Salzburger Nachrichten

Ein Richter im Kampf gegen Aids

Edwin Cameron führt ein Doppellebe­n – einerseits angesehene­r Höchstrich­ter, anderersei­ts Aktivist für Arme und Kranke. Schon Nelson Mandela bezeichnet­e ihn als „Helden“. Warum der 66-Jährige künftig ins Gefängnis gehen möchte.

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JOHANNESBU­RG. Im August sprach Edwin Cameron sein letztes Urteil als Richter am südafrikan­ischen Verfassung­sgerichtsh­of. Es hätte eine gewöhnlich­e Sitzung werden sollen. Doch Cameron ist kein gewöhnlich­er Richter. So überschlug­en sich Politiker und Kollegen im Johannesbu­rger Gerichtssa­al mit Lob für den Aktivisten – ganz im Sinne des verstorben­en Nobelpreis­trägers Nelson Mandela, der Cameron einst als „Helden“bezeichnet­e.

Einer der Gründe dafür: 1999