Wenn Salzburgs überhitzte Böden absaufen
Bedroht durch Naturgewalten und zugleich heiß begehrt. Salzburgs Landschaften im Ausnahmezustand. Eine Bestandsaufnahme unserer Lebensgrundlage.
Muren, die Einfamilienhäuser wie Streichhölzer wegschieben und eine Wucht entfalten, die ganz Salzburg erschreckt. Das Land rückt zusammen, geeint im Mitgefühl mit den Opfern, der Dankbarkeit für die rackernden Einsatzkräfte, aber auch in der Sorge, was da passiert und noch passieren könnte.
Dabei sind die Salzburger hart im Nehmen. Zu viel ist heuer passiert. Der Jahrhundert-Schneefall im Jänner. Die schweren Schäden in Uttendorf und Rußbach. Und jetzt der Jahrhundert-Regen! Er überfiel den Süden zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt. Im November bangt man vielleicht um Schnee, aber kämpft nicht gegen Wasser und Muren. Salzburg erlebte eine neue Bedrohungslage, die viele grübelnd zurücklässt.
Das Jahr 2019 wird ein weiterer Markstein, der die Verletzlichkeit der Alpentäler offenbart. Die Menschen spüren das und erkennen die Veränderung. Darin steckt auch die Chance, einen neuen Konsens auf heikle Fragen zu finden. Immerhin geht es um unser aller Lebensgrundlage.
Stimmt schon: Naturkatastrophen
gehören zum alpinen Leben. Sie wüteten viel brutaler, als vom Klimawandel noch lang keine Rede war. Nur: Wir sind heute hochgerüstet wie nie. Allein in Salzburg fließen Jahr für Jahr bis zu 50 Mill. Euro in Schutzbauten. Da summieren sich gewaltige Beträge, und sie sind gut investiert. Die Besiedlung von Teilen der Gebirgstäler wäre ohne Schutzwälle längst bedroht. Doch die Macht des Betonierens stößt an Grenzen, wie sich aktuell zeigt. Nicht jeder Graben kann verbaut, nicht jedes Flüsschen gezähmt werden.
Natürlich ist nicht jedes Unwetter direkt dem Klimawandel zuzuschreiben. Doch dessen Einfluss bezweifelt kein ernst zu nehmender Experte mehr. Die Temperaturen in den Alpen sind schon fast doppelt so stark gestiegen wie in flachen Regionen. Und die neue Unberechenbarkeit, die Intensität der Wetterextreme kann niemand wegreden.
Neben Schutzbauten braucht es jetzt einen schonenderen Umgang mit der Natur. Salzburg hat dafür beste Voraussetzungen. Unser Reichtum an Wasser und Holz ist beneidenswert. Er birgt gewaltiges Potenzial für erneuerbare Energien, die entscheidend sind, um vom Öl wegzukommen.
Trotzdem hinkt Salzburg seinen Vorgaben hinterher. Nicht nur weil der grüne Landesvize Heinrich Schellhorn mehr als Prediger denn als Macher auftritt. Auch weil der öffentliche Verkehr in einem miserablen Zustand ist. Der junge Landesrat
Stefan Schnöll ist zwar entschlossen, das Auto zurückzudrängen – ein für Salzburg kühner Plan. So pflastert Widerstand, auch mancher Querschläger aus den eigenen ÖVP-Reihen, Schnölls Weg. Immerhin: Er hat einen Plan. Und das ist für Salzburgs Verkehrspolitik schon fast eine Sensation.
Nicht minder heikel ist die Raumordnung, die sich de facto im Ausnahmezustand befindet. Auch dort, wo die Böden jetzt abgesoffen sind, sind sie normal im Zustand akuter Überhitzung. Die starke Nachfrage, auch aus dem Ausland, treibt die Preise. Zehntausende illegale Zweitwohnsitze, die rechtlich saniert werden müssen, offenbaren Auswüchse. Landesrat Josef Schwaiger, ein Kämpfer für den ländlichen Raum, muss zeigen, dass er der Entwicklung Herr wird. Dass er das ungezügelte Bauen auf der grünen Wiese einschränkt. Dass Nachverdichtung zum Primat wird. Dass es keine neuen Zweitwohngebiete gibt. Und Bauen in Gefahrenlage definitiv vorbei ist.
Das muss, ja darf die benachteiligten Gebirgsbezirke nicht schwächen. Eine sanftere Entwicklung kann sie sogar stärker machen, wie es einige Hoteliers und Touristiker vormachen. Sie wissen, dass auch Betriebe nur erfolgreich bleiben, wenn sie mithelfen, unseren räuberischen Ressourcenverbrauch zu senken. Raumordnerische Auswüchse – ob Chaletdörfer in exklusiven Hanglagen oder exzessive Bergerschließungen – sind abzustellen, unabhängig vom einschneidenden Geschehen dieser Tage. Politisch wird das zunehmend mehrheitsfähig. In einem Land, das auch von natürlicher Schönheit lebt, ist das nur konsequent.