Revolution Bewegungszone
Die Zukunft des „Sports für alle“hat längst begonnen. Der Sport muss zu den Menschen kommen – aber wie? Eine Institution prämiert seit Jahrzehnten herausragende Sportstätten und deren Architektur. Das wirkt.
Die Frage, wie und wo in Zukunft sportliche Betätigung ausgeübt wird, beschäftigt seit Jahrzehnten Experten und Bewegungsfreudige gleichermaßen. Aber was haben Architekten in dieser Diskussion zu suchen? Viele Sportstätten und solche, die nur auf den ersten Blick als solche erscheinen, lassen oft jegliche Kreativität vermissen. Diese Zeiten sind vorbei. „Die Sportstätten haben sich den modernen Bedürfnissen anpassen müssen. Multifunktionelle Nutzung ist das Gebot der Stunde“, sagt Wolfgang Becker, der Direktor des Universitätssportzentrums in Rif. Becker war Anfang November in Köln, als die IAKS, die International Associaton for Sports and Leisure Facilities, wie alle zwei Jahre die besten Sportstätten der Welt auszeichnete. Der Salzburger Becker, seit Jahren im IAKS-Vorstand, war dieses Jahr Vorsitzender der zehnköpfigen Jury. In sechs Kategorien wurden 98 Projekte aus allen Kontinenten begutachtet – unter der Patronanz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). „Es geht um die Schärfung der öffentlichen Debatte, wie der Sport die Lebensqualität der Menschen verbessern kann“, meinte etwa IOC-Präsident Thomas Bach im Vorfeld des IAKS-Kongresses in Köln und ergänzte: „Es wird eine wesentliche Aufgabe unserer Gesellschaft sein, die Menschen zu ermutigen, einen aktiven Lebensstil anzugehen.“
Die IAKS-Preise sind heiß begehrt, sind sie doch Ausdruck einer Gesinnung, wie die Länder mit Sport und Bewegung umgehen. Und da hat sich zuletzt viel getan. „Nach 1945 hat sich in diesem Bereich enorm viel weiterentwickelt“, erzählt Juryvorsitzender Becker, „früher wurden einfach Fußballplätze hingestellt, ohne zusätzliche Bewegungsflächen.“Was zur Folge hatte, dass nur Buben die Möglichkeit zur sportlichen Entfaltung hatten. Alle anderen wurden ausgegrenzt. Das sei längst nicht mehr zeitgemäß. „Heute braucht es Bewegungszonen für alle, generationenübergreifend und auch behindertengerecht“, sagt Becker.
Vor allem die Nordländer wie Norwegen und Dänemark hätten den Trend der Zeit erkannt. „Das ist nicht überraschend, denn diese Länder haben zum Sport von der Kultur her einen ganz anderen Zugang.“Die Konzepte in diesen Ländern seien innovativ. „In Kopenhagen wurde mitten in einem dichten Stadtviertel auf einem Parkhaus ein Dachspielplatz errichtet. Ein bewegtes Freizeitareal für alle. Das Geld kommt über eine Stiftung. So geht sinnvoller Sportstättenbau“, sagt Becker. Dieses Projekt wurde von der IAKS 2019 mit einer Silbermedaille ausgezeichnet (siehe auch folgende Detailbeschreibung). Wie schaut sie also aus, die Zukunft der Bewegungszonen? Anregungen für perfekte Sportstätten gibt es genug.
