Könnten Sie das bitte mal…
– Kannst du das kurz halten? – Stell halt auf den Boden. Natürlich, kann ich machen. Ich bin jung und gesund und nichts spricht dagegen, die schwere Tasche auf den Boden zu stellen, die Tür aufzusperren, die Tasche wieder hochzuheben und hineinzutragen. Aber rein emotional betrachtet ist so eine Antwort natürlich eine Frechheit. Vor allem, wenn das Gegenüber ebenfalls jung und gesund ist, beide Hände frei hat oder – auf den öffentlichen Raum bezogen – gar Geld dafür bekommt, dass es dasteht. Im Fachgeschäft zum Beispiel. Im Supermarkt. Am Flughafen. Um Kleidung in der richtigen Größe herauszusuchen. Um Gemüse aufzulegen. Um nicht ausdruckbare Tickets auszudrucken. Manchmal funktioniert Service tatsächlich: Als ich im vergangenen Juli zum ersten Mal in meinem Leben eine Pauschalreise in einem Reisebüro buchte, da ich ein kompliziertes Unterfangen vor mir hatte und mir diese Buchung komplizierte Gabelflüge ersparte, staunte ich nicht schlecht. Meine Fragen wurden nicht nur beantwortet, sondern sogar vorweggenommen. Am Flughafen wurde ich persönlich begrüßt und im Flugzeug bekam ich etwas Warmes zu essen. Und beim Rückflug kümmerte sich jemand kostenlos um mein kleines Stück Sperrgepäck. Irgendwie fühlte sich das gut an.
Ein lang zurückliegendes Erlebnis hatte mich als junge Studentin in New York ziemlich irritiert, passte es doch so gar nicht zu dem, was ich von zu Hause her kannte: In einem Linienbus hatte ich einen Sitzplatz direkt neben der Tür ergattert, als bei einer Haltestelle eine sehr beleibte, dunkelhäutige Frau einsteigen wollte. Sie hatte größte
Mühe damit, sich die Stufen hinaufzukämpfen, also sprang ich auf, streckte ihr meine Hand entgegen, um zu helfen. Ich hatte sie noch gar nicht berührt, als sie mich mit schriller Stimme anbrüllte: „Don’t touch me!“Ich fuhr erschrocken zusammen, setzte mich wieder hin und wusste nicht, wohin ich schauen sollte …
Nachhaltig verändert hat mich diese Episode natürlich nicht. Denn wie den meisten ist auch mir erfolgreich beigebracht worden, dass man anderen die Tür aufhält, nicht in den Bus hineindrängelt und etwas Heruntergefallenes aufhebt. Ich habe durchaus den Eindruck, dass die meisten meiner Mitmenschen ebenso Türen aufhalten, alten Leuten ihren Sitzplatz anbieten, verlorene Geldtaschen zum Fundamt und weinende Kleinkinder zum Bademeister bringen. Trotzdem hat mich eine Begebenheit neulich dermaßen überrascht, dass ich darüber nachdenklich geworden bin: Ich kaufte vergangene Woche in einem Supermarkt ein, stand wartend an der Kassa, als sich auf einmal eine ältere Dame, die zwei Flaschen Wein auf das Förderband gelegt hatte, zu mir umdrehte und mich nach einem Blick in meinen Einkaufswagen fragte, ob ich noch Gutscheine brauchen könne, sie würde mir zwei von den ihren schenken, zwei Mal minus 25%, das würde sich doch lohnen. Ohne meine Antwort abzuwarten, griff sie nach den beiden teuersten Stücken (Olivenöl und Kaffeebohnen) und drückte wortlos zwei Pickerln drauf. Und selbst wenn die Dame die Pickerln nur nicht wegwerfen wollte, selbst wenn das Reisebüro wohl ganz gut an mir verdient hat: In Zeiten des Selbstkassierens, Selbsteincheckens, Selbstinformationeneinholens wurde mir einmal mehr bewusst, dass an der simplen Frage „Können Sie das bitte mal für mich erledigen?“so viel mehr hängt als nur Bequemlichkeit.