Digital denken statt Umsatz verschenken
Viele Touristiker hätten keine digitale Strategie, warnt Experte Christian Spancken. Wie eine „digitale Affäre“Lust auf Österreichs Winter machen kann und warum man mit Influencern mitunter aufs falsche Pferd setzt.
KAPRUN. Digitalisierung macht auch vor dem Skibusiness nicht halt. Die Tourismusbranche nutzt ihre Möglichkeiten aber ungenügend, ist der Digitalisierungsexperte Christian Spancken überzeugt. Er beschäftigt sich mit den Veränderungen beim Kauf- und Buchungsverhalten im Tourismus. Beim Forum Zukunft Winter heizte der 32jährige Informatiker aus Deutschland den versammelten Koryphäen der Tourismusbranche am Donnerstagabend kräftig ein.
Manches ist Seilbahnern, wie den bei dem Event für die Innovation „Ski Alpin Card“mit dem „SkiGuide Austria Award 2020“ausgezeichneten Bergbahnen Kitzsteinhorn, Schmittenhöhe und Saalbach, dabei durchaus bewusst: etwa, wie unverständlich es für den Jugendlichen ist, sein wertvolles Liftticket nicht elektronisch aufs Handy buchen zu können.
Spancken untermauert seine Kritik mit Zahlen: Bei 87 Prozent der Unternehmen mit unter 200 Mitarbeitern werde Digitalisierung zwar als überlebensnotwendig erachtet, aber nur ein Sechstel habe eine Strategie dafür entwickelt. Weiterhin würden viele mittelständische Unternehmen somit Umsatz verschenken, statt digital zu denken. Überwiegend mangle es weiterhin an der Basis. Innerhalb von elf Jahren habe das Smartphone geschafft, dass jeder Nutzer täglich 150 Aktivitäten damit setzt. „Aber 43 Prozent der Hotels haben keinen mobiloptimierten Auftritt. Dabei kommen schon 60 Prozent der Suchanfragen von mobilen Geräten“, erklärt
Spancken. „Wenn Booking.com funktioniert, dann buche ich als Kunde dort. Für den Hotelier ist das schade. Das sind 15 Prozent Ertrag, die dorthin wandern.“
Als einer von zwölf Google-Partner-Academy-Trainern rückt Spancken die Suchmaschine in den Mittelpunkt. Weltweit 70 Prozent, im deutschsprachigen Raum aber deutlich über 90 Prozent, vertrauen auf Google. Wie viel Vertrauen wirklich darin steckt, machte er anhand der Präsentation des Wegs einer
Reisebuchung deutlich: Am Anfang steht die Suche, dann folgt der Ausflug zu vorgeschlagenen Websites, etwa zu einer Plattform. Darauf folgen die Recherche zu einigen von Google vorgeschlagenen Hotels auf deren Homepages, der virtuelle Besuch auf Hotelbewertungsportalen, bei Unzufriedenheit die Rückkehr zur Suchmaschine und zu neuen Vorschlägen. Dieser ganze Prozess wiederhole sich mehrfach für das Hotel, aber auch die Reisemöglichkeiten. „Im Schnitt wird in diesem Prozess 2,8 Mal auch das eingesetzte Gerät gewechselt“, sagt Spancken. Es kommen also der Bürocomputer, der Laptop, das iPad oder das Smartphone abwechselnd zum Einsatz. Insgesamt kommt es zu über 100 Berührungspunkten, bis die Urlaubsentscheidung nach vier bis sechs Wochen wirklich erfolgt.
Die Zahlen stammen aus globalen Analysen von Google. Berücksichtigt werden dabei Reisen von zumindest drei Übernachtungen. Kurzreisen werden in der Regel wesentlich kurzfristiger gebucht, nicht wie bei längeren Reisen drei bis sechs Monate vor Reiseantritt. „Je jünger, desto spontaner wird verreist“, weiß Spancken. Dabei dürfe man zusätzlich nicht übersehen, dass nur 28 Prozent allein verreisen. In fast allen anderen Fällen machen sich mehrere Personen zuvor auf die Suche nach einer Reise. „Das macht es werbetechnisch besonders spannend: Bei wem hat sich der Aufwand gelohnt?“, lässt der Digitalisierungsexperte im Interview seine Rolle als Geschäftsführer einer Online-Marketingagentur hervorblitzen. In der Regel entscheide demnach die junge Generation ihre Reisen kollaborativ. Schon in der Arbeitssituation werde mehr Wert auf Flexibilität gelegt, die auch Freizeitwünsche einfacher umsetzen lasse.