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Riviera-Wasserpark (Award in Gold) im tschechischen Brünn: Der Riviera-Wasserpark wurde im Juni 2018 in einer umfassenden Renovierung wieder eröffnet. Die Anlage zählt zu den größten Outdoorwasserparks in der Tschechischen Republik. Umgerechnet 8,3 Millionen Euro wurden in das Projekt investiert. Die Planer vom Architekturbüro A77 wollten das Konzept eines Naturschwimmbads möglichst umfassend erhalten und nutzten dabei einen alten Nebenarm des benachbarten Flusses Svratka. Entstanden ist ein Wasserpark, der allen Altersgruppen gerecht wird und eine Vielzahl an Sport- und
Freizeitaktivitäten bietet. „Dieses Projekt geht weit über eine gewöhnliche Planung hinaus“, erklärte Juror Becker den SN, „die Verwendung von Materialien wie Edelstahl, Beton und Holz war grandios.“
2 Sportcampus Zuiderpark (Award in Gold) in Den Haag (Niederlande): „Der Sport muss zu den Menschen kommen und nicht umgekehrt. Das ist zeitgemäße Nutzung“, meinte Rif-Direktor Becker bei der Analyse dieses Sportparks in den Niederlanden. Das primäre Ziel des Projekts bestand darin, die Bedeutung von Sport und Bewegung mit Lernen und Engagement zu untermauern – für Freizeit- und Spitzensportler. Aber das kostet: Insgesamt wurden hier 50 Millionen Euro investiert. Neben einer Mehrzweckhalle existieren viele Indoor- und Outdoorbereiche für sportliche Aktivitäten sowie Räume für sportwissenschaftliche Forschungszwecke und Vorlesungen. „Es gilt nicht nur passiv den Sport zu erleben, sondern auch selbst Umfeld Sport zu betreiben“, sagt Becker. Das ist die Basis der architektonischen Lösung, die den Auftrag erfüllt, die Grundsätze von Bewegung und Aktivität zu verkörpern. „Der Zuiderpark wurde so zum Dreh- und Angelpunkt für alle Anwohner und Besucher an einem prominenten Platz in der Stadt. Jede Fläche wird überlegt ausgenutzt“, begründete die Jury ihre Entscheidung für den Award in Gold.
3 Dachspielplatz im dänischen Kopenhagen (Award in Silber): Auf einem Parkhaus eines dicht besiedelten Gebiets des Hafenviertels Nordhavn wurde ein Dachspielplatz der besonderen Art errichtet. Das Dach wurde als Erholungszone für Anwohner und Besucher konzipiert. Der Zugang erfolgt über zwei Außentreppen, die ein besonderes Zutrittsextra aufweisen: „Bei den Treppen sind Zeitnehmungen angebracht, die stoppen, wie schnell man auf das Dach kommt“, sagt IAKSJurymitglied Becker. Er vergleicht es mit den sogenannten WISBI-Strecken („Wie schnell bin ich“) in vielen Skigebieten. Dadurch sollen Besucher und Sportler gleich zur Bewegung animiert werden. Auf dem Dach selbst bestimmen eher konservative Stücke die sportliche Abwechslung: Klettergerüste, Schaukeln und Gleichgewichtsübungen sollen alle Generationen zur Bewegung führen. Inklusive spektakulärer Aussicht auf die Stadt.
4 Multifunktionales
Stadion (Award in Silber) im australischen Perth: Das Optus Stadion ist einer der ökologisch wertvollsten Preisträger bei der diesjährigen Vergabe der IAKS-Preise. Erbaut um umgerechnet sagenhafte 562 Millionen Euro, ist das Stadionprojekt unweit des Swan River ein öffentlicher Park mit Live-Sporterlebnis. Die übergeordnete Entwurfsidee bestand darin, die Umweltauswirkungen beim Projekt zu minimieren. Die Stätte wurde nach eigenen Angaben „kulturell und ökologisch geheilt und repariert“. Die Renaturierung des Flussufers bietet nun viel Lebensraum und Nahrung für die Fauna. 1380 Bäume und 55.000 im Wasser heimische Pflanzen wurden eingebracht. Der ganzjährig für die Öffentlichkeit zugängliche Stadionpark bietet neben sportlichen Wettkämpfen Kinderspielplätze, Picknickareale und eine Promenade. Aus dem passiven Livesporterlebnis soll ein ganztägiger Ausflug mit eigenen sportlichen Aktivitäten werden. Und: Eines der herausragenden Merkmale des Stadionparks ist die hervorragende Anbindung an den öffentlichen Verkehr, wodurch der Parkraumbedarf auf ein Minimum reduziert werden konnte. Ein Vorbild.