Die Regierungsbildungs-App
Sie wissen nicht, was Sie am Abend kochen sollen? Dafür gibt es eine App. Sie wüssten gern, welches Flugzeug gerade über Ihren Kopf fliegt? Dafür gibt es eine App. Sie wollen Ihrem Lehrer endlich einmal sagen, was Sie wirklich von ihm halten? Dafür gibt es eine App.
Überhaupt gibt es mittlerweile für alles eine App, sogar für die Parkplatzund die Partnersuche. Aber was ist das eigentlich, eine App? Nun: App ist die Abkürzung für Application, und Application heißt Anwendung. Eine App ist also im Grunde eine Anw.
Dies geklärt habend, stellt sich die Frage, warum es für die türkis-grünen Koalitionsverhandlungen keine Anw gibt. Wenn für jedes Problem auf dieser Welt die passende Anw existiert, warum dann nicht auch für problematische Regierungsbildungen? Seit mittlerweile acht Wochen doktern ÖVP und Grüne an einem Koalitionspakt herum, ohne bisher das geringste greifbare Ergebnis zustande gebracht zu haben. Das schreit förmlich nach einer Anw.
Die Regierungsbildungs-Anw müsste aus mehreren Anw-Ebenen bestehen. Ebene 1: Die Koalitionsverhandler bewerten einander, denn das schafft enormes Vertrauen. Dieser Teil der Anw heißt „Koalitionssieg“. Jeder Verhandler verteilt an alle anderen einen („Nicht genügend“) bis fünf Sterne („Sehr gut“). Ehe nicht alle Koalitionsverhandler fünf Sterne haben, kann die nächsthöhere Anw-Ebene nicht gestartet werden.
Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die in Italien lizensierte Sub-Anw „Cinque Stelle“, mit deren Hilfe man sich die Verhandler der Gegenseite auf Fünf-Sterne-Niveau schönklicken kann. Beispielsweise ist es damit möglich, grüne Chaoten in dunkle Anzüge und türkise Schnösel in Birkenstock-Schlapfen und selbst gestrickte Hauben zu kleiden.
Gut. Nach acht Wochen müssten ÖVP und Grüne das mit den Sternderln eigentlich begriffen haben. Damit startet nun die nächste Anw-Ebene. Sie ist bei der Strukturierung der Verhandlungen behilflich. Die Parteien können sich hier durch Dutzende hilfreiche Gesprächsetappen klicken: Sondierungen, vertiefte Sondierungen, vertiefende Auslotungen, auslotende Vertiefungen, verlötete Austiefungen und so weiter.
Im nächsten Schritt ist die Regierungsbildungs-Anw bei der Benennung der Verhandlungsgruppen behilflich. Angeboten werden: Fachgruppen, Untergruppen, Obergruppen, Steuerungsgruppen sowie die passenden Leitungsfiguren wie Steuerungs-, Unter- und Obergruppenführer (so weit sie halt nicht unters Verbotsgesetz fallen).
Das nächste Service, das die Anw bietet, sind Vorschläge für Verhandlungsgegenstände. Hier ist alles im Angebot, was politisch zur Zeit einen schlanken Fuß macht: offene Transparenz und transparente Offenheit, ein gemeinsames Europa der Werte, nachhaltiger Klimaschutz,
klimatische Nachhaltigkeit, innovative Innovation, soziale Wärme, wertschätzende Weltoffenheit, gelebte Verantwortung – die ganze Latte.
Das Inhaltliche lässt sich also mit ein paar Klicks erledigen. Nächster und viel wichtigerer Punkt ist die Verteilung der Ministerposten. Da bietet die Anw zwei mögliche Vorgangsweisen an. Entweder sie sucht für jedes Ministeramt den am besten Geeigneten aus. Das ist in Österreich aber völlig unüblich. Ortsüblicher und damit empfehlenswerter ist die Benutzung des Zufallsgenerators.
Bleibt als letzte zu klärende Frage die nach dem Motto der künftigen Regierung. Empfohlen wird hier von der Anw „Österreich neu regieren“– ein unverwüstliches, seit vielen Jahrzehnten bewährtes Koalitionsmotto.
Nach Auskunft des Herstellers ist es mit dieser Regierungsbildungs-Anw möglich, binnen 20 Minuten zu einer Koalitionseinigung zu kommen. Worauf warten wir noch?