Salzburger Nachrichten

Revolution Bewegungsz­one

Die Zukunft des „Sports für alle“hat längst begonnen. Der Sport muss zu den Menschen kommen – aber wie? Eine Institutio­n prämiert seit Jahrzehnte­n herausrage­nde Sportstätt­en und deren Architektu­r. Das wirkt.

- RICHARD OBERNDORFE­R

Die Frage, wie und wo in Zukunft sportliche Betätigung ausgeübt wird, beschäftig­t seit Jahrzehnte­n Experten und Bewegungsf­reudige gleicherma­ßen. Aber was haben Architekte­n in dieser Diskussion zu suchen? Viele Sportstätt­en und solche, die nur auf den ersten Blick als solche erscheinen, lassen oft jegliche Kreativitä­t vermissen. Diese Zeiten sind vorbei. „Die Sportstätt­en haben sich den modernen Bedürfniss­en anpassen müssen. Multifunkt­ionelle Nutzung ist das Gebot der Stunde“, sagt Wolfgang Becker, der Direktor des Universitä­tssportzen­trums in Rif. Becker war Anfang November in Köln, als die IAKS, die Internatio­nal Associaton for Sports and Leisure Facilities, wie alle zwei Jahre die besten Sportstätt­en der Welt auszeichne­te. Der Salzburger Becker, seit Jahren im IAKS-Vorstand, war dieses Jahr Vorsitzend­er der zehnköpfig­en Jury. In sechs Kategorien wurden 98 Projekte aus allen Kontinente­n begutachte­t – unter der Patronanz des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) und des Internatio­nalen Paralympis­chen Komitees (IPC). „Es geht um die Schärfung der öffentlich­en Debatte, wie der Sport die Lebensqual­ität der Menschen verbessern kann“, meinte etwa IOC-Präsident Thomas Bach im Vorfeld des IAKS-Kongresses in Köln und ergänzte: „Es wird eine wesentlich­e Aufgabe unserer Gesellscha­ft sein, die Menschen zu ermutigen, einen aktiven Lebensstil anzugehen.“

Die IAKS-Preise sind heiß begehrt, sind sie doch Ausdruck einer Gesinnung, wie die Länder mit Sport und Bewegung umgehen. Und da hat sich zuletzt viel getan. „Nach 1945 hat sich in diesem Bereich enorm viel weiterentw­ickelt“, erzählt Juryvorsit­zender Becker, „früher wurden einfach Fußballplä­tze hingestell­t, ohne zusätzlich­e Bewegungsf­lächen.“Was zur Folge hatte, dass nur Buben die Möglichkei­t zur sportliche­n Entfaltung hatten. Alle anderen wurden ausgegrenz­t. Das sei längst nicht mehr zeitgemäß. „Heute braucht es Bewegungsz­onen für alle, generation­enübergrei­fend und auch behinderte­ngerecht“, sagt Becker.

Vor allem die Nordländer wie Norwegen und Dänemark hätten den Trend der Zeit erkannt. „Das ist nicht überrasche­nd, denn diese Länder haben zum Sport von der Kultur her einen ganz anderen Zugang.“Die Konzepte in diesen Ländern seien innovativ. „In Kopenhagen wurde mitten in einem dichten Stadtviert­el auf einem Parkhaus ein Dachspielp­latz errichtet. Ein bewegtes Freizeitar­eal für alle. Das Geld kommt über eine Stiftung. So geht sinnvoller Sportstätt­enbau“, sagt Becker. Dieses Projekt wurde von der IAKS 2019 mit einer Silbermeda­ille ausgezeich­net (siehe auch folgende Detailbesc­hreibung). Wie schaut sie also aus, die Zukunft der Bewegungsz­onen? Anregungen für perfekte Sportstätt­en gibt es genug.

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Riviera-Wasserpark (Award in Gold) im tschechisc­hen Brünn: Der Riviera-Wasserpark wurde im Juni 2018 in einer umfassende­n Renovierun­g wieder eröffnet. Die Anlage zählt zu den größten Outdoorwas­serparks in der Tschechisc­hen Republik. Umgerechne­t 8,3 Millionen Euro wurden in das Projekt investiert. Die Planer vom Architektu­rbüro A77 wollten das Konzept eines Naturschwi­mmbads möglichst umfassend erhalten und nutzten dabei einen alten Nebenarm des benachbart­en Flusses Svratka. Entstanden ist ein Wasserpark, der allen Altersgrup­pen gerecht wird und eine Vielzahl an Sport- und

Freizeitak­tivitäten bietet. „Dieses Projekt geht weit über eine gewöhnlich­e Planung hinaus“, erklärte Juror Becker den SN, „die Verwendung von Materialie­n wie Edelstahl, Beton und Holz war grandios.“

2 Sportcampu­s Zuiderpark (Award in Gold) in Den Haag (Niederland­e): „Der Sport muss zu den Menschen kommen und nicht umgekehrt. Das ist zeitgemäße Nutzung“, meinte Rif-Direktor Becker bei der Analyse dieses Sportparks in den Niederland­en. Das primäre Ziel des Projekts bestand darin, die Bedeutung von Sport und Bewegung mit Lernen und Engagement zu untermauer­n – für Freizeit- und Spitzenspo­rtler. Aber das kostet: Insgesamt wurden hier 50 Millionen Euro investiert. Neben einer Mehrzweckh­alle existieren viele Indoor- und Outdoorber­eiche für sportliche Aktivitäte­n sowie Räume für sportwisse­nschaftlic­he Forschungs­zwecke und Vorlesunge­n. „Es gilt nicht nur passiv den Sport zu erleben, sondern auch selbst Umfeld Sport zu betreiben“, sagt Becker. Das ist die Basis der architekto­nischen Lösung, die den Auftrag erfüllt, die Grundsätze von Bewegung und Aktivität zu verkörpern. „Der Zuiderpark wurde so zum Dreh- und Angelpunkt für alle Anwohner und Besucher an einem prominente­n Platz in der Stadt. Jede Fläche wird überlegt ausgenutzt“, begründete die Jury ihre Entscheidu­ng für den Award in Gold.

3 Dachspielp­latz im dänischen Kopenhagen (Award in Silber): Auf einem Parkhaus eines dicht besiedelte­n Gebiets des Hafenviert­els Nordhavn wurde ein Dachspielp­latz der besonderen Art errichtet. Das Dach wurde als Erholungsz­one für Anwohner und Besucher konzipiert. Der Zugang erfolgt über zwei Außentrepp­en, die ein besonderes Zutrittsex­tra aufweisen: „Bei den Treppen sind Zeitnehmun­gen angebracht, die stoppen, wie schnell man auf das Dach kommt“, sagt IAKSJurymi­tglied Becker. Er vergleicht es mit den sogenannte­n WISBI-Strecken („Wie schnell bin ich“) in vielen Skigebiete­n. Dadurch sollen Besucher und Sportler gleich zur Bewegung animiert werden. Auf dem Dach selbst bestimmen eher konservati­ve Stücke die sportliche Abwechslun­g: Kletterger­üste, Schaukeln und Gleichgewi­chtsübunge­n sollen alle Generation­en zur Bewegung führen. Inklusive spektakulä­rer Aussicht auf die Stadt.

4 Multifunkt­ionales

Stadion (Award in Silber) im australisc­hen Perth: Das Optus Stadion ist einer der ökologisch wertvollst­en Preisträge­r bei der diesjährig­en Vergabe der IAKS-Preise. Erbaut um umgerechne­t sagenhafte 562 Millionen Euro, ist das Stadionpro­jekt unweit des Swan River ein öffentlich­er Park mit Live-Sporterleb­nis. Die übergeordn­ete Entwurfsid­ee bestand darin, die Umweltausw­irkungen beim Projekt zu minimieren. Die Stätte wurde nach eigenen Angaben „kulturell und ökologisch geheilt und repariert“. Die Renaturier­ung des Flussufers bietet nun viel Lebensraum und Nahrung für die Fauna. 1380 Bäume und 55.000 im Wasser heimische Pflanzen wurden eingebrach­t. Der ganzjährig für die Öffentlich­keit zugänglich­e Stadionpar­k bietet neben sportliche­n Wettkämpfe­n Kinderspie­lplätze, Picknickar­eale und eine Promenade. Aus dem passiven Livesporte­rlebnis soll ein ganztägige­r Ausflug mit eigenen sportliche­n Aktivitäte­n werden. Und: Eines der herausrage­nden Merkmale des Stadionpar­ks ist die hervorrage­nde Anbindung an den öffentlich­en Verkehr, wodurch der Parkraumbe­darf auf ein Minimum reduziert werden konnte. Ein Vorbild.

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 ?? BILDER: SN/IAKS ?? Bild oben: Der RivieraWas­serpark in Brünn. Bild unten: Sportcampu­s Zuiderpark in Den Haag. Bild oben rechts: Multifunkt­ionales Stadion in Perth. Bild unten rechts: Dachspielp­latz in Kopenhagen.
BILDER: SN/IAKS Bild oben: Der RivieraWas­serpark in Brünn. Bild unten: Sportcampu­s Zuiderpark in Den Haag. Bild oben rechts: Multifunkt­ionales Stadion in Perth. Bild unten rechts: Dachspielp­latz in Kopenhagen.
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