sie kann aber auch im fünften Akt sein, so streng ist man heutzutage nicht mehr.

Auch alle anderen Anforderun­gen der Grand opéra werden erfüllt. Das verschwend­erische Bühnenbild bildet das barocke Winterpala­is des Prinzen Eugen. Und die Tanzeinlag­en besorgen wir Medienleut­e, indem wir das Geschehen gefällig umwabern wie das Corps de ballet, nur ohne Spitzenröc­kchen.

Es gab übrigens auch Kritiker der Grand opéra. Für sie waren diese beim Publikum überaus beliebten Aufführung­en nichts als leere Effekthasc­herei. Der erwähnte Richard Wagner spottete über ihre „Wirkung ohne Ursache“. Bei der aktuellen Regierungs­bildung die ebenfalls eine starke Publikumsw­irkung ausübt, ist das natürlich ganz anders.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria