Ressourcen, an denen Blut klebt
Häufige Krisen um seltene Erden. Die Welt giert nach Rohstoffen für E-Autos, Handys und grüne Energie: Gefragt sind jetzt andere Ressourcen als Stahl und Erdöl. Jedoch: Auch die neuen Bodenschätze fördern oft Kinderarbeit, Ausbeutung und Ungleichheit.
Klimawandel ist ein wirksamer Motor für nachhaltige Investments.
Reinhard Friesenbichler, RFU-Nachhaltigkeitsinstitut BILD: SN/SPÄNGLER IQAM
Vielfach sind es der Wunsch oder die Forderung nach Nachhaltigkeit, die die Nachfrage nach diesem oder jenem Rohstoff bestimmen. Beispiel E-Mobilität, also Elektroautos und E-Roller, die fossile Treibstoffe durch Elektrizität aus umweltfreundlichen Quellen ersetzen soll. Mit dem Trend zum E-Auto ist die Nachfrage nach Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel und nach seltenen Erden sprunghaft gestiegen. Zugleich sinkt mit dem Kurswechsel der Bedarf an bisher von Autoherstellern stark nachgefragten Rohstoffen wie Stahl oder Aluminium, um das Gewicht zu reduzieren. Auch der Bedarf an Blei geht zurück. Solche großen Branchentrends können zu Engpässen führen, wenn der Bedarf schneller steigt, als die Förderkapazitäten erhöht werden können. In manchen Fällen zeichnet sich bereits ein Ende der Gesamtbestände ab – zumindest der bekannten und wirtschaftlich abbaubaren Vorkommen. Bei Zink könnte das 2030 der Fall sein, bis 2035 dürften laut Studien auch die Vorräte an Chrom und Gold zur Neige gehen, die sich kostendeckend fördern lassen. Auch wenn Experten unterstreichen, dass solche Prognosen keine Konstante sind, sondern sich laufend nach hinten schieben, liegt auf der Hand, dass ein solches absehbares Ende der Vorkommen Auswirkungen auf den Preis hat. Vor allem bei steigender Nachfrage wie etwa bei Gold. Das kann dazu führen, dass ein hoher Teil des Rohstoffs wiederverwertet wird. So stammt der größte Teil „neuen“Goldes mittlerweile nicht aus Minen, sondern aus eingeschmolzenem Schmuck. Das legt die Frage nah, wie nachhaltig eigentlich Rohstoffe selbst sind. Und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei ihrer wirtschaftlichen Nutzung? „Eine große Rolle“, ist Reinhard Friesenbichler überzeugt, „zumindest in der Wahrnehmung als Risiko“. Er ist Gründer des RFU-Nachhaltigkeitsinstituts in Wien. Gerade in diesem Bereich seien Marktteilnehmer „sehr sensibel“. Denn genau darum dreht sich die öffentliche und politische Diskussion über Rohstoffe, um die Abhängigkeit von politisch instabilen Staaten, Kriege in Produktionsländern, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder Kinderarbeit.
In der Produktion selbst herrschen kaum je vollkommen faire und nachhaltige Umstände. Kinderarbeit, korrupte Regimes, Ausbeutung der Arbeitskräfte in Ländern mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen – so lauten nur einige der Vorwürfe. Bei den meisten Rohstoffen ist es noch immer nicht möglich, die Stationen der Gewinnung Schritt für Schritt transparent und nachvollziehbar zu dokumentieren. Oft aus gutem Grund. Viele Rohstoffe werden unter Bedingungen gewonnen, die allen westlichen Standards widersprechen. Nur in Ausnahmefällen ist es möglich, wirklich nur nachhaltig und fair gewonnene Rohstoffe bei der Herstellung von Industriegütern zu verwenden. Ein Lied davon singen kann Bas van Abel. Der Computerexperte und Elektrotechniker brachte im Jahr 2010 das erste Fairphone auf den Markt. Dieses Mobiltelefon hat den Anspruch, unter möglichst fairen und nachhaltigen Bedingungen erzeugt worden zu sein. Aber von wirklich nachhaltig und fair ist man noch weit entfernt, laut van Abel hat man gerade erst ein Drittel davon umgesetzt. Und rund ein Drittel der 1500 Komponenten und gut 60 Mineralien, die ein Handy enthält, sind „kritische Stoffe“wie Kobalt aus dem Bürgerkriegsland Kongo.
