Die anonyme Zeugnisverteilung hat ihre Tücken
Die neue Lehrer-App hat Schwächen. Und dennoch: Sie bringt eine Debatte um die Beurteilung der Lehrer durch ihre Kunden in Gang.
Die neue App (Anwendungssoftware) zur Leistungsbeurteilung von 90.000 Lehrerinnen und Lehrern hat voll eingeschlagen. Zum einen wehren sich vor allem Lehrergewerkschafter gegen die öffentliche Bewertung ihrer Mitglieder durch Schülerinnen und Schüler. Zum anderen stößt die Möglichkeit zur anonymen digitalen Zeugnisverteilung bei den Jugendlichen auf enormes Interesse. Bis Montagmittag ist die Feedback-Plattform zigtausend Mal heruntergeladen worden.
Einzelne Punkte sprechen gegen das Projekt „Lernsieg“, wie die App etwas befremdlich von ihren Erfindern genannt wird. Erstens wissen wir zwar, wer die Idee dazu hatte, nämlich ein 17-jähriger Schüler aus Wien. Wir wissen aber nach wie vor nicht, wer das Ganze finanziert. Der Investor bleibt geheim.
Zweitens liegt der Verdacht nahe, dass es den Betreibern so wie in vielen anderen Fällen auch in erster Linie darum geht, Daten von möglichst vielen Schülerinnen und Schülern zu bekommen. Wer Sternderl verteilen will, muss vorher seine Telefonnummer angeben. Die Anonymität gegenüber der Öffentlichkeit und den bewerteten Lehrern besteht zwar weiterhin, nicht aber gegenüber dem Betreiber.
Drittens beurteilen digitale wie analoge Welt bisher nur Unterkünfte, Restaurants oder Konsumgüter mit Sternen, aber auf keinen Fall Menschen. Das ist nicht stimmig.
Viertens ist vom unbegründeten Lehrerbeklatschen bis zum Lehrerbashing alles möglich. Auch gegen gefälschte Beurteilungen sind solche Plattformen nicht gefeit. Viele Fälle in Hotellerie und Gastronomie haben das zuletzt gezeigt. Bei einem deutschen Unternehmen konnte man sich sogar positive Bewertungen für sein Hotel kaufen.
„Lernsieg“hat auch sein Gutes. Die Bedeutung von Rückmeldungen der Kunden Schüler an die Lehrer kommt endlich aufs Tapet. Die offiziellen Bildungseinrichtungen haben dieses Thema bisher nicht ernst genommen. Kinder und Jugendliche müssen ihre Leistungen von Lehrern beurteilen lassen. Warum soll das umgekehrt nicht möglich sein? Freilich gäbe es seriösere Methoden als eine App.
Grundsätzlich zeigt sich die Neigung unserer Gesellschaft zur totalen digitalen Vermessung. Die Sehnsucht nach Rankings aller Art treibt immer seltsamere Blüten. In Wahrheit helfen sie uns für ein gutes Leben nicht wesentlich weiter. Richtige Entscheidungen haben mit Erfahrungen und Wissen zu tun und nicht mit noch so unterhaltsamen Hitparaden.