DIE ILLUSTRIERTE KOLUMNE
Das Ende des Jahres wird in Österreich mit dem Nationalfeiertag eingeläutet. Die Euphorie der republikanischen Selbstschau erfährt zu Allerheiligen-Allerseelen eine kalendarisch passende Dämpfung, in die sich jüngst der Halloween-Spuk eingenistet hat. Das Fest der lebenden Toten – und sein zentrales Ritual, das Betteln um Spenden unter Androhung übler Streiche – leitet die umsatzstärkste Zeit ein, den Kaufrausch. In zermürbender Hektik stolpert Österreich gegen Weihnachten. Alle Versuche, Spätherbst und Frühwinter als besinnliche Jahreszeit einzumahnen, scheitern an der lebendigen Kraft des Wirklichen. Voradvent, Advent und Weihnachtszeit sind geprägt von galoppierender Unrast. Das Heilmittel gegen Hast und Hetze ist der österreichische Zaubertrank Glühwein, ein übersüßtes Heißgetränk aus billigem Wein, exotischen Gewürzen und südlichen Früchten. Der Glühwein ist Halbbruder des Punsches, nah verwandt mit der Feuerzangenbowle und Cousin des Jagatees. Alle sind Muntermacher und Schlafmittel zugleich. Darin ähneln sie dem Nebel, der Hauptniederschlagsform dieser Jahreszeit. Glühwein wird im Stehen getrunken, im heimelnden Dunst der Glühweinhütte, einer Bauform, die nur einen Verwendungszweck kennt, die Ausschank von Glühwein. Die trügerische Brühe wärmt die Kehle, aber verlärmt den Geist. Die Aufheizung des Körpers geht einher mit dem Verlust der Denkkraft. Der Glühwein ist ein Nihilator, ein Vergessenstrunk, ein Erträglichmacher düsterer Befindlichkeit. Die Versteher des Landes halten ihn zu Recht für das österreichischste aller Getränke. Noch vor Sommerspritzer und Griassdi-Schnapserl. An Wirkung nur übertroffen vom Inländer-Rum.