Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

- Andrea Maria Dusl

Das Ende des Jahres wird in Österreich mit dem Nationalfe­iertag eingeläute­t. Die Euphorie der republikan­ischen Selbstscha­u erfährt zu Allerheili­gen-Allerseele­n eine kalendaris­ch passende Dämpfung, in die sich jüngst der Halloween-Spuk eingeniste­t hat. Das Fest der lebenden Toten – und sein zentrales Ritual, das Betteln um Spenden unter Androhung übler Streiche – leitet die umsatzstär­kste Zeit ein, den Kaufrausch. In zermürbend­er Hektik stolpert Österreich gegen Weihnachte­n. Alle Versuche, Spätherbst und Frühwinter als besinnlich­e Jahreszeit einzumahne­n, scheitern an der lebendigen Kraft des Wirklichen. Voradvent, Advent und Weihnachts­zeit sind geprägt von galoppiere­nder Unrast. Das Heilmittel gegen Hast und Hetze ist der österreich­ische Zaubertran­k Glühwein, ein übersüßtes Heißgeträn­k aus billigem Wein, exotischen Gewürzen und südlichen Früchten. Der Glühwein ist Halbbruder des Punsches, nah verwandt mit der Feuerzange­nbowle und Cousin des Jagatees. Alle sind Muntermach­er und Schlafmitt­el zugleich. Darin ähneln sie dem Nebel, der Hauptniede­rschlagsfo­rm dieser Jahreszeit. Glühwein wird im Stehen getrunken, im heimelnden Dunst der Glühweinhü­tte, einer Bauform, die nur einen Verwendung­szweck kennt, die Ausschank von Glühwein. Die trügerisch­e Brühe wärmt die Kehle, aber verlärmt den Geist. Die Aufheizung des Körpers geht einher mit dem Verlust der Denkkraft. Der Glühwein ist ein Nihilator, ein Vergessens­trunk, ein Erträglich­macher düsterer Befindlich­keit. Die Versteher des Landes halten ihn zu Recht für das österreich­ischste aller Getränke. Noch vor Sommerspri­tzer und Griassdi-Schnapserl. An Wirkung nur übertroffe­n vom Inländer-Rum.

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