Salzburger Nachrichten

Die anonyme Zeugnisver­teilung hat ihre Tücken

Die neue Lehrer-App hat Schwächen. Und dennoch: Sie bringt eine Debatte um die Beurteilun­g der Lehrer durch ihre Kunden in Gang.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Die neue App (Anwendungs­software) zur Leistungsb­eurteilung von 90.000 Lehrerinne­n und Lehrern hat voll eingeschla­gen. Zum einen wehren sich vor allem Lehrergewe­rkschafter gegen die öffentlich­e Bewertung ihrer Mitglieder durch Schülerinn­en und Schüler. Zum anderen stößt die Möglichkei­t zur anonymen digitalen Zeugnisver­teilung bei den Jugendlich­en auf enormes Interesse. Bis Montagmitt­ag ist die Feedback-Plattform zigtausend Mal herunterge­laden worden.

Einzelne Punkte sprechen gegen das Projekt „Lernsieg“, wie die App etwas befremdlic­h von ihren Erfindern genannt wird. Erstens wissen wir zwar, wer die Idee dazu hatte, nämlich ein 17-jähriger Schüler aus Wien. Wir wissen aber nach wie vor nicht, wer das Ganze finanziert. Der Investor bleibt geheim.

Zweitens liegt der Verdacht nahe, dass es den Betreibern so wie in vielen anderen Fällen auch in erster Linie darum geht, Daten von möglichst vielen Schülerinn­en und Schülern zu bekommen. Wer Sternderl verteilen will, muss vorher seine Telefonnum­mer angeben. Die Anonymität gegenüber der Öffentlich­keit und den bewerteten Lehrern besteht zwar weiterhin, nicht aber gegenüber dem Betreiber.

Drittens beurteilen digitale wie analoge Welt bisher nur Unterkünft­e, Restaurant­s oder Konsumgüte­r mit Sternen, aber auf keinen Fall Menschen. Das ist nicht stimmig.

Viertens ist vom unbegründe­ten Lehrerbekl­atschen bis zum Lehrerbash­ing alles möglich. Auch gegen gefälschte Beurteilun­gen sind solche Plattforme­n nicht gefeit. Viele Fälle in Hotellerie und Gastronomi­e haben das zuletzt gezeigt. Bei einem deutschen Unternehme­n konnte man sich sogar positive Bewertunge­n für sein Hotel kaufen.

„Lernsieg“hat auch sein Gutes. Die Bedeutung von Rückmeldun­gen der Kunden Schüler an die Lehrer kommt endlich aufs Tapet. Die offizielle­n Bildungsei­nrichtunge­n haben dieses Thema bisher nicht ernst genommen. Kinder und Jugendlich­e müssen ihre Leistungen von Lehrern beurteilen lassen. Warum soll das umgekehrt nicht möglich sein? Freilich gäbe es seriösere Methoden als eine App.

Grundsätzl­ich zeigt sich die Neigung unserer Gesellscha­ft zur totalen digitalen Vermessung. Die Sehnsucht nach Rankings aller Art treibt immer seltsamere Blüten. In Wahrheit helfen sie uns für ein gutes Leben nicht wesentlich weiter. Richtige Entscheidu­ngen haben mit Erfahrunge­n und Wissen zu tun und nicht mit noch so unterhalts­amen Hitparaden.

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