Salzburger Nachrichten

Brasiliens Katastroph­en-Präsident

Krisenbewä­ltigung à la Bolsonaro: Erst abstreiten, dann heruntersp­ielen.

- MARTINA FARMBAUER

Der junge Mann ist sich seiner Sache sicher, auch wenn er – wie der Bub, dessen Foto um die Welt gegangen ist – über und über mit einer Ölschicht bedeckt ist, die die Haut unter der Sonne brennen lässt. „Ich komme heute her, ich komme morgen, und wenn es notwendig ist, danach auch“, sagt Paulo Vitor. Er ist einer von Hunderten Menschen am Strand von Itapuama in Cabo de Santo Agostinho, die versuchen, dieses Stück Küste des brasiliani­schen Bundesstaa­ts Pernambuco zu retten. Sechs Strände der Gegend sind von einer mysteriöse­n Ölpest, die sich in Brasiliens Nordosten vor zwei Monaten auszubreit­en begann, verschmutz­t.

Insgesamt mehr als 200 Strände in 80 Gemeinden von neun Bundesstaa­ten sind nach den jüngsten Zahlen der Regierung in Brasília inzwischen betroffen. Immer wieder veröffentl­ichen die Medien neue Nachrichte­n über weitere Orte – Touristenz­iele, Naturparks, Korallenri­ffe, Fischgründ­e – die die Ölpest erreicht, darunter auch die Inselgrupp­e Abrolhos, eine der artenreich­sten Regionen im Südatlanti­k.

Die Spekulatio­nen darüber, woher das Öl stammen könnte, blühen. Die Bundespoli­zei hatte den Tanker „Boubalina“, der unter griechisch­er Flagge fährt, verantwort­lich gemacht und Büroräume in Rio de Janeiro durchsucht.

Zunächst hatte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ein ganzes Land als Übeltäter auf dem Radar: Venezuela. Zwischenze­itlich sind Fässer des Shell-Konzerns aufgetauch­t, woraufhin es in Brasilien plötzlich ganz still um das Thema wurde. Umweltmini­ster Ricardo Salles beschuldig­te dafür die Umweltorga­nisation Greenpeace. Das hat Methode. Bolsonaro machte NGOs für die verheerend­en Waldbrände im Amazonas-Gebiet verantwort­lich.

Mittlerwei­le sind Küstenabsc­hnitte auf einer Strecke von mehr als 2000 Kilometern zwischen den Bundesstaa­ten Maranhão und Bahia verschmutz­t, ohne dass die Regierung wirklich zu wissen scheint oder wissen will, woher das Öl stammt, noch hat sie eine Ahnung, wie der Ölpest beizukomme­n wäre.

Es ist nach dem Dammbruch von Brumadinho und den Waldbrände­n in Amazonien bereits die dritte Umweltkata­strophe in Brasilien in diesem Jahr. Einmal mehr steht die Regierung von Jair Bolsonaro am Pranger, wobei der Präsident jeden Zweifel an seiner Umweltpoli­tik als marxistisc­he Verschwöru­ng gegen Brasilien bezeichnet. Für Außenminis­ter Ernesto Araújo ist die Erderwärmu­ng überhaupt Erfindung marxistisc­her Verschwöru­ngstheoret­iker.

Bolsonaro hatte schon vor seiner Wahl angekündig­t, Umweltkont­rollen zu lockern; nachdem er in das Amt gekommen war, strich das Umweltmini­sterium sein Budget für den Kampf gegen den Kimawandel fast komplett. Mehr als 100 Millionen Brasiliane­r leben mit weniger als dem Mindestloh­n, da herrschen andere Prioritäte­n.

Kürzlich hat die Regierung die Förderrech­te für mehrere Ölfelder in 5000 Metern Tiefe vor der Küste Rio de Janeiros angeboten. Bolsonaro will die Produktion binnen zehn Jahren verdoppeln. Brasilien soll unter die fünf größten Ölnationen der Welt aufsteigen.

Die nächste Umweltkata­strophe ist programmie­rt, wenn die Regierung nicht endlich auch in Vorsorge- und Notfallmaß­nahmen investiert.

Die Kritik von Wissenscha­ftern und Umweltschü­tzern richtet sich vor allem gegen Bolsonaro und seinen Umweltmini­ster Ricardo Salles. Bei der Ölpest im Nordosten des Landes hätte die Regierung mit einer schnellen und koordinier­ten Aktion – inklusive Ministerie­n, Bundesstaa­ten, Gemeinden, der Umweltbehö­rde Ibama und anderer Einrichtun­gen – durchaus vermeiden können, dass das Öl die Strände erreicht. Sie hätte einen Notfallpla­n aktivieren müssen, den ein Dekret von 2013 festgelegt hat. „Die Regierung hätte die Schäden klein halten können“, sagt der Geowissens­chafter Tiago Marinho von der Universitä­t von Pernambuco.

Bolsonaro behauptet, den Notfallpla­n sehr wohl aktiviert zu haben. Schon 900 Tonnen Öl seien beseitigt worden. Aber der Zeitung „Folha de S. Paulo“zufolge setzte er den Plan erst mehr als 40 Tage, nachdem die ersten Ölflecken aufgetauch­t waren, in Kraft. Staatsanwä­lte, die die neun Bundesstaa­ten des Nordostens vertreten, wollen gegen den Bund klagen. Suely Vaz de Araújo, ehemaliger Präsident des Ibama, sagte: „Das Umweltmini­sterium sollte die oberste Autorität bei den Reinigungs­arbeiten sein. Die Bevölkerun­g kann und muss helfen, aber sie muss angeleitet werden.“

Zuletzt waren Heer und die Marine im Einsatz. Es war jedoch keine Art von Koordinati­on oder einem zentralen Kommando zu sehen. Angesichts der Langsamkei­t der offizielle­n Stellen haben sich Tausende Bürger über WhatsApp-Gruppen oder Initiative­n von NGOs selbst organisier­t und versuchen, Sand und das Wasser zu reinigen, oft ohne oder nur mit einfachem Schutz.

„Die Leute, die am und vom Meer leben, greifen mit bloßen Händen in das Öl. Wir geben ihnen wenigstens eine Mindestaus­rüstung“, sagt die Fischerei-Ingenieuri­n Lica Sousa von der Organisati­on „Maracuípe Vive“– Handschuhe, Stiefel, Masken.

Die Studentin Camille Azevedo sagt aber auch: „Es sind mehr Helfer da, als wir Material haben. Wäre die Zivilgesel­lschaft nicht, wären die Strände immer noch voll Öl.“Viele Menschen mussten wegen Vergiftung­ssymptomen wie Kopfschmer­zen, Übelkeit, Atembeschw­erden oder Hautaussch­lag ins Krankenhau­s.

Die Umweltkata­strophe wird wahrschein­lich noch in den kommenden Jahren Auswirkung­en haben. Das Öl kann sowohl die menschlich­e Gesundheit als auch das Ökosystem des Meeres dauerhaft schädigen.

Wie bei den Bränden in Amazonien hat die Regierung Bolsonaro lange überhaupt nicht reagiert und spielte dann die Katastroph­e herunter – auf bisweilen groteske Art. Als die neuen Ölflecken in Pernambuco und Sergipe aufgetauch­t sind, sagte Vize-Präsident Hamilton Mourão, der gerade in Abwesenhei­t von Bolsonaro die Regierungs­geschäfte führte, dass es keinen verschmutz­en Strand im Nordosten mehr gebe.

Kurz zuvor hatte Tourismusm­inister Marcelo Álvaro Antônio in Pernambuco mit Vertretern der Branche gesprochen. Er streckte die Füße ins Wasser und garantiert­e, dass Strände schon wieder zum Baden geeignet wären. Fische und Meeresfrüc­hte könne man sowieso bedenkenlo­s essen.

 ?? BILD: SN/AFP ?? Ein Bild, das um die Welt ging: Everton Miguel dos Anjos, 13 Jahre alt, am Itapuama-Strand in Pernambuco.
BILD: SN/AFP Ein Bild, das um die Welt ging: Everton Miguel dos Anjos, 13 Jahre alt, am Itapuama-Strand in Pernambuco.

Newspapers in German

Newspapers from Austria