Im Musterland Südamerikas steht ein Umbruch bevor
Uruguay wählt am Sonntag einen neuen Präsidenten. Mit einem Machtwechsel käme auch ein Rechtsruck.
Im derzeit so aufgewühlten Lateinamerika ist fast untergegangen, dass auch am Südzipfel des Kontinents ein möglicher Umbruch bevorsteht. Uruguay, Hort von Demokratie und Stabilität, entscheidet am Sonntag in einer Stichwahl über den neuen Präsidenten. Vermutlich wird das seit 2004 regierende Mitte-links-Bündnis Frente Amplio (FA) trotz weitgehend erfolgreicher Politik von der Macht verdrängt. Verschleiß, ein kaum begeisternder Kandidat, steigende Kriminalität und das Aufkommen einer ultrarechten Partei sprechen gegen eine weitere Amtszeit der FA. In der Abstimmung stehen sich der Regierungskandidat Daniel Martínez (62) und Luis Lacalle
Pou (46) von der konservativen Partido Nacional (PN) gegenüber.
Zwar konnte Martínez die erste Runde der Wahl am 27. Oktober für sich entscheiden, die FA kam auf 39,2 Prozent der Stimmen. Dennoch machte der Spitzenkandidat hinterher ein langes Gesicht. Denn das eigentliche Ziel waren 42 bis 44 Prozent. Trotzig sagte Martínez: „Die wichtigste Kraft im Land heißt Frente Amplio.“
Aber nach Stand der Dinge wird das nicht reichen. Sein konservativer Herausforderer Lacalle Pou kam vor einem Monat zwar nur auf 28,6 Prozent, aber für die Stichwahl sehen ihn die Umfragen relativ deutlich vorn. Zwischen 47 und 51 Prozent sagen ihm die Meinungsforscher voraus. Auf Martínez kämen zwischen 42 und 44 Prozent.
Lacalle Pou, Sohn eines Ex-Präsidenten, kann für Sonntag auf ein breites Bündnis aller rechten und liberalen Parteien bauen. Sie alle eint das Ziel, die Frente Amplio von der Macht zu verdrängen. Gleich nach der ersten Runde sicherten die wichtigsten Oppositionsparteien dem 46-Jährigen Herausforderer ihre Unterstützung zu. Dazu gehören nicht nur die traditionelle ebenfalls konservative Colorado-Partei, sondern auch die neue Kraft rechtsaußen: die reaktionäre Bewegung Cabildo Abierto (CA) des früheren Armeechefs Guido Manini Ríos. Der Bewunderer von Brasiliens rechtsradikalem Präsidenten Jair Bolsonaro erzielte bei der ersten Runde aus dem Stand 11,4 Prozent der Stimmen. Auch im künftigen Parlament ist die Bewegung mit sieben Abgeordneten und drei Senatoren vertreten. Vor allem dem ultrarechten CA ist es gelungen, den Wahlkampf mit dem in Lateinamerika so beliebten Thema der Politik der „harten Hand“gegen wachsende Kriminalität zu dominieren. Uruguay verzeichnet – vermutlich durch das Vordringen der Drogenkartelle – eine für das Land dramatische Zunahme von knapp 50 Prozent an Raub und Mord in den vergangenen Jahren. Mittlerweile hat das ehedem so beschauliche kleine Land mit 11,8 Morden pro 100.000 Einwohner eine klassische lateinamerikanische Quote. In europäischen Ländern liegt die Rate bei rund einem Mord pro 100.000 Einwohner, in Brasilien hingegen bei 30,5.
Die Regierung des scheidenden Präsidenten Tabaré Vázquez und die Frente Amplio haben keine vernünftige Kampagne dagegensetzen können. Kandidat Martínez versuchte stattdessen, die wirtschaftliche Stabilität Uruguays zu betonen. Tatsächlich sticht das Land mit knapp drei Millionen Einwohnern in Lateinamerika heraus. Die Institutionen sind stabil, die Korruption gering, Bildungs- und Gesundheitssystem fast vorbildlich. Mit 17.280 Dollar ist das Pro-Kopf-Einkommen so hoch wie nirgendwo sonst in Lateinamerika. Die Armut ist niedrig. Aber das scheint den Uruguayern nicht mehr auszureichen.