Grundsätzlich habe das Handy als allumfassendes Gerät für die Jugend das Verhalten entscheidend verändert. Das wirke sich auch schon auf das Buchungsverhalten aus. 25- bis 34-Jährige buchen überwiegend von mobilen Geräten. Auch weil sie keine Standgeräte mehr haben. Deshalb sei auch die App so wichtig geworden. „Sie sorgt für die Kundenbindung. Doch es gibt andererseits nichts Unvernünftigeres, als wenn jedes Hotel eine eigene App kreiert“, verwies Spancken darauf, dass sich im Durchschnitt 120 Apps am Smartphone befinden, von denen 27 regelmäßig genutzt werden. Des Rätsels Lösung liege in der Kooperation der Anbieter. Nur gemeinsame Apps könnten hier funktionieren.
Auch in einem zweiten Punkt raubte Spancken Illusionen. Wer sich in der Hotelbranche jugendlich geben will, setzt gern auf Instagram und die dort vertretenen Influencer. „In der Reisebranche hatte das Züge angenommen, dass sich Hotels und Reiseveranstalter erpressen ließen“, warnt er davor, sich von Besitzern von Accounts mit Zehntausenden Abonnenten zu Gratisnächten „überreden“zu lassen. In der Szene laufe der Spruch, es sei billiger, Follower und Likes zu kaufen als ein Hotelzimmer: „Internationale Marken gehen eher zu Mikroinfluencern mit engem Bezug zu ihren Fans.“Keiner solle übersehen, dass der Bericht des Influencers nur einer von über 100 Momenten am Weg zur Reiseentscheidung ist. Je jünger die von Influencern Angesprochenen, desto höher der Identifizierungsgrad, je älter, desto distanzierter sei man. Denn die Jugend habe, wie es Trendforscher Tristan Horx am BergbahnCamp in Innsbruck formulierte, gegen versteckte Werbung einen „Bullshit-Filter“entwickelt.
Wichtiger als soziale Medien, die Aufmerksamkeit auf ein mögliches Urlaubsziel lenken können, sei, die jüngsten Entwicklungen bei den Suchmaschinen im Auge zu behalten. Denn weiterhin werden nur sehr wenige Reisen direkt über Facebook und Co. gebucht. Wichtiger werden indes Sprachassistenten wie Alexa oder Siri: Schon heute erfolgt jede fünfte Suche mündlich. Den Wert pusht Asien, in Europa liege er – noch – unter fünf Prozent.
Spracheingabe bewirke eine gänzlich andere, nämlich allgemeinere Form von Suchanfragen. „Aktuell wird zum Beispiel immer häufiger nach dem Besten, Schönsten oder Tollsten gesucht. Wem es gelingt, unter diesen Keywords präsent zu sein, hat schon gewonnen“, führt Spancken an.
Zweischneidig ist auch die Rolle der Bewertungen geworden. Es gelinge nicht, Fake-Bewertungen wirklich zu eliminieren. Der Kauf von gefälschten Bewertungen sei weiterhin an der Tagesordnung. Zusätzlich werde bei den bezahlten Google-Hotel-Ads, die unter 3,5 Sterne als Durchschnittsbewertung erzielten, die Bewertung prinzipiell ausgeblendet. „Als Konsument muss man sich schon einzelne Bewertungen ansehen, um einen richtigen Eindruck zu gewinnen“, empfiehlt der Berater. Hotels, die zu Beginn 4000 gute Bewertungen eingekauft haben, können faktisch nie wieder schlecht dastehen.
Die von Salzburg ausgehende österreichische „Allianz Zukunft Winter“hat seit elf Jahren die verstärkte Zusammenarbeit aller im Wintersport und Tourismus beteiligten Branchen auf ihre Fahnen geschrieben. Wie der Experte aus Deutschland klarmachte, gilt das für die Präsenz im virtuellen Raum umso mehr. „Egal wie konservativ Einzelne in der Branche auch denken mögen: Es funktioniert nur, wenn wir alle gemeinsam eine Plattform bauen, über die wir die vorhandenen Daten gemeinsam nutzen“, sagte Spancken. Sonst würde man den globalen „Datenkraken“weiterhin das Feld kampflos überlassen.
„Ihr schafft das am besten gemeinsam.“
Christian Spancken, Digitalisierungsexperte