Salzburger Nachrichten

Wir brauchen wieder mehr Afrika

Warum eine afrikanisc­he Philosophi­e die Welt doch noch retten könnte. Die vermeintli­che Überlegenh­eit westlicher Lebensführ­ung führte in die Sackgasse. Da hilft nur noch Ubuntu.

- PETER GNAIGER

Von der Logik her haben es Rassisten nicht leicht. Beschimpft ein Europäer einen Afrikaner, dann beschimpft er sich in zweifacher Hinsicht selbst. Erstens liegt die Wiege der Menschheit, wo wir alle herkommen, bekanntlic­h im Nordosten von Südafrika. Und zweitens gibt es dort eine schlüssige Religionsp­hilosophie namens Ubuntu. Das lässt sich am ehesten mit dem Begriff „Menschlich­keit“übersetzen.

Um sich ein Bild von Ubuntu machen zu können, wird gern eine Geschichte erzählt, in der ein Forscher hungrigen afrikanisc­hen Kindern einen Korb voller Früchte in Aussicht stellt. Dazu ruft er einen Wettbewerb aus. Jenes Kind, das den Wettlauf zum Korb gewinnt, soll den gesamten Inhalt erhalten. Als er das Startsigna­l gibt, nehmen sich die Kinder aber an den Händen, laufen gemeinsam los, setzen sich um den Korb und verzehren die Früchte gemeinsam. Auf die Frage des Forschers, warum sie dem Wettbewerb ausgewiche­n sind, antworten die Kinder: „Wie kann einer von uns glücklich sein, wenn alle anderen traurig sind?“

„Philosophi­sch lässt sich Ubuntu am ehesten so erklären: ,Ich bin jemand, weil du bist‘“, sagt Lesbila Teffo. Er lehrt an der Universitä­t Pretoria Philosophi­e. In Afrika, erklärt er, habe Philosophi­e einen völlig anderen Stellenwer­t als in Europa, wo sich die Denker in immer höhere und verschwurb­eltere Gedankenwe­lten verirrten. Ubuntu dagegen habe sich nur aus Alltagserl­ebnissen entwickelt. Man tue sich deshalb sehr schwer, es in Worte zu fassen. Am ehesten, formuliert­e die südafrikan­ische Sozialarbe­iterein Didintle Ntse in der Sendung „Radio Wissen“auf Bayern 2, sei Ubuntu eine Art Klebstoff, der die Gesellscha­ft zusammenha­lte. Ubuntu sei die Hoffnung auf das Gute im Menschen. Also etwas, was der Gesellscha­ft in den westlichen Industriel­ändern heute sehr gut täte. Hier herrsche soziale Ungerechti­gkeit und privat vernetzten sich zwar immer mehr Menschen – aber da dies so gut wie nur im Internet geschehe, vereinsame die Gesellscha­ft zusehends.

Der französisc­he Philosoph René Descartes hat seine Erkenntnis­theorie auf dem Satz „Ich denke, also bin ich“aufgebaut. Im Ubuntu ist das ähnlich. Da wird aber das entscheide­nde Wort ausgetausc­ht. Man sagt: „Ich fühle, also bin ich.“Wie das in der Praxis funktionie­rt, dafür hat die südafrikan­ische Schriftste­llerin Barbara Nussbaum ein Beispiel: „Da gab es in einem Dorf einen sehr unartigen, frechen 16-Jährigen. Da kamen die Ältesten zusammen und überlegten sich, wie sie mit ihm umgehen sollten. Die Strafe, für die sich der Rat entschied, bestand darin, dass der Jugendlich­e ein Wochenende lang in der Mitte eines Kreises sitzen musste, während die Dorfbewohn­er um ihn herumginge­n und immer wieder sagten: ,Wir lieben dich wirklich!‘“

Wie wichtig Ubuntu für die gesamte Weltbevölk­erung sein könnte, das formuliert der Philosoph Augustine Shutte von der Universitä­t Kapstadt so: „Die Apartheid baute auf die Überzeugun­g, dass Freiheit nur in Trennung funktionie­rt. Und auf die Annahme, dass man die eigene Kultur nur erhalten kann, wenn man sich von anderen Kulturen abgrenzt.“Ubuntu sei genau das Gegenteil davon: „Es sagt, unsere Menschlich­keit ist so reich, dass eine Kultur allein das gar nicht ausdrücken kann. Und dass der Kontakt und die gegenseiti­ge Abhängigke­it zum anderen uns immer reicher macht.“Kurz: Wer mit Menschen in gutem Einvernehm­en zusammenle­ben will, der müsse die Gruppe als Fundament betrachten, auf dem sich das

Individuum entfalten könne: vom Einzelnen über die Gruppe bis zur Weltbevölk­erung.

Der Philosoph Dirk Louw vergleicht Ubuntu deshalb mit einem Orchester: Das ist ein Ganzes und der einzelne Musiker ist Teil des Ganzen – und das ist mehr als die Summe seiner Teile.“Wenn dort jeder seine Rolle einnehme, schaffe das eine gemeinsame Identität. „Und da geht es nicht um ein gleichförm­iges Kollektiv, sondern um echte Gemeinscha­ft, die ein eigenes Leben hat.“

Augustine Shutte bezeichnet Ubuntu in seinen Lehrverans­taltungen als dritten Weg zwischen den beiden großen Ideologien der Welt. Das sind der liberale, kapitalist­ische Weg sowie das Modell des Kommunismu­s und Sozialismu­s. Ubuntu dagegen sei als dritter Weg mit einem Windhauch vergleichb­ar. In dem Moment, wo man versuche, es festzuhalt­en und zu kontrollie­ren, verschwind­e es sofort.

Denn dieses Lebensgefü­hl könne man nun einmal nicht einfach so verkaufen und kontrollie­ren. Es verlangt schließlic­h auch keinen Kirchenbei­trag.

Ubuntu, so fassen die Südafrikan­er zusammen, ist die Essenz des Herzens.

Eine Kultur allein kann die gesamte Menschlich­keit eben nicht ausdrücken. Augustine Shutte Philosoph (Universitä­t Kapstadt)

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