Das Tier in uns
Menschen sind Säugetiere auf zwei Beinen mit herausragender Intelligenz. Trotzdem handeln wir oft irrational. Kann die Biologie helfen, diesen Widerspruch besser zu verstehen?
Menschen fahren große und schnelle Autos, obwohl sie Ressourcen sparen sollten. Sie rauchen, obwohl es krank macht. Sie sitzen zu viel vor dem Computer und auf der Couch, obwohl sich Sport doch so positiv auf die Gesundheit auswirkt. Warum ist das so? Die SN sprachen darüber mit dem Verhaltensbiologen Kurt Kotrschal, dessen Gedanken über die Tiere zum Menschen führen.
SN: Professor Kotrschal, wenn Ihr Name in der Öffentlichkeit fällt, wird meistens über Wölfe, oft über Hunde gesprochen. Wieso rückt plötzlich der Mensch in den Mittelpunkt Ihres Interesses als Verhaltensbiologe?
Kotrschal: Hunde, Maikäfer, Regenwürmer, Wölfe, Menschen, wir sind alle in der Evolution entstandene Arten. In den vergangenen 20 Jahren habe ich deshalb versucht, in der Evolutionsforschung immer up to date zu sein. Dabei habe ich an der Grenze zum Menschen nie Halt gemacht. Warum auch? Wir sind evolutionär entstanden und daher unterliegen wir denselben evolutionären Gesetzmäßigkeiten.
SN: Das bedeutet?
Unser Verhalten wird von denselben Motivationen angetrieben wie das der anderen Tiere. Wie wir sind, können wir überhaupt nur erfahren, wenn wir uns im Spiegel der anderen Tiere anschauen. Wenn wir uns nur im eigenen Spiegel betrachten, sehen wir ja immer nur uns selbst und haben dann überhaupt keine Chance zu erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Darum ist der Mensch selbstverständlich immer integriert in diese Überlegungen.
SN: Die Frage, warum wir so sind, wie wir sind, scheint bisher aber eher in Händen von Psychologen und Soziologen zu liegen.
Ja. Und wir haben natürlich unsere Ohren und Augen in diese Richtungen offen, denn das sind die Leute, die im Detail wissen, wie Menschen ticken. Das Problem ist aber oft, dass sie sich weigern, die evolutionäre Theorie dahinter zu sehen. Und sie arbeiten nicht artvergleichend. Es wird beispielsweise unglaublich viel und intensiv an der Frage gearbeitet, warum Menschen monogam sind – oder auch nicht. Aber die großen Antworten finden wir im Vergleich mit anderen Arten. Es besteht immer wieder das Missverständnis, dass die Sozial- und Humanwissenschafter glauben, wir Biologen dächten, es sei alles Mögliche angeboren, und das machte uns zu unflexiblen Reiz-Reaktions-Automaten. Das Gegenteil ist heute wahr!
SN: Wie sehen Biologen das heute?
Wir haben eine unglaubliche Fülle von menschlichen Universalien, die auch in komplexen sozialen Settings unsere Handlungsbasis bilden, die aber extrem situationsspezifisch angelegt sind. Ob das nun Instinktverhalten im Bereich der Kommunikation ist oder hochkomplexe Auswirkungen von Verhalten im Bereich der Entwicklung von Staatlichkeit, diese Universalien bilden den Rahmen unserer Flexibilität und Freiheit. Die Zeiten, als die Biologen gesagt haben, es sei alles angeboren, sind längst vorbei. Man müsste sich vonseiten der Psychologie und der anderen Sozialwissenschaften nur ein bisschen dafür interessieren. Es ist längst Zeit für eine neue, umfassende, integrierte und natürlich evolutionäre Theorie menschlichen Verhaltens.
SN: Voriges Jahr wurde in den USA das Verhalten von Ärzten im OP analysiert – von Frans de Waal, einem Primatenforscher! Ist das ein ernst zu nehmender Zugang?
Kommt darauf an, was man wissen will. Verhaltensbiologe Antal Festetics hat früher immer wieder seine Kommentare zum Opernball abgegeben. Das war zwar nicht wahnsinnig ernsthaft, aber sehr lustig, wie ein Verhaltensbiologe klassischen alten Zuschnitts die menschlichen Eitelkeiten kommentiert hat. Aber man kann die Untersuchungen auch seriös machen. Warum gockeln wir so herum? Warum gibt es immer wieder dieselben Machtspielchen zwischen Männern? Warum gibt es immer wieder Rangeleien zwischen Männern und Frauen, wer in welchen Bereichen der Gesellschaft mehr Einfluss hat? Warum gibt es immer wieder das Gerangel, den Machteinfluss in der Gesellschaft möglichst gleichmäßig zu verteilen – wir nennen das Demokratie –, und auf der anderen Seite das Bestreben, alles an sich zu reißen? Dahinter stecken ganz massive und ganz einfache Grundmotivationen, die sich seit der Altsteinzeit im Wesentlichen nicht verändert haben.
SN: Dabei sind wir doch unter den Säugetieren das intelligenteste. Können wir unsere Intelligenz nicht besser nutzen?
Die Gültigkeit der allgemeinen Deklaration der Menschenrechte, die humanistische Einstellung infolge aufgeklärten Denkens ist ja weltweit ein Minderheitenprogramm. Wir sind zwar intelligente Wesen, aber was wir unbedingt machen müssen, ist mit dieser Intelligenz zu arbeiten. Ich kann nicht damit rechnen, dass ein Mensch auf die Welt kommt und von selbst intelligent wird. Das geht nicht.
SN: Mit der Intelligenz arbeiten – was heißt das in der Praxis?
Ich muss unglaublich in Bildung investieren, damit nicht die alten Anlagen in einer Form zum Tragen kommen, wie wir das heute nicht mehr brauchen, indem wir beispielsweise zu Fremden abweisend werden und vieles mehr. Das Arbeiten an unseren geistigen Anlagen in Form von Bildung ist die einzige Möglichkeit, dass wir als Menschheit heute nur den Funken einer Chance haben, die gegenwärtige ökologische Krise zu bewältigen. Wenn wir das nicht machen, werden wir untergehen. Ob in fünf Generationen oder in 20 und ob als Mehrheit der Menschheit oder alle, ist gar nicht so wichtig. Der springende Punkt ist, dass wir unsere geistigen Ressourcen bilden müssen. Von allein wird das nichts.
Zur Person:
Prof. Dr. Kurt Kotrschal leitete von 1990 bis 2018 die Konrad Lorenz Forschungsstelle für Ethologie in Grünau/Oberösterreich, ist Professor i. R. am Department für Verhaltensbiologie, Universität Wien, und Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums Ernstbrunn. Sein neues Buch „Mensch – Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“ist soeben bei Brandstätter erschienen. Das Interview entstand im Rahmen des 6. Biologicum Almtal mit dem Schwerpunkt: Warum wir so sind, wie wir sind: Ein frischer Blick auf die Evolution.
Hunde, Maikäfer, Menschen sind in der Evolution entstanden. Kurt Kotrschal Verhaltensforscher