Geologe: „Hier zeigen sich die Sünden der Raumordnung“
Warum ihn das Ausmaß der Schäden nach Starkregen und Muren nicht überrascht, erklärt Rainer Braunstingl im SN-Gespräch.
SN: Wie können Niederschläge derartig viele Muren auslösen? Rainer Braunstingl: Dazu braucht es einmal sehr viel Wasser, also enorme Regenoder Schneemengen. Der Erdboden besteht bis zu 20 Prozent aus Hohlräumen, die sich mit dem Wasser füllen. Sobald die volle Sättigung erreicht ist, können sich die Bodenteilchen nicht mehr aneinander abstützen. Sie rutschen aus. Das hat zur Folge, dass der Hang wegbricht. Prekär ist dabei vor allem die enorme Gewichtszunahme des Bodens durch das Wasser.
SN: Wie viel schwerer wird der Boden, wenn er sich so mit Wasser vollsaugt? Wenn Sie auf einer Fläche von einem Quadratmeter eine zwei Meter tiefe Erdschicht herausschneiden, dann wiegt der Boden im trockenen Zustand etwa fünf Tonnen. Mit 20 Prozent mehr Wasser ist es eine halbe Tonne mehr.
SN: Kann man sich vor Muren dieses Ausmaßes schützen? Eher nein. Schnee- und Regenfälle mit derart großen Wassermengen, wie wir sie jetzt erlebt haben, sind sehr gefährlich. Das Wasser sammelt sich in tieferen Erdschichten, steigt unter der Oberfläche an und baut einen solchen Druck auf, dass es zu Hangexplosionen kommt.
SN: Wie hoch ist der Druck des Wassers von unten? Eine zehn Meter hohe Wassersäule unter der Erde übt einen Druck von zehn Tonnen pro Quadratmeter Oberfläche aus. Dabei wird das Erdreich an der Oberfläche weggedrückt, und hinterher schießt das Wasser.
SN: Hätte eine noch ausgedehntere Wildbachverbauung Schäden verhindern können?
Sicher hätten einige Auswirkungen reduziert werden können. Unsere Wildbäche sind aber schon sehr gut verbaut. Es ist eigentlich ein Verdienst der Wildbachverbauung, dass jetzt vergleichsweise wenige Häuser betroffen sind. Straßen sind vulnerabler und werden daher auch leichter weggespült.
SN: Welche Rolle spielt die Raumordnung? Statistisch betrachtet erleben wir Hochwasserereignisse wie jetzt alle fünf Jahre. Und ja, hier zeigen sich vergangene Sünden der Raumordnung. Denn gebaut wird sehr gern auf Murenkegeln. Das sind Schwemmkegel, an deren Seite ein Bach in Vorlauf kommt. Viele Dörfer sind so entstanden. Solange der Murenkegel nur auf einer Seite bebaut wird, kommt es kaum zu Problemen. Wenn aber der Murenkegel komplett verbaut ist, dann sucht sich das Wasser seinen Platz zwischen den Häusern. Wenn Raumordnung und Wildbachverbauung gut gelöst sind, verringert sich die Gefahr.
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