„Der Heuhaufen interessiert uns nicht“
KSV1870-Chef Ricardo-José Vybiral ist stattdessen auf der Suche nach der Datennadel. Warum Social-Media-Daten beim Prüfen der Kreditwürdigkeit keine Rolle spielen und warum heimischen Unternehmen bei der Digitalisierung der Mut fehlt.
SN: Die Wirtschaftslage trübt sich ein, sagen sämtliche Prognosen. Wie dunkel sind die Wolken am Himmel? Ricardo-José Vybiral: Ich glaube, dass die Wolken unmittelbar nicht so dunkel sind, wie sie oft heraufbeschworen werden. Das Gewitter wird erst später kommen, aber es wird nachhaltiger sein. Denn bei der Digitalisierung passiert in Österreich noch immer viel zu wenig. Das wird sich auswirken, aber eben erst später: Die Unternehmen haben eine starke Kapitalkraft aufgebaut. Selbst wenn sich das Wirtschaftswachstum dämpft, hat der Standort Österreich einige Zeit Luft. Um mit einer Metapher zu sprechen: Das Weizenlager ist aufgefüllt. Ich kann noch immer mein Mehl herstellen und Brot backen. Die Frage ist aber, ob ich langfristig meine Felder bestellen kann, wenn die Ernte immer weniger wird.
SN: Österreich ist also nicht wirklich gut gerüstet? Der Großteil der Unternehmen – mehr als 80 Prozent – sieht laut unseren Erhebungen, dass die Digitalisierung den Markt verändert. Aber zwei Drittel sagen, dass sie keine Digitale Agenda hätten. Da geht es noch nicht einmal um eine Strategie. Österreich ist stolz auf seine Servicequalität, die sicher herausragend ist. Aber die Digitalisierung wird von den meisten verschlafen. Wir liegen derzeit bei knapp unter 5000 Unternehmensinsolvenzen im Jahr. Das steigt auch nicht, derzeit flacht sich der Trend eher leicht ab beziehungsweise stagniert. Da könnte man sagen: Das ist ja super. Die Frage ist aber, ob das wirklich so gut ist. Vielleicht ist es ein Zeichen dafür, dass wir zu wenig Mut zum Scheitern haben und zu wenig Mut, ins Risiko zu gehen.
SN: Warum ist das so? Der Hauptgrund ist die digitale Lethargie in diesem Land. Ich glaube, das ist kulturell bedingt. Die Krise haben vor zehn Jahren alle erlebt, aber sie steckt uns besonders in den Knochen. Wenn sich ein kleines Wölkchen am Himmel zeigt, ist man schon wieder vorsichtig. Wir haben immer noch die Denke, dass man bunkern muss. Auch das digitale Ökosystem ist dadurch zu wenig ausgeprägt. Digitalisierung hat sich in Österreich lang darauf beschränkt, einen Chief Digital Officer einzustellen und den ins Silicon Valley zu schicken, damit er danach zu Hause erzählt, was dort passiert. Aber solange er kein Team, kein Projekt und kein Budget hat, bleibt das zahnlos. Für die digitale Transformation muss man auch etwas tun und die Ärmel aufkrempeln. Man muss etwas umsetzen und schwitzen, nicht nur schöne Powerpoint-Präsentationen
gestalten und sich dann zurücklehnen.
SN: Der KSV rüstet sich unter anderem mit dem Einstieg bei Fincredible. Ein Service des Start-ups zeigt nach einem digitalen Blick aufs Bankkonto, ob sich ein Mieter eine Wohnung leisten kann. Warum sollten Menschen Unternehmen diese Einblicke erlauben? Es ist sinnvoll, dass ein Vermieter weiß, ob sich der Mieter die Wohnung auch leisten kann. Und dieser erspart sich vielleicht das Vorlegen eines Lohnzettels. In die Daten darf nur geblickt werden, wenn ein Nutzen für beide Partner dahintersteht. Der Betroffene muss ja immer sein Einverständnis geben. Und die Daten werden nicht gespeichert. Uns geht es um faires und transparentes Wirtschaften. Wir stellen Daten für die Kreditvergabe zur Verfügung. Unser Ansinnen ist es, Überschuldung zu verhindern, weil sie in einem negativen Kreislauf endet.
SN: Könnten Bankdaten auch direkt für die Bonitätsberechnung genutzt werden? Wir haben überhaupt kein Interesse daran, Bankdaten zu speichern oder unsere Daten mit Bankdaten zu vermischen. Bei uns wird sich das nicht ändern, nicht mittel- oder langfristig. Oft reden wir von Big Data, das gibt es aber schon lang.
Wir betreiben Big Data seit Jahrzehnten. Unser Ziel ist nicht, möglichst viele, sondern relevante Daten zu sammeln. Der ganze Heuhaufen interessiert uns nicht, wir wollen nur die Nadel. Die brauchen wir, um relevante Entscheidungen treffen zu können. Wir haben auch klar entschieden: Der KSV wird nie – und schon gar nicht ohne das Wissen der Betroffenen – Social-MediaDaten nutzen. Das ist für uns eine Riesenfirewall. Das greifen wir aus ethischen Gründen nicht an. Wir spielen im Jahr mehr als 110.000 Selbstauskünfte aus. Wer will, kann ganz genau wissen, was bei uns drinsteht.
SN: Der Druck, einen digitalen Finanzstriptease hinlegen zu müssen, um überhaupt an einen Kredit zu kommen, könnte aber steigen. Es ist ein Geben und Nehmen von zwei Seiten: Wenn ich etwas will, dann muss ich auch etwas hergeben. Die Frage ist was und wie viel. Chinesische Verhältnisse will ich in Europa nicht haben. Daten sind etwas sehr Persönliches und es gibt klare gesetzliche Rahmenbedingungen. Und die sind gerade in Europa sehr gut geregelt. Ich bin ein Befürworter der DSGVO. Wir haben oft aber eine schizophrene Datendiskussion. Wenn ich sehe, was viele Leute auf Facebook und Instagram posten und dann darüber schimpfen, was Unternehmen alles speichern, ist das eigenartig.
SN: Welche neuen Geschäfte sind für den KSV durch Open Banking möglich? Wir überlegen, mehr Services auch für Private anzubieten. Etwa eine automatisierte Cashflow-Analyse. Ich schaue mit Einverständnis des Kunden ins Konto und sage: Wenn du weiterhin so wirtschaftest, hast du in zwei Monaten einen Liquiditätsengpass. So könnten wir proaktiv verhindern, dass jemand in die rote Zone kommt. Mir als Student hätte so etwas geholfen.