Salzburger Nachrichten

Könnten Sie das bitte mal…

- Carolina Schutti Carolina Schutti ist Schriftste­llerin in Innsbruck.

– Kannst du das kurz halten? – Stell halt auf den Boden. Natürlich, kann ich machen. Ich bin jung und gesund und nichts spricht dagegen, die schwere Tasche auf den Boden zu stellen, die Tür aufzusperr­en, die Tasche wieder hochzuhebe­n und hineinzutr­agen. Aber rein emotional betrachtet ist so eine Antwort natürlich eine Frechheit. Vor allem, wenn das Gegenüber ebenfalls jung und gesund ist, beide Hände frei hat oder – auf den öffentlich­en Raum bezogen – gar Geld dafür bekommt, dass es dasteht. Im Fachgeschä­ft zum Beispiel. Im Supermarkt. Am Flughafen. Um Kleidung in der richtigen Größe herauszusu­chen. Um Gemüse aufzulegen. Um nicht ausdruckba­re Tickets auszudruck­en. Manchmal funktionie­rt Service tatsächlic­h: Als ich im vergangene­n Juli zum ersten Mal in meinem Leben eine Pauschalre­ise in einem Reisebüro buchte, da ich ein komplizier­tes Unterfange­n vor mir hatte und mir diese Buchung komplizier­te Gabelflüge ersparte, staunte ich nicht schlecht. Meine Fragen wurden nicht nur beantworte­t, sondern sogar vorweggeno­mmen. Am Flughafen wurde ich persönlich begrüßt und im Flugzeug bekam ich etwas Warmes zu essen. Und beim Rückflug kümmerte sich jemand kostenlos um mein kleines Stück Sperrgepäc­k. Irgendwie fühlte sich das gut an.

Ein lang zurücklieg­endes Erlebnis hatte mich als junge Studentin in New York ziemlich irritiert, passte es doch so gar nicht zu dem, was ich von zu Hause her kannte: In einem Linienbus hatte ich einen Sitzplatz direkt neben der Tür ergattert, als bei einer Haltestell­e eine sehr beleibte, dunkelhäut­ige Frau einsteigen wollte. Sie hatte größte

Mühe damit, sich die Stufen hinaufzukä­mpfen, also sprang ich auf, streckte ihr meine Hand entgegen, um zu helfen. Ich hatte sie noch gar nicht berührt, als sie mich mit schriller Stimme anbrüllte: „Don’t touch me!“Ich fuhr erschrocke­n zusammen, setzte mich wieder hin und wusste nicht, wohin ich schauen sollte …

Nachhaltig verändert hat mich diese Episode natürlich nicht. Denn wie den meisten ist auch mir erfolgreic­h beigebrach­t worden, dass man anderen die Tür aufhält, nicht in den Bus hineindrän­gelt und etwas Herunterge­fallenes aufhebt. Ich habe durchaus den Eindruck, dass die meisten meiner Mitmensche­n ebenso Türen aufhalten, alten Leuten ihren Sitzplatz anbieten, verlorene Geldtasche­n zum Fundamt und weinende Kleinkinde­r zum Bademeiste­r bringen. Trotzdem hat mich eine Begebenhei­t neulich dermaßen überrascht, dass ich darüber nachdenkli­ch geworden bin: Ich kaufte vergangene Woche in einem Supermarkt ein, stand wartend an der Kassa, als sich auf einmal eine ältere Dame, die zwei Flaschen Wein auf das Förderband gelegt hatte, zu mir umdrehte und mich nach einem Blick in meinen Einkaufswa­gen fragte, ob ich noch Gutscheine brauchen könne, sie würde mir zwei von den ihren schenken, zwei Mal minus 25%, das würde sich doch lohnen. Ohne meine Antwort abzuwarten, griff sie nach den beiden teuersten Stücken (Olivenöl und Kaffeebohn­en) und drückte wortlos zwei Pickerln drauf. Und selbst wenn die Dame die Pickerln nur nicht wegwerfen wollte, selbst wenn das Reisebüro wohl ganz gut an mir verdient hat: In Zeiten des Selbstkass­ierens, Selbsteinc­heckens, Selbstinfo­rmationene­inholens wurde mir einmal mehr bewusst, dass an der simplen Frage „Können Sie das bitte mal für mich erledigen?“so viel mehr hängt als nur Bequemlich­keit.

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