Ein Meisterwerk, perfekt restauriert
Das RSO Wien führte die Originalfassung von „Alexander Newski“auf.
Es ist ja doch von Vorteil, wenn sich Spezialisten eines Projekts annehmen. Sergej Prokofjews Musik zu Sergej Eisensteins am Vorabend des Zweiten Weltkriegs entstandenem Film „Alexander Newski“hat lang ein eigenartiges Doppelleben geführt. Man hat den Film und seine Musik gekannt und doch immer geahnt oder gewusst, dass es sich dabei um kein Original handelte. Das Originalmanuskript war in russischen Archiven verschlossen und keiner der sowjetischen Komponisten und Dirigenten wagte sich an eine Revision der Musik. Man begnügte sich lieber mit dem, was gesichert vorhanden war: mit der Newski-Kantate, obwohl diese eingestandenermaßen vom Notentext der Filmmusik stark abwich.
Außerdem deckte die Kantate natürlich nur einen Teil dessen ab, was an Bildern im Film gezeigt wurde. Das, was man „Original“zu nennen pflegt, existierte einfach nicht – bis ein deutscher Dirigent und Musikologe, Frank Strobel, sich an die schwierige Aufgabe machte, das zu versuchen, was in der ehemaligen Sowjetunion augenscheinlich nicht möglich war. Es hat ein Jahrzehnt in Anspruch genommen, ehe es 2003 so weit war und in einer konzertierten Aktion von russischer und deutscher Seite eine gereinigte Fassung des Newski-Films aufgeführt werden konnte. Die Vorarbeiten dazu, erzählt Strobel, hätten schon in den 1990er-Jahren begonnen und Jahre in Anspruch genommen.
Frühere Versuche, dem Film eine adäquate musikalische Grundierung zu geben, scheiterten nicht nur an der technischen Unzulänglichkeit des Materials aus den Dreißigerjahren, sondern wohl auch an politischen Berührungsängsten mit dem stalinistischen Ambiente.
Und dennoch, es gibt im originalen Film ein fast sympathisches Pathos, das man geneigt ist, zu konzedieren. Kann es so etwas überhaupt geben wie ein fröhliches Abschlachten im Kriege (das Eisenstein freilich immer wieder konterkariert)? Eisensteins Film kam 1938 heraus, in einer unheilschwangeren Zeit, als schon klar war, was kommen elf würde. Gewiss, „Alexander Newski“hat auch eine unübersehbare propagandistische Seite, etwa jene, dass der böse deutsche Feind (in Gestalt des Ritterordens) schon von der Physiognomie zutiefst unsympathisch gezeichnet ist. Klar, dass die aktuellen Befürchtungen bezüglich dessen, was kommen könnte, den Film prägten, der dem historischen Freiheitshelden eine gegenwärtige Bedeutung gab.
Was mit Sicherheit bis heute nachwirkt, ist die enge Verschränkung von Film und Musik, die „Alexander Newski“so einzigartig macht: Prokofjew schrieb keine „Filmmusik“, sondern er und Eisenstein legten so etwas wie ein Gesamtkunstwerk vor. Es ist Musik aus einer Zeit, in der Prokofjew gelernt hatte, „verständlich“und, wenn man so will, „volkstümlich“zu schreiben.
Das Wiener Konzerthaus erlebte eine musikalisch gelungene Aufführung, die Abstimmung zwischen Livemusik – RSO-Orchester Wien, Wiener Singakademie und die russische Altistin Marina Prudenskaya unter Frank Strobel – und bereinigtem Film war perfekt. Niemand wird an die Anstrengungen gedacht haben, die diese Aufführung erst möglich gemacht haben. Und niemand wird daran gedacht haben, dass es sich bei dem Film um etwas handle, was man vor einigen Jahrzehnten noch als ein „kommunistisches Machwerk“bezeichnet hätte. So soll es ja auch sein.