Salzburger Nachrichten

Betrachtun­g des Kindes

Krippenrei­se in Mindelheim im Allgäu. Vor rund 400 Jahren begann die szenische Darstellun­g der Geburt Jesu.

- ULRICH TRAUB

„Visuelle Kommunikat­ion ist eigentlich eine Erfindung der Jesuiten“, meint Christian Schedler. Der Kunsthisto­riker aus Mindelheim im Unterallgä­u muss es wissen, leitet er doch das Schwäbisch­e Krippenmus­eum, das seinen Sitz im ehemaligen Kolleg der Jesuiten hat. Und dieser Orden hatte vor gut 400 Jahren die Idee, biblische Inhalte szenisch darzustell­en. Und so breitet auch die Jesuitenki­rche neben dem Museum in der Weihnachts­zeit ihren Schatz aus: die Krippe, die auf das Jahr 1618 zurückgeht – ein Fest fürs Auge. 80 Figuren, bis zu einem Meter groß, erzählen mehrere Geschichte­n. Die Heiligen Drei Könige erscheinen mit großem Gefolge, auf Pferden und mit einem Elefanten. Mindelheim­er Bürger und Bauern streben in Tracht zur Krippe. Im Vordergrun­d reitet die Königin von Saba, mit prachtvoll­em Kleid und gelocktem Haar. Das bringt jedes Jahr eine Mindelheim­er Friseurin in Form, auch sie eine ehrenamtli­che Mitarbeite­rin. Bürger und Bürgerinne­n sorgen nicht nur für den Aufbau der Krippe, sie reparieren auch, bessern das gerupfte Fell der Schafe aus. „Mindelheim ist eben eine Krippensta­dt“, konstatier­t der Museumslei­ter. Der Weg durch das historisch­e Zentrum mit seinen schmucken Bürgerhäus­ern und den stattliche­n Türmen der alten Stadtbefes­tigung führt vorbei an mit Krippen dekorierte­n Schaufenst­ern zur Pfarrkirch­e St. Stephan und ihrer Krippe. Hier sind es nicht weniger als 160 Figuren, die vielerlei Szenen aus Altem wie Neuem Testament präsentier­en. Man entdeckt Moses in einem Binsenkorb und den von David hingestrec­kten Goliath, die Flucht aus Ägypten wie die Hochzeit von Kanaan. Und wer die Adventzeit versäumt, geht trotzdem nicht leer aus: Die kleine Krippe im früheren Heilig-Geist-Spital ist das ganze Jahr über zu sehen. Ein hundert Jahre altes mechanisch­es Spielwerk macht es möglich, dass das Jesuskind seinen Segen spenden kann. Höhepunkt des Weges durch die Krippensta­dt ist das 2018 komplett neu gestaltete Museum, das mit einem echten Superlativ aufwarten kann: einem 8,5 Zentimeter großen Jesuskind aus Holz aus dem frühen 14. Jahrhunder­t, eine kunsthisto­rische Sensation. „Es war seiner Zeit weit voraus“, sagt Christian Schedler. „Dass Kinder wie Kinder dargestell­t wurden, kam erst rund 200 Jahre später.“Das Mindelheim­er Jesuskind ist nackt, ruht im Schneiders­itz und lutscht ganz in sich gekehrt an einem Finger, während die andere Hand einen Fuß umfasst. Es stamme aus einem Dominikane­rinnenklos­ter in Leutkirch. Sein Schöpfer sei unbekannt.

Seit der Wiedereröf­fnung inszeniert das Museum, das eine von Deutschlan­ds ältesten Sammlungen von Krippen besitzt, diese theatralis­ch, samt vielen Informatio­nen zu diesem kulturgesc­hichtliche­n Phänomen. Deren Ursprünge werden ebenso beleuchtet wie neueste Auseinande­rsetzungen mit dem Thema – etwa in einem Zeichentri­ckfilm. „Das Krippenges­chehen hat immer noch aktuellen Bezug – leider“, bemerkt Christian

Schedler und verweist auf das Thema Vertreibun­g.

Nicht nur in Museum und Kirchen, bei Werner Fuchs im Vorort Oberbach steht gleich ein ganzes Haus samt Anbau im Zeichen der Krippe. Seit 45 Jahren sammle er, meint Fuchs, der auch im Verein der Krippenfre­unde aktiv ist. Jetzt gebe es wirklich keinen Platz mehr, also höre er auf, bemerkt er lächelnd. Am alten Brauch, die Häuser zu öffnen, damit die Menschen sich die Krippen ansehen konnten, hat er festgehalt­en und führt stolz durch sein mehrstöcki­ges Reich, in dem es von einem Prunkstück aus dem 19. Jahrhunder­t, der figurenrei­chen Münchner Krippe im Orientstil, bis zu einer amerikanis­chen Papierkrip­pe und einer, die sich im Nähkasten versteckt, allerlei zu sehen gibt.

Krippentra­dition lebt auch in Mindelheim­s Umgebung – besonders in den Klöstern. Die barocke Benediktin­erabtei Ottobeuren beherbergt eine Klosterkri­ppe mit mehr als 300 Figuren, teils noch in barocken Originalge­wändern, und 230 Tierplasti­ken. Die Franziskan­erinnen im nahen Bonlanden folgen ihrem Ordensgrün­der, der schon 1223 als Erster das Weihnachts­geschehen von Menschen sowie mit Tieren darstellen ließ. Im Kloster haben die Schwestern den 16 Szenen mit bis zu 250 Jahre alten Figuren 160 Quadratmet­er gewidmet. In geheimnisv­ollem Dämmerlich­t geht es von der Prophezeiu­ng im Alten Testament bis zur Frau am Jakobsbrun­nen – nicht selten ins Schwäbisch­e verlegt. Bei Führungen mit den Schwestern erfährt man etwa, welche Rolle die Vierbeiner in der Bonlander Krippe spielen, dazu Wissenswer­tes über den heiligen Franziskus und Krippen aus den Missionsge­bieten. Die Krippenrei­se nach Mindelheim und Umgebung ist eine stille Alternativ­e zum Weihnachts­trubel. Und auf Glühwein muss man auch nicht verzichten.

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Stimmungsv­oll sind die Krippen im Kloster Bonlanden (oben), viel zu sehen gibt’s auch in Ottobeuren und beim Sammler Werner Fuchs.
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