Die SPÖ im freien Fall
Wahlniederlagen am laufenden Band, überschuldet, interne Machtkämpfe, keine inhaltliche Linie auszumachen: Der Druck, dem sich Parteichefin Rendi-Wagner ausgesetzt sieht, steigt.
Die vierte SPÖ-Schlappe binnen sechs Monaten – aber Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, die sich in den vergangenen Wochen auffallend rargemacht hatte, denkt offenbar nicht ans Aufgeben: „Die Parteivorsitzende ist fest entschlossen und voller Tatenkraft, den Erneuerungsprozess der SPÖ voranzutreiben“, teilte SPÖ-Kommunikationschef Stefan Hirsch Montagvormittag mit. Mittags meldete sich Rendi-Wagner dann selbst kurz zu Wort. Um mitzuteilen, dass sie den steirischen Genossen „keine Tipps über den Semmering hinweg“erteilen wolle.
Dafür kamen jede Menge Tipps von anderen, insbesondere vom einzigen echten SPÖ-Wahlsieger der vergangenen Jahre, Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser. In einem noch am Sonntag verschickten Schreiben an den Bundesparteivorstand
und alle Landesorganisationen stellt er sich zwar hinter Rendi-Wagner („Es geht nicht um eine personelle Diskussion“), fordert aber eine Re-Ideologisierung der SPÖ. Die Partei müsse dem Neoliberalismus den Kampf ansagen, die Grundsicherung zu ihrem Hauptanliegen machen und endlich aufwachen. Kaiser wörtlich: „Wie können wir es zulassen, dass man die SPÖ derart demütigt (...)? Wie können wir das untätig, hilflos, viele offensichtlich in einem roten Elfenbeinturm sitzend, unfähig zu erkennen, dass der Turm ohne grundlegende Sanierungsarbeiten völlig einstürzen wird, (...) zulassen?“
Genau so sehen das auch die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, die einen Sonderparteitag fordert, und der steirische Parteirebell Max Lercher. Sein Befund: Die Probleme der SPÖ seien „mittlerweile zu groß, um sie mit Aussitzen, Wegducken und Weiter-so zu lösen“.
Wie gefährlich Lercher Parteichefin Rendi-Wagner noch werden könnte, ist ungewiss. Einer besonderen Beliebtheit dürfte sich der einstige Bundesgeschäftsführer in der derzeitigen SPÖ-Bundeszentrale nicht erfreuen. Dass die Partei derart sparen muss, wird dort nicht unbedingt auf die Wahlniederlagen zurückgeführt. Sondern auf den Schuldenberg, den Rendi-Wagners Vorgänger Christian Kern – der wiederum Lercher nach Wien holte – hinterlassen hat. In der kurzen Kern-Ära habe es übermäßige Ausgaben etwa für Beraterverträge gegeben, die nun gestoppt werden müssten. Und so wird der Dienstag für die Parteichefin mit einer recht unangenehmen Betriebsversammlung beginnen, bei der Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch einen Sanierungsplan vorlegen wird. Ganz ohne Kündigungen wird es offenbar nicht gehen. Auf einen – bei der Basis eher unbeliebten – Berater will Rendi-Wagner aber nicht verzichten, heißt es: auf den einstigen Sprecher von SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann, Nedeljko Bilalic. Sein kolportiertes Beraterhonorar von 20.000 Euro monatlich hat bereits zuletzt für heftige Debatten gesorgt. Auch sonst umgibt sich Rendi-Wagner mit Faymann-Vertrauten (auch Deutsch ist einer) und sucht sichtlich den Rat und Rückhalt der Gewerkschafter.
Wie hoch der Schuldenberg ist, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Im Juni war von rund zwölf Millionen Euro die Rede. Seither hat sich die Lage gewiss nicht verbessert.
Tatsache ist, dass die SPÖ im Bund und in fünf Ländern auf einem historischen Tiefststand ist. Die nächsten Wahlen finden im Burgenland (Ende Jänner) und in Wien (im Herbst) statt. Sollte die Abwärtsspirale auch da nicht gestoppt werden können, wird’s dramatisch. Die burgenländische Landespartei schwieg angesichts der jüngsten Niederlage in der Steiermark. Die Wiener Landespartei gab sich kämpferisch und setzt auf den Landeshauptmannbonus.
Eine weitere Tatsache ist, dass die SPÖ Wähler in alle Richtungen verliert. Bei keiner Wählergruppe ist sie mehr Erste, nicht bei den Frauen, nicht bei den Jungen, nicht bei den Pensionisten. Am Beispiel Steiermark zeigte sich das Abwandern zur politischen Konkurrenz so: Laut Wahlforschungsinstitut Sora konnte die steirische SPÖ nur 65 Prozent ihrer Wähler mobilisieren. 22.000 Stimmen gingen an die ÖVP, 13.000 an die Grünen, 22.000 ehemalige SPÖ-Wähler blieben überhaupt daheim, 5000 machten diesmal ihr Kreuz bei den Kommunisten.
„Untätig, hilflos, in einem roten Elfenbeinturm sitzend.“
LH Peter Kaiser über die SPÖ