Salzburger Nachrichten

Eine Ohrfeige für Peking

Noch nie zuvor gingen so viele Hongkonger zu einer Kommunalwa­hl. Drei Millionen Bürgerinne­n und Bürger stimmten vorwiegend für prodemokra­tische Kräfte. Wie geht es nun weiter?

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HONGKONG. Der „demokratis­che Tsunami“brach am Montagmorg­en über Hongkong herein. Nach Auszählung der Stimmen bei der Bezirksrat­swahl lagen sich die Menschen auf den Straßen in den Armen, jubelten und ließen Sektkorken knallen. In vielen Wahllokale­n brachen Sprechchör­e mit „Befreie Hongkong – Revolution jetzt“aus. Die Stimmung war gelöst.

Knapp sechs Monate nach dem Beginn der Protestbew­egung hatten Hongkongs prodemokra­tische Kräfte das unlängst Undenkbare erreicht: Die Demokraten errangen 388 der 452 Sitze. Bei der Wahl 2015 hatte das regierungs­treue Lager noch drei Viertel der Mandate geholt und kontrollie­rte alle 18 Bezirksrät­e. Doch eine Rekordwahl­beteiligun­g von 71 Prozent und eine tiefe politische Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g schafften es, das Pro-Peking-Lager bei Hongkongs Bezirksrat­swahlen am Sonntag mit einer überwältig­enden Niederlage zu erschütter­n.

Das Stimmenerg­ebnis sendet eine klare Botschaft an die Regierunge­n in Peking und Hongkong. Schon im Vorfeld galt die Wahl als Referendum, ob die schweigend­e Mehrheit in der Millionenm­etropole nach Monaten des Protests noch hinter der Antiregier­ungsbewegu­ng steht. Die Hongkonger zeigten sich unbeeindru­ckt von den Unruhen und unterstric­hen ihren Wunsch nach echter Demokratie und politische­n Veränderun­gen. Das von Studenten angeführte prodemokra­tische Lager hat von der Bevölkerun­g Rückendeck­ung erhalten. Die Rechnung Pekings ging nicht auf: Die Regierung hoffte, dass die gewaltsame­n Ausschreit­ungen bei den Protesten die Hongkonger abschrecke­n und auf die Seite Chinas schlagen würden.

Nun stellen die demokratis­chen Kräfte in Hongkong 17 von 18 Bezirksrät­en. „Dies ist die Macht der Demokratie. Das ist ein demokratis­cher Tsunami“, sagte der ehemalige Studentenf­ührer Tommy Cheung, der einen Sitz errang.

Carrie Lam, die umstritten­e Regierungs­chefin Hongkongs, erklärte am Montag nach der schmettern­den Niederlage, es sei an der Zeit, „ernsthaft über die Meinung der Bevölkerun­g nachzudenk­en“.

Insbesonde­re junge Menschen gaben in noch nie da gewesenen Zahlen ihre Stimmzette­l ab. Es hatten sich schon vor Öffnung der Wahllokale lange Warteschla­ngen gebildet. Die Protestbew­egung setzte Aktionen am Wahlsonnta­g aus, damit Menschen sicher und in Ruhe ihre Stimmen abgeben konnten.

Die Botschaft Hongkongs an Peking ist unmissvers­tändlich: Erstmals seit 1997, der Rückkehr der einstigen britischen Kolonie unter Chinas Souveränit­ät, hat Hongkongs Wahlvolk den chinesisch­en Machthaber­n eine so deutliche Abfuhr erteilt, die nur als schallende Ohrfeige beschriebe­n werden kann. Wahlen wurden bisher immer sicher von den pekingnahe­n Kreisen gewonnen. Nun holten die Demokraten rund 86 Prozent der 452 Sitze.

Dennoch sind die Wahlen mehr symbolisch zu betrachten, zumal die Bezirksrät­e weder über Macht verfügen noch Gesetze verabschie­den oder nennenswer­te Entscheidu­ngen treffen. Sie entscheide­n über Recycling, Buslinien, Quartiersa­nliegen. Anzurechne­n ist, dass das bei der Wahl dominieren­de Lager auch mehr Sitze im 1200köpfig­en Wahlkomite­e erhält. Dieses Komitee wählt alle fünf Jahre Hongkongs Regierungs­chef. Doch das meist handverles­ene Gremium stellt sicher, dass am Ende immer der von Peking favorisier­te Kandidat gewinnt.

„Es gab ein tiefes Erwachen in der Bevölkerun­g Hongkongs“, erklärte Alan Leong, Vorsitzend­er der Bürgerpart­ei, einer der größten prodemokra­tischen Parteien. Nun reibt sich ein gedemütigt­es Peking die Augen.

„Es gab ein tiefes Erwachen in der Bevölkerun­g Hongkongs.“

Alan Leong, Bürgerpart­ei

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BILD: SN/AP Viele Hongkonger freuten sich über das Wahlergebn­is: 17 von 18 Bezirken der Metropole werden in Zukunft von prodemokra­tischen Kräften geführt.

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