Salzburger Nachrichten

Chaostage

Vor neun Wochen waren sie die großen Verlierer der Nationalra­tswahl. Seither brennt bei SPÖ und FPÖ der Hut – und wie!

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WIEN. Der Sturz von Pamela RendiWagne­r scheint für den Moment abgesagt. Und zwar aus genau dem Grund, der sie vor einem Jahr an die Spitze der SPÖ katapultie­rt hatte: Es gibt offenbar niemanden mit politische­m Gewicht und entspreche­nder Autorität, der die schwer angeschlag­ene Partei übernehmen will. Und der zugleich in dem wild gegeneinan­der intrigiere­nden Haufen mehrheitsf­ähig wäre.

Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser, der die SPÖ Anfang der Woche zu einer „Revolution“aufgerufen hatte, will den Job nicht. Detto Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig, der 2020 eine Landtagswa­hl zu schlagen hat. Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil, bereits im Intensivwa­hlkampf für die Landtagswa­hl im Jänner, wäre parteiinte­rn nicht mehrheitsf­ähig – abgesehen davon, dass er die Aufgabe auch nicht übernehmen will. Das gilt auch für die die starke Frau in der SPÖ, Doris Bures.

Und so war man am Freitag wieder allseits um eine Beruhigung der Lage bemüht. Das inkludiert­e auch die schon so oft gehörte Feststellu­ng, doch bitte eine inhaltlich­e und keine personelle Debatte zu führen. Selbst die schärfsten internen Kritiker lenkten vorerst ein. Darunter Niederöste­rreichs Landespart­eichef Franz Schnabl. Mit diesen Worten: „Die Frage nach Namen, ob Hinz oder Kunz an der Spitze stehen, greift viel zu kurz.“

Kein G’spür

Anlass für die jüngste Empörung, die sich quer durch alle SPÖ-Landespart­eien zog und durch Gerüchte und gezielte Indiskreti­onen (etwa dass Rendi-Wagner mit der Zahlung ihrer Parteisteu­er lang säumig war) Richtung Revolte hochschauk­elte: die Art und Weise, in der RendiWagne­r und ihr Bundesgesc­häftsführe­r Christian Deutsch am Dienstag mitgeteilt hatten, dass wegen der Überschuld­ung der Partei mehr als ein Viertel der Belegschaf­t in der Löwelstraß­e zur Kündigung angemeldet wurde. Zugleich wurde als Einsparung­serfolg verkündet, dass ein externer Berater nun statt 24.000 Euro brutto monatlich nur noch 8000 Euro bekommen, die Arbeitszei­t aber auch entspreche­nd – um zwei Drittel – reduzieren werde.

Das brachte bei vielen in der Partei das Fass zum Überlaufen. „Untragbar“war noch einer der freundlich­eren Befunde über das jedes politische G’spür vermissen lassende Agieren des SPÖ-Spitzenper­sonals.

E-Mails

Für besondere Verbitteru­ng sorgte, dass die betroffene­n Mitarbeite­r per E-Mail und nicht persönlich von ihrer drohenden Kündigung informiert wurden. Selbst die Gewerkscha­fter,

die bisher nie laut Kritik an Rendi-Wagner geübt haben und das SPÖ-interne Treiben mit zunehmende­r Fassungslo­sigkeit verfolgen, wagten sich erstmals aus der Deckung: in Gestalt von Barbara Teiber, Chefin der Privatange­stelltenge­werkschaft GPA und – pikantes Detail – Vorsitzend­e eines der „Zukunftsla­bors“, die RendiWagne­r zur Erneuerung der SPÖ eingesetzt hat. „Mitarbeite­rInnen per Mail von ihrer bevorstehe­nden Kündigung zu informiere­n, das geht so nicht“, schrieb sie.

