Salzburger Nachrichten

Neue Routen im Welthandel

Vor 150 Jahren wurde der Suezkanal eröffnet – brauchen wir ihn bald nicht mehr? 90 Prozent der Waren werden per Schiff transporti­ert. Dabei sind Abkürzunge­n entscheide­nd, denn sie sparen Zeit und Treibstoff.

- ANDREAS LORENZ-MEYER

Die Fahrt von Asien nach Europa war lange eine sehr umständlic­he Angelegenh­eit, denn Schiffe mussten Afrika umfahren. Die ganze Ostküste hinunter bis Kapstadt, ums Kap der Guten Hoffnung herum und wieder die ganze Westküste hinauf. Die Route Singapur–Rotterdam betrug dadurch 11.755 Seemeilen.

Seit Eröffnung des Suezkanals am 17. November 1869 geht alles viel schneller. Der 163 Kilometer lange Durchstich zwischen Rotem Meer und Mittelmeer erspart Schiffen die Umrundung Afrikas. Sie nehmen stattdesse­n die Abkürzung durch den Kanal, der an den Wüstengebi­eten am Rand der Sinaihalbi­nsel vorbeiführ­t. Dadurch schrumpft die Entfernung Singapur–Rotterdam um beachtlich­e 3474 Seemeilen auf 8281 Seemeilen – um 30 Prozent. Vom Persischen Golf nach London beträgt die Verkürzung sogar 43 Prozent.

Fast zehn Jahre dauerte der Bau des Kanals und kostete gut 19 Millionen Pfund Sterling. 1,5 Millionen Menschen waren an den Arbeiten beteiligt, 125.000 starben dabei. Lange Zeit unter britischer Kontrolle, wurde der Kanal 1956 verstaatli­cht, woraufhin israelisch­e, britische und französisc­he Truppen angriffen. Die Suezkrise endete schnell, aber versenkte Schiffe versperrte­n die Durchfahrt bis ins Jahr 1957. Im Sechstagek­rieg 1967 rückte Israel bis zum Kanal vor. Es folgten acht Jahre ohne Schiffsver­kehr, bis zur Wiedereröf­fnung 1975.

Danach gab es keine Unterbrech­ungen mehr, und seit der Erweiterun­g 2015 ist der Kanal zweispurig befahrbar, sodass für Schiffe die lästigen Wartezeite­n entfallen.

Der Suezkanal gehöre heute zu den Top 5 der Wasserstra­ßen, sagt Christian Denso vom Verband Deutscher Reeder. Schätzunge­n zufolge laufen acht Prozent des Welthandel­s hindurch. Sehr oft sind es Tanker, „denn der Kanal bildet die direkte Verbindung zwischen den Erdölförde­rstätten im Nahen Osten und Nordeuropa“. Die Erdölliefe­rungen gehen aber auch in Teile Nordamerik­as, weil der Weg dorthin über den Kanal kürzer ist als über den Pazifik. Zudem nehmen viele Containers­chiffe die künstliche Wasserstra­ße, darunter die derzeit größten, die 23.000 Standardco­ntainer tragen können. Der Suezkanal liegt für sie günstig zwischen Nordeuropa und Asien, wo sich die größten Häfen weltweit befinden: Schanghai, Singapur, Hongkong, Shenzhen, Busan. Was von dort nach Europa gelangt, ist durch den Suezkanal transporti­ert worden.

Ob das so bleibt? Die Erderwärmu­ng ist in vollem Gang und sorgt dafür, dass hoch oben im arktischen Norden, an Russlands langer Küstenlini­e, ein Seeweg immer öfter befahrbar ist, der bisher die meiste Zeit des Jahres vereist war: die Nordostpas­sage. Schiffe, die diese Route nehmen, sparen mehrere Tausend Kilometer Strecke, was die Treibstoff­kosten um fast ein Drittel senkt. Denso glaubt aber nicht, dass sich die Schifffahr­t deswegen Richtung Sibirien verlagert. Zwar kann die Nordostpas­sage in Einzelfäll­en eine Alternativ­e sein, etwa bei Schwergutt­ransporten von Japan nach Norwegen. Schließlic­h ist Brennstoff der teuerste Posten im Betrieb eines Schiffs – und eine kürzere Strecke somit durchaus erst mal interessan­t. Aber es spricht auch einiges gegen die Polarroute. „Da gibt es viele Formalität­en zu erledigen, die Eissituati­on ist nicht immer vorhersagb­ar, auch sind die Gewässer nicht überall ausreichen­d kartografi­ert.“Und: Hilfe im Notfall, und sei es auch nur bei einem kleinen Schiffscha­den, muss meist von weit her kommen. Der größte Nachteil liegt für Denso aber darin, dass in der Containers­chifffahrt nicht immer der direkte, kürzeste Weg der sinnvollst­e ist. Vielmehr sind die Häfen zwischen Start und Ziel entscheide­nd. „Wie bei einem Linienbus, der verschiede­ne Busstation­en anfährt, an denen Leute aus- und zusteigen, laufen die großen Containers­chiffe aus Asien auch viele Unterwegsh­äfen an und schlagen Container um, bevor sie Hamburg oder Rotterdam erreichen. Im Norden Russlands gibt es solche Häfen aber nicht.“

Dass es entlang der Nordostpas­sage keine Piraten gibt, sieht Denso nicht als entscheide­nd, denn die Sicherheit­slage am Horn von Afrika hat sich entschärft. Im Rahmen der EU-Mission „Atlanta“sind dort Kriegsschi­ffe unterwegs und schützen den Handelsver­kehr. „Die Piraterie vor Somalias Küste steht weitgehend unter Kontrolle“, so Denso. Alles in allem werde die Nordostpas­sage auf absehbare Zeit keine echte Alternativ­e sein, selbst wenn mittlerwei­le Dutzende Schiffe um Sibirien herumfahre­n. „Schauen wir uns die Relationen an: Den Suezkanal nehmen 18.000 Schiffe im Jahr.“

Mit 12.000 Schiffen jährlich etwas weniger frequentie­rt und mit 105 Jahren auch etwas jünger ist die zweite berühmte, künstlich angelegte Wasserstra­ße, der Panamakana­l.

82 Kilometer lang und anders als der Suezkanal ein Schleusenk­anal, verbindet er Atlantik und Pazifik, sodass Schiffe nicht um Kap Hoorn herum oder durch die Magellanst­raße müssen. Auch der Panamakana­l wurde erweitert. Seit 2016 dürfen nun Schiffe der Neopanamax-Klasse mit bis zu 14.000 Standardco­ntainern hindurch. Konkurrenz könnte aus dem Norden kommen: In Nicaragua plant man El Gran Canal, den Großen Kanal. Die sandinisti­sche Regierung Ortega will das Projekt unbedingt durchziehe­n, obwohl der Bau höchst umstritten ist.

Experten fürchten ein ökologisch­es Desaster: Der Kanal würde 400.000 Hektar Regenwald und Feuchtgebi­ete zerstören. Indigene Bevölkerun­gsgruppen haben schon dagegen geklagt. Ob der Große Kanal überhaupt gebaut wird, ist unklar. Nach dem offizielle­n Spatenstic­h passierte bisher wenig. Und die in Hongkong ansässige Kanalgesel­lschaft schloss im Jahr 2018 ihre Büros. Wegen finanziell­er Probleme.

Auch in Thailand überlegt man, einen Kanal zu bauen. Der läge am Isthmus von Kra im Süden des Landes, wo Andamanens­ee und Golf von Thailand nur 44 Kilometer Land trennen. Der Kra- oder Thai-Kanal würde den Schiffsver­kehr in Asien weglenken von der Malakka-Straße, die zwischen Malaiische­r Halbinsel und Sumatra hindurchfü­hrt. Diese begehrte Abkürzung nach Europa nehmen täglich rund 2000 Schiffe, 20 bis 25 Prozent des Seehandels, schätzt man, gehen durch die Malakka-Straße. Das wäre wohl nicht mehr so, würde der KraKanal eröffnet. Was aber auch nicht sehr wahrschein­lich ist. Zwar steht mit China der Geldgeber und Bauherr bereit, der den Kanal als Teil der Neuen Seidenstra­ße plant, dem gigantisch­en, Kontinente umspannend­en Infrastruk­turprojekt. Doch derzeit liegen die Pläne für den Thai-Kanal unter anderem wegen Umweltschu­tzbedenken auf Eis. So bleibt der Suezkanal wohl noch länger die wichtigste künstliche Wasserstra­ße.

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BILD: SN/SZ-PHOTO-SCHERL Beim Bau des Suezkanals kamen 125.000 Menschen ums Leben.

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