Nicht nur verantwortungsvolle Hersteller bemühen sich, bei Rohstoffen die Spreu vom Weizen zu trennen, auch ethische Investmentfonds und Anlagegesellschaften haben die Nische erkannt. Fondsmanager Thomas Kaiser von der Spängler IQAM Invest etwa bestückt den „Strategic Commodity Fund“nach Nachhaltigkeitskriterien. Lebensmittel sind tabu. Aktuell enthält der Fonds überwiegend Industriemetalle wie Palladium, Zink und Nickel, ein Drittel entfällt auf Energie wie bleifreies Benzin oder Rohöl.
Für die Nachhaltigkeit spielt auch eine Rolle, wie weit die Herkunftsländer der Rohstoffe selbst von den Einnahmen aus ihren Bodenschätzen profitieren können. Bringen sie der breiten Bevölkerung Wohlstand? Kommen die Gewinne nur einer kleinen Elite zugute? Oder landen sie zur Gänze in den Kassen ausländischer Unternehmen? Ein Überblick über die rohstoffreichsten Länder der Welt ergibt ein sehr heterogenes Bild. In den Top Ten der Staaten mit den wertvollsten Rohstoffvorkommen finden sich Länder wie Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Kanada mit überdurchschnittlich hohem Wohlstand in der Gesamtbevölkerung. Und dann gibt es Länder wie Venezuela, den Irak oder Russland, wo nur kleine Machteliten vom Reichtum an Bodenschätzen profitieren, während große Teile der Bevölkerung in Armut leben. Das hängt mit Geschichte, Gesellschaft und politischer Struktur eines Landes zusammen. Aber auch damit, wie sich Länder oder ganze Regionen wirtschaftlich und strategisch positionieren.
Viele Länder Südostasiens verfügen über geringe oder gar keine Rohstoffe wie Japan oder Taiwan. Zugleich haben gerade sie sich auf den Export von Technologie in alle Welt spezialisiert. „Asien ist in Summe ein Nettoimporteur von Erdöl und ein Exporteur von Technologie“, sagt Bank-Austria-Chefanalystin Monika Rosen. Das hat sich zuletzt bewährt, als ein sinkender Ölpreis mit einem regelrechten Boom bei Technologie zusammenfiel. Allein heuer stiegen Tech-Aktien an US-Börsen um fast 40 Prozent.
Apropos Finanzmärkte. Ein Vergleich zeigt, dass Rohstoffe in den jüngsten Jahren gegenüber anderen Kategorien wie Aktien, Anleihen und Immobilien wertmäßig massiv ins Hintertreffen geraten sind. So legte in den zehn Jahren seit 2008 der weltweite breite Aktienindex MSCI um gut 70 Prozent zu, während ein Index aus den 24 wichtigsten Rohstoffen (GSCI) fast im gleichen Ausmaß einbrach.
Einen Grund ortet Rohstoffanalyst Eugen Weinberg von der Commerzbank darin, dass Rohstoffe von Anbietern „nicht so sehr in die Auslage gestellt worden“, also gleichsam im Schatten anderer Anlageformen gestanden seien. Dazu komme, dass Rohstoffe als zyklische Güter stark von der Konjunkturentwicklung abhängig seien. Und da sei es vor Drohszenarien wie zunehmenden Handelskonflikten „verständlich, dass Rohstoffe nicht als erste Wahl gelten“.
Genau das könnte sich durch neue Megatrends wie jenen zur Nachhaltigkeit massiv verändern. Experten wie Großinvestor Jim Rogers bescheinigen Rohstoffen auch ein Gewinnpotenzial, weil viele angesichts globaler Schuldenkrisen reale Werte bevorzugen würden. Das ist nichts für schwache Nerven, mit hohen Kursschwankungen ist zu rechnen. Und Anleger müssen wohl auch ein gerüttelt Maß an Geduld mitbringen. Ein Kriterium für Nachhaltigkeit ist auch die langfristige Ausrichtung bei der Veranlagung.