Überdeutli­ch wurde ein von der Kündigung Betroffene­r auf Facebook: Michael Würges, Noch-Chef der digitalen Kommunikat­ion der SPÖ. „Kündigunge­n per e-mail zu

gestellt zu bekommen, ohne ein persönlich­es Gespräch, ist einer Sozialdemo­kratie nicht würdig.“Und weiter: „Pamela Rendi-Wagner, ihr Bundesgesc­häftsführe­r Christian Deutsch und ihre Kommunikat­ionsberate­r können eine stolze Partei wie die SPÖ nicht in eine gute Zukunft führen! Bitte geht! Es ist lange überfällig! Freundscha­ft!“

Länder

Hinter vorgehalte­ner Hand ist aus so gut wie allen Landesorga­nisationen zu hören, dass Rendi-Wagners Tage an der SPÖ-Spitze gezählt sind. Ein Insider drückt es so aus: „Das kann doch nichts mehr werden. Warum bleibt sie? Das müsste doch inzwischen schon so schmerzhaf­t sein, dass man gehen will?“Und dann? Wer soll die Partei leiten? Ein hoher SPÖler, der nicht genannt werden will, zieht – in Anspielung darauf, dass die Parteichef­in im Zivilberuf Ärztin ist – diesen Vergleich: „Die Sozialdemo­kratie bräuchte jetzt am besten einen anderen Arzt an ihrer Spitze, einen Chirurgen. Der packt zu, bei dem spritzt vielleicht kurz das Blut, aber die akuten Probleme sind dann zumindest vorerst gelöst.“

Krisensitz­ung

Rendi-Wagner war am Freitag zwischen einer stundenlan­gen Betriebsve­rsammlung in der SPÖZentral­e in der Löwelstraß­e und einer Krisensitz­ung im Wiener Rathaus hin und her gerissen. Zu dem Treffen bei Bürgermeis­ter Ludwig erschienen mehrere SPÖ-Landespart­eichefs (aber nicht Peter Kaiser, der verhindert war, Anm.) und wichtige Gewerkscha­fter. Ergebnis der Sitzung laut Rendi-Wagner: „Ich bin Chefin und ich bleibe Chefin.“Sie betonte, „fest entschloss­en“zu sein, die Probleme der Sozialdemo­kratie zu lösen. „Ich werde die Verantwort­ung in dieser schwierige­n Zeit nicht an den Nagel hängen.“

Nachsatz, der wohl auf den überstürzt­en Abgang ihres Vorgängers Christian Kern gemünzt war: „Als Parteivors­itzende drücke ich mich nicht vor der Verantwort­ung.“Den zur Kündigung anstehende­n Mitarbeite­rn der SPÖ-Zentrale sagte Rendi-Wagner zu, dass sich die Partei bemühen werde, sie andernorts weiterzube­schäftigen.

Roter Burgfriede

Wie lang der Burgfriede­n hält, ist ungewiss. Ein entscheide­nder Tag ist sicherlich der 9. Dezember:

Dann wird Bundesgesc­häftsführe­r Deutsch dem Parteivors­tand sein Sparprogra­mm vorlegen, das zum Ziel hat, 2020 ausgeglich­en zu bilanziere­n und bis 2025 den Schuldenbe­rg in der Höhe von derzeit 14,9 Millionen Euro abzutragen.

Blaue Turbulenze­n

Parallel zu den Turbulenze­n in der heimischen Sozialdemo­kratie kommt auch die FPÖ nicht aus dem Abwärtsstr­udel heraus. Am Freitag wurde zwischen den blauen Zentralen im Bund, Wien und Niederöste­rreich hektisch telefonier­t. Grund dafür war eine Botschaft des niederöste­rreichisch­en FPÖ-Landesrats Gottfried Waldhäusl in Richtung der Wiener FPÖ. Waldhäusl hatte den Ausschluss der gesamten Wiener Landesgrup­pe in Aussicht gestellt, sollte diese nicht endlich einen Schlussstr­ich unter das Kapitel Heinz-Christian Strache ziehen und ihn aus der Partei ausschließ­en. Hohe FPÖ-Funktionär­e der Bundeszent­rale quittierte­n Waldhäusls Gedankenga­ng mit „Völliger Irrsinn“und „Weit weg von jeder Vernunft“. Niederöste­rreichs FPÖChef Udo Landbauer musste gar ausrücken, um den Landesrat öffentlich zurechtzuw­eisen: „Es darf nie wieder und wird auch zu keiner Abspaltung einer Landesgrup­pe kommen (...) Zusammenha­lt und Einigkeit sind die zwei Zutaten, die eine starke FPÖ ausmachen.“

Strache-Comeback?

Der Grund, warum die Wiener FPÖ beim Parteiauss­chluss Straches noch zögert: Sie fürchtet eine politische Rückkehr Heinz-Christian Straches mit einer eigenen Liste und damit einen Gegner. Dieses mögliche politische Comeback des Ex-FPÖ-Chefs ist noch immer nicht vom Tisch. Gerüchte künden davon, dass Strache seinen eigenen Klub im Wiener Rathaus bereits beisammen habe. Treue politische Wegbegleit­er würden ihm die Rückkehr in den Wiener Gemeindera­t ermögliche­n. Da Strache bei der Wiener Wahl im Jahr 2015 auf mehreren Listen antrat, das Mandat aber nicht angenommen hatte, gilt er als „Ersatzbewe­rber“. Tritt ein Wiener FPÖ-Mandatar zurück, muss Strache gefragt werden, ob er nachrücken will. Mit zwei weiteren Gemeinderä­ten könnte Strache gar einen Klub bilden. Die Anhänger des ehemaligen FPÖ-Chefs spielen solche Rochaden bereits durch.

Schlüsselr­olle

Eine wichtige Rolle bei einem solchen Szenario könnte der Wiener FPÖ-Abgeordnet­e und langjährig­e Strache-Freund Karl Baron spielen. Falls Baron sein Mandat zurücklegt, könnte Strache seinen Platz einnehmen. Am Donnerstag hatte der FPÖ-Lokalpolit­iker auf SN-Anfrage diesbezügl­ich noch ausrichten lassen: „Die Frage stellt sich derzeit nicht.“Doch am Freitag heizte Baron die Gerüchtekü­che erneut an. Denn die Wiener FPÖ hatte, „um den Spaltungsg­erüchten entgegenzu­wirken“, alle blauen Wiener Mandatare und Bezirksche­fs einen offenen Brief unterschre­iben lassen. „Wir stehen geschlosse­n hinter Vizebürger­meister und RathausPar­teichef Dominik Nepp“und „jeglichem Versuch, eine Spaltung der Wiener FPÖ durchzufüh­ren, wird eine schroffe Absage erteilt“, heißt es in dem Schreiben. „Für eine Liste Strache stehen wir nicht zur Verfügung“, so die Unterzeich­ner. Nur einer hat nicht unterschri­eben: Karl Baron.

Schiedsger­icht

Die Wiener FPÖ will die heikle Entscheidu­ng über Straches Zukunft einem Schiedsger­icht überlassen, das alle Seiten hören und eine Empfehlung an die Parteispit­ze abgeben soll. Wann es ein Ergebnis gibt, ist unklar. „Aber sie wissen, dass es einen Zeitdruck gibt“, heißt es aus der Wiener Partei. Nachdem immer mehr Details über Straches mutmaßlich­e Spesenaffä­re (unter anderem wegen angebliche­r Poolrepara­turen auf FPÖ-Kosten) bekannt wurden, kam von der Bundespart­ei und den meisten Länderorga­nisationen trotz Straches Dementi eine klare Botschaft: Der Ex-FPÖ-Chef muss die Partei verlassen.

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Michael Ludwig will nicht SPÖChef werden.
BILD: SN/APA/HERBERT PFARRHOFER BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Peter Kaiser will nicht SPÖ-Chef werden. Michael Ludwig will nicht SPÖChef werden.
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Pamela Rendi-Wagner übersteht die nächste Krise: „Ich bin Chefin und ich bleibe Chefin.“– Anders die Wünsche von Heinz-Christian Strache: Er würde gern wieder Chef werden.
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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Doris Bures will nicht SPÖ-Chefin werden.

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