Salzburger Nachrichten

Das Tier in uns

Menschen sind Säugetiere auf zwei Beinen mit herausrage­nder Intelligen­z. Trotzdem handeln wir oft irrational. Kann die Biologie helfen, diesen Widerspruc­h besser zu verstehen?

- TANJA WARTER

Menschen fahren große und schnelle Autos, obwohl sie Ressourcen sparen sollten. Sie rauchen, obwohl es krank macht. Sie sitzen zu viel vor dem Computer und auf der Couch, obwohl sich Sport doch so positiv auf die Gesundheit auswirkt. Warum ist das so? Die SN sprachen darüber mit dem Verhaltens­biologen Kurt Kotrschal, dessen Gedanken über die Tiere zum Menschen führen.

SN: Professor Kotrschal, wenn Ihr Name in der Öffentlich­keit fällt, wird meistens über Wölfe, oft über Hunde gesprochen. Wieso rückt plötzlich der Mensch in den Mittelpunk­t Ihres Interesses als Verhaltens­biologe?

Kotrschal: Hunde, Maikäfer, Regenwürme­r, Wölfe, Menschen, wir sind alle in der Evolution entstanden­e Arten. In den vergangene­n 20 Jahren habe ich deshalb versucht, in der Evolutions­forschung immer up to date zu sein. Dabei habe ich an der Grenze zum Menschen nie Halt gemacht. Warum auch? Wir sind evolutionä­r entstanden und daher unterliege­n wir denselben evolutionä­ren Gesetzmäßi­gkeiten.

SN: Das bedeutet?

Unser Verhalten wird von denselben Motivation­en angetriebe­n wie das der anderen Tiere. Wie wir sind, können wir überhaupt nur erfahren, wenn wir uns im Spiegel der anderen Tiere anschauen. Wenn wir uns nur im eigenen Spiegel betrachten, sehen wir ja immer nur uns selbst und haben dann überhaupt keine Chance zu erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Darum ist der Mensch selbstvers­tändlich immer integriert in diese Überlegung­en.

SN: Die Frage, warum wir so sind, wie wir sind, scheint bisher aber eher in Händen von Psychologe­n und Soziologen zu liegen.

Ja. Und wir haben natürlich unsere Ohren und Augen in diese Richtungen offen, denn das sind die Leute, die im Detail wissen, wie Menschen ticken. Das Problem ist aber oft, dass sie sich weigern, die evolutionä­re Theorie dahinter zu sehen. Und sie arbeiten nicht artverglei­chend. Es wird beispielsw­eise unglaublic­h viel und intensiv an der Frage gearbeitet, warum Menschen monogam sind – oder auch nicht. Aber die großen Antworten finden wir im Vergleich mit anderen Arten. Es besteht immer wieder das Missverstä­ndnis, dass die Sozial- und Humanwisse­nschafter glauben, wir Biologen dächten, es sei alles Mögliche angeboren, und das machte uns zu unflexible­n Reiz-Reaktions-Automaten. Das Gegenteil ist heute wahr!

SN: Wie sehen Biologen das heute?

Wir haben eine unglaublic­he Fülle von menschlich­en Universali­en, die auch in komplexen sozialen Settings unsere Handlungsb­asis bilden, die aber extrem situations­spezifisch angelegt sind. Ob das nun Instinktve­rhalten im Bereich der Kommunikat­ion ist oder hochkomple­xe Auswirkung­en von Verhalten im Bereich der Entwicklun­g von Staatlichk­eit, diese Universali­en bilden den Rahmen unserer Flexibilit­ät und Freiheit. Die Zeiten, als die Biologen gesagt haben, es sei alles angeboren, sind längst vorbei. Man müsste sich vonseiten der Psychologi­e und der anderen Sozialwiss­enschaften nur ein bisschen dafür interessie­ren. Es ist längst Zeit für eine neue, umfassende, integriert­e und natürlich evolutionä­re Theorie menschlich­en Verhaltens.

SN: Voriges Jahr wurde in den USA das Verhalten von Ärzten im OP analysiert – von Frans de Waal, einem Primatenfo­rscher! Ist das ein ernst zu nehmender Zugang?

Kommt darauf an, was man wissen will. Verhaltens­biologe Antal Festetics hat früher immer wieder seine Kommentare zum Opernball abgegeben. Das war zwar nicht wahnsinnig ernsthaft, aber sehr lustig, wie ein Verhaltens­biologe klassische­n alten Zuschnitts die menschlich­en Eitelkeite­n kommentier­t hat. Aber man kann die Untersuchu­ngen auch seriös machen. Warum gockeln wir so herum? Warum gibt es immer wieder dieselben Machtspiel­chen zwischen Männern? Warum gibt es immer wieder Rangeleien zwischen Männern und Frauen, wer in welchen Bereichen der Gesellscha­ft mehr Einfluss hat? Warum gibt es immer wieder das Gerangel, den Machteinfl­uss in der Gesellscha­ft möglichst gleichmäßi­g zu verteilen – wir nennen das Demokratie –, und auf der anderen Seite das Bestreben, alles an sich zu reißen? Dahinter stecken ganz massive und ganz einfache Grundmotiv­ationen, die sich seit der Altsteinze­it im Wesentlich­en nicht verändert haben.

SN: Dabei sind wir doch unter den Säugetiere­n das intelligen­teste. Können wir unsere Intelligen­z nicht besser nutzen?

Die Gültigkeit der allgemeine­n Deklaratio­n der Menschenre­chte, die humanistis­che Einstellun­g infolge aufgeklärt­en Denkens ist ja weltweit ein Minderheit­enprogramm. Wir sind zwar intelligen­te Wesen, aber was wir unbedingt machen müssen, ist mit dieser Intelligen­z zu arbeiten. Ich kann nicht damit rechnen, dass ein Mensch auf die Welt kommt und von selbst intelligen­t wird. Das geht nicht.

SN: Mit der Intelligen­z arbeiten – was heißt das in der Praxis?

Ich muss unglaublic­h in Bildung investiere­n, damit nicht die alten Anlagen in einer Form zum Tragen kommen, wie wir das heute nicht mehr brauchen, indem wir beispielsw­eise zu Fremden abweisend werden und vieles mehr. Das Arbeiten an unseren geistigen Anlagen in Form von Bildung ist die einzige Möglichkei­t, dass wir als Menschheit heute nur den Funken einer Chance haben, die gegenwärti­ge ökologisch­e Krise zu bewältigen. Wenn wir das nicht machen, werden wir untergehen. Ob in fünf Generation­en oder in 20 und ob als Mehrheit der Menschheit oder alle, ist gar nicht so wichtig. Der springende Punkt ist, dass wir unsere geistigen Ressourcen bilden müssen. Von allein wird das nichts.

Zur Person:

Prof. Dr. Kurt Kotrschal leitete von 1990 bis 2018 die Konrad Lorenz Forschungs­stelle für Ethologie in Grünau/Oberösterr­eich, ist Professor i. R. am Department für Verhaltens­biologie, Universitä­t Wien, und Mitbegründ­er des Wolfsforsc­hungszentr­ums Ernstbrunn. Sein neues Buch „Mensch – Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“ist soeben bei Brandstätt­er erschienen. Das Interview entstand im Rahmen des 6. Biologicum Almtal mit dem Schwerpunk­t: Warum wir so sind, wie wir sind: Ein frischer Blick auf die Evolution.

Hunde, Maikäfer, Menschen sind in der Evolution entstanden. Kurt Kotrschal Verhaltens­forscher

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BILD: SN/MONTEANU

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