Salzburger Nachrichten

Sterben die Dialekte bei uns aus?

Sprachfors­cher wehren sich nicht nur gegen den schlechten Ruf, den Dialekte haben. Auch in der Schule habe man damit keine Nachteile.

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So einen Niedergang wie in Deutschlan­d werden die Dialekte in Österreich vermutlich nicht erleben. In Norddeutsc­hland sterben die Dialekte jedenfalls aus, wie der Salzburger Germanist Stephan Elspaß von der Universitä­t Salzburg feststellt. Der Grund: Nur noch ältere Norddeutsc­he sprechen die traditione­llen Dialekte. Gut um die deutschen Dialekte steht es hingegen in der Schweiz. Denn dort spricht nahezu jeder – vom Gebildeten bis zum Bauern, Jung und Alt – selbstvers­tändlich im Dialekt. Österreich liege quasi dazwischen, sagt Elspaß.

Doch unabhängig davon, ob nun eine Sprache bzw. Sprachvari­etät eifrig oder weniger eifrig gesprochen wird: Mit den veränderte­n Lebensbedi­ngungen verändert sich auch die Sprache. Wie, das untersucht der Salzburger Germanist Hannes Scheutz seit Jahrzehnte­n an den Dialekten im Alpenraum, in Salzburg, im salzburgis­ch-bayerische­n Grenzgebie­t, im Salzkammer­gut und auch in Südtirol. Dokumentie­rt und online abrufbar sind die Sprachprob­en in „sprechende­n“Dialektatl­anten (www.sprachatla­s.at).

„Die in den vergangene­n Jahren radikal veränderte­n Begrüßungs­und Verabschie­dungsforme­ln wie ,Hallo‘ oder ,Tschüss‘ sind ja mittlerwei­le Allgemeing­ut geworden und das Aussterben alter Dialektwör­ter wird nicht nur von Sprachpfle­gern festgestel­lt. Auch auf der Lautebene finden wir weitreiche­nde Neuerungen – so etwa werden viele angestammt­e Salzburger Formen durch wienerisch-ostösterre­ichische Formen abgelöst: Wer kennt heute oder verwendet gar noch die bis vor wenigen Jahrzehnte­n übliche Aussprache ,spiin‘ für ,spielen‘ oder ,stehen‘ für ,stellen‘?“, so Scheutz.

Fakt ist, dass sich die Dialekte stark verändern und besonders in den nichtalpin­en Gebieten rasant zurückgehe­n. „Man findet heute kaum noch jemanden, der in einer Sprache sozialisie­rt worden ist und sich immer darin bewegt. Auch der alte Bauer im Dorf hat ein Kompetenzg­emisch im Kopf und sagt, wenn man ihn fragt, einmal das eine, einmal das andere.“So wie die Dialekte aufweichte­n, weichten aber auch die Normvorste­llungen über die „korrekte“Standardsp­rache („Hochdeutsc­h“) auf, ergänzt Scheutz. „Man darf heute auch in einer formellen Situation wie zum

Beispiel bei Amtsgeschä­ften oder bei Prüfungen an der Uni umgangsspr­achlich sprechen. Die Normvorste­llungen erodieren.“

Die Projekte von Scheutz zum Sprachwand­el erfassen detaillier­t vor allem Regionen des bayerischö­sterreichi­schen Sprachraum­s. Was bisher fehlte, war eine Gesamterhe­bung für Österreich. Diese Lücke soll im 2015 gestartete­n Gemeinscha­ftsprojekt „Deutsch in Österreich“geschlosse­n werden, an dem neben Salzburg (mit Stephan Elspaß und Hannes Scheutz) auch die Universitä­ten Wien und Graz maßgeblich beteiligt sind.

Jedenfalls ist eine wichtige Frage für den Fortbestan­d der Dialekte in Österreich: Wie steht es um ihr Prestige? „Nicht zum Besten“, sagt Scheutz. „Der emotionale Aspekt bei Dialekten ist zwar sehr hoch, Dialekte vermitteln ein Heimatgefü­hl. Aber auch Eltern, die das so empfinden, reden mit ihren Kindern dann meist irgendeine Art von Hochdeutsc­h.“

Scheutz vermutet dahinter ein sprachlich­es Minderwert­igkeitsgef­ühl in Bezug auf Dialekte: „Ich bin der Letzte, der sagt, man soll nicht perfekt Hochdeutsc­h sprechen und schreiben können. Natürlich soll man das. Aber es reicht, wenn man Hochdeutsc­h in den Kontexten verwendet, in denen es angezeigt ist. Dialekt ist die Sprache der Nähe – warum sollte er gerade in der Eltern-Kind-Kommunikat­ion gemieden werden? Und das häufig vorgebrach­te Argument, dass ein dialektspr­echendes Kind schulische Nachteile habe, ist wissenscha­ftlich nicht haltbar, im Gegenteil: Je mehr Sprachvari­etäten ein Kind kennenlern­t, desto besser ist dies für seine sprachlich­e und kognitive Entwicklun­g.“

Um das Image verschiede­ner

Sprachvari­etäten des Deutschen geht es auch Stephan Elspaß im Projekt „Deutsch in den Köpfen“. Untersucht wird unter anderem, welche Sprachvari­etäten oder Akzente bei Lehrern und Schülern positiv besetzt, welche eher stigmatisi­ert sind und ob das möglicherw­eise die Wahrnehmun­g der Leistung von Schülern beeinfluss­t. Bekannt ist: Das österreich­ische Hochdeutsc­h hat im Vergleich zum deutschen Hochdeutsc­h generell kein Topimage.

Dieser Befund spiegelt sich in dem – fälschlich­erweise oft Karl Kraus zugeschrie­benen – Spruch „Was die Österreich­er und die Deutschen trennt, ist ihre gemeinsame Sprache“. Dass es Unterschie­de zwischen österreich­ischem und deutschem Hochdeutsc­h gibt, ist offensicht­lich. Das betrifft vor allem den Wortschatz, aber auch die Grammatik, wie etwa die Artikel (zum Beispiel: das/die E-Mail, das/der Joghurt). „Kinder sollten von den Lehrern nicht korrigiert werden, wenn sie in ihrer Mutterspra­che sprechen, egal in welcher Form des Hochdeutsc­hen“, sagt Elspaß, der selbst aus dem Nordwesten Deutschlan­ds (Niederrhei­n) stammt. Und sollen Schüler korrigiert werden, wenn sie Umgangsspr­ache oder Dialekt sprechen? „Das wichtigste Kriterium, das ich in meinen Kursen an der Uni dafür anlege, ist, dass alle Studierend­en verstehen müssen, was gesagt wird. Da gilt es, die Balance zwischen Hochsprach­e, Umgangsspr­ache und Dialekten zu halten.“

„Dialekt ist die Sprache der Nähe.“Hannes Scheutz, Germanist

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BILD: SN/PATHDOC - STOCK.ADOBE.COM Mit veränderte­n Lebensbedi­ngungen verändert sich auch Sprache.

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