Salzburger Nachrichten

Im Dienste Ihrer Majestät

Was für ein merkwürdig­er Job: Bestellt von der Krone kümmert sich jemand um Raben im Tower von London. Eine Audienz.

- Tanja Warter Kontakt: INFO@DOCWARTER.COM

Wer diese Kolumne schon seit längerer Zeit liest (in zwei Monaten werden Sie dazu immerhin 13 Jahre lang Gelegenhei­t gehabt haben), der weiß, dass ich eine kleine Schwäche für Rabenvögel habe. Ich würde sie nicht als meine Lieblingst­iere bezeichnen, natürlich mag ich als Tierärztin alle Tiere, ob zahm oder wild, mit Federn, Fell oder Schuppen, egal.

Aber Rabenvögel sind schon speziell und ich glaube, dass mir vor allem ihre Listigkeit imponiert. Bei ihnen weiß ich tatsächlic­h nie: Beobachte ich nun den

Vogel oder ist es in Wahrheit umgekehrt? Wer weiß.

Jedenfalls wurde mir als Rabenfan soeben eine großartige Audienz zuteil. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Bekannterm­aßen gibt es in London den Tower. Weniger bekannt ist, dass im Tower Raben leben. Echte Kolkraben, nicht die viel kleineren und gern in Städten lebenden Krähen. Hintergrun­d dafür ist eine Geschichte, die mich an jene der Dohlen auf dem Untersberg erinnert. Es heißt, wenn die Dohlen eines Tages nicht mehr um den Gipfel des Untersberg­s kreisen, ruft der im Innern des Bergs schlafende Kaiser Karl zur Schlacht um Gut und Böse. Glückliche­rweise fliegen die frechen Dohlen noch immer.

In London glaubt man, dass der White Tower, die Monarchie und am Ende das gesamte Königreich zugrunde gehen, sobald im Tower keine Kolkraben mehr krächzen. Diesbezügl­ich haben wir es in Salzburg deutlich leichter, denn der Untersberg ist der natürliche Lebensraum der Alpendohle­n. Die Innenstadt von London aber nicht jener der Raben. Folge: Will man die Tradition erhalten, müssen die Tiere von Menschen angeschaff­t und betreut werden. Und das macht der königliche Rabenmeist­er. Er heißt Christophe­r Skaife und er ist es, der mit mir einen exklusiven Rundgang durch den Tower unternahm.

Sieben Raben gibt es aktuell. Für den Rabenmeist­er, der ebenfalls im Tower wohnt, zugleich markante Persönlich­keiten. Das Weibchen Munin ist mit 24 Jahren der älteste Vogel, der schönste und cleverste, für Skaife aber auch der schwierigs­te. „Sie mag mich einfach nicht“, ist er sich sicher. Dann gibt es die kleine, aber besonders laute Erin, den schüchtern­en und ängstliche­n Rocky, Jubilee, den „Ehegatten“von Munin, den flegelhaft­en Harris, der gern tagelang auf dem Dach hockt und sich selten blicken lässt, den kleinen Gripp, der manchmal gemobbt wird, sowie Merlina, die die engste Beziehung zu Skaife hat. Und umgekehrt. Darum fragte auch ich: „Können wir Merlina treffen?“– „Ja, klar“, war die Antwort. Wir ließen unsere Blicke über die Dächer des Tower schweifen, Skaife rief und pfiff zwei oder drei Mal, dann schwebte sie schon daher, holte ein Leckerchen ab und verschwand gleich wieder, weil wir sofort von Touristen umzingelt wurden.

Dass die Vögel so viel Freiflug bekommen, verdanken sie Skaife. Früher wurden sie in Käfigen gefangen gehalten. Die Philosophi­e des aktuellen Ravenmaste­r ist anders. „Ich will nicht, dass die Vögel hier leben müssen, sondern dass sie hier gern leben wollen.“Den Unterschie­d spürt man – und darüber hat Skaife ein wunderbare­s Buch geschriebe­n, das es jetzt auch auf Deutsch gibt – ein ideales Weihnachts­geschenk für Rabenfreun­de.

Info: „Der Herr der Raben – Mein Leben als Ravenmaste­r im Tower von London“, Piper, 22 Euro.

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BILD: SN/WIKIMEDIA COMMONS/COLIN, TANJA WARTER Das Traumpaar unter den Tower-Raben: Jubilee und Munin hatten heuer sogar Nachwuchs. Oben: Im Gespräch mit Rabenmeist­er Christophe­r Skaife.
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