Israel stürzt in eine Staatskrise
Mitten in die tiefste Regierungskrise in Israels Geschichte platzen drei Anklagen gegen den amtierenden Premier Benjamin Netanjahu. Damit betritt das Land gesetzliches Neuland. Kaum jemand scheint zu wissen, wie es jetzt weitergehen soll.
Es dürfte die schwerste Entscheidung sein, die Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit je in seinem Leben fällen musste. „Mit schwerem Herzen, aber mit ganzem Herzen“verkündete er am Donnerstagabend, dass er in drei Fällen gegen Israels amtierenden Premier Anklage erhebt. Nach drei Jahren, in denen Benjamin Netanjahu nur unter Verdacht stand, wird er sich nun vor Gericht wegen Vertrauensmissbrauchs, Betrugs und Korruption verantworten müssen. Dem Spitzenpolitiker könnte somit gar eine Haftstrafe drohen.
Israel befindet sich ohnehin in einem beispiellosen Schwebezustand. Nach zwei Wahlen in einem
Jahr scheiterten zuerst der Premier und dann der Oppositionsführer Benny Gantz bei der Bildung einer Regierung. Die obliegt nun für 21 Tage einem zutiefst gespaltenen, fast handlungsunfähigen Parlament (Knesset). Sollte es wie erwartet scheitern, müssten Israelis im März 2020 ein drittes Mal wählen gehen. Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Land von einem angeklagten Übergangspremier und einem Übergangsparlament regiert werden, deren legale Vollmachten immer unklarer sind. Nun kommen weitere unbeantwortete Fragen über den rechtmäßigen Fortgang des Gerichtsprozesses gegen Netanjahu und die Regierungsbildung hinzu. Das politische Patt und Netanjahus Weigerung, das politische
System mit einem Rücktritt zu entriegeln, vertiefen die politische Spannung in gefährlicher Weise.
Denn Netanjahu hat seine Anhänger gegen jede Stimme, die seine Macht bedrohte, aufgehetzt. Zuerst stellte er die Objektivität und Professionalität der Medien, die über Ermittlungen gegen ihn berichteten, infrage. Dann griff er die Ermittler an und beschuldigte sie, parteiisch zu sein, setzte gar einen neuen Polizeichef ein. Als bekannt wurde, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Ansicht der Ermittler, Netanjahu müsse angeklagt werden, teilt, geriet auch die Justiz in sein Fadenkreuz. Zwei Mal ernannte er Justizminister, deren Hauptaufgabe es zu sein schien, die Macht der Gerichte einzudämmen. Politiker, die es wie Oppositionschef Gantz ablehnen, mit ihm zu koalieren, weil er unter Korruptionsverdacht steht, bezichtigte er, eine politisch motivierte „Hexenjagd“gegen ihn zu führen. Schon ruft seine Likud-Partei zu Massenprotesten gegen Mandelblits Beschluss auf.
Klar ist, dass Netanjahu weiter um sein politisches Überleben vom Sitz des Premiers aus kämpfen will. Er wird beim Parlament Immunität beantragen. Dafür hat er 30 Tage
Zeit. Doch es ist unklar, ob Netanjahus Koalitionspartner zu ihrem Premier stehen, bis dieser von einem Gericht für schuldig gefunden wird. Geben sie ihm die ersehnte Immunität, würden alle juristischen Prozesse gegen den Premier auf Eis gelegt, bis dieser sein Amt niederlegt. Außer Mandelblit beschließt, dass einem Übergangspremier eine solche Immunität eines regulären Premiers gar nicht zusteht.
Die Opposition dürfte angesichts der beispiellosen Rechtslage eine Klage beim Höchsten Gerichtshof einreichen, mit der Forderung, dem Übergangsparlament die Befugnis abzusprechen, einem Übergangsminister Immunität gegen Verbrechen zu geben, die mit seiner politischen Aktivität nichts zu tun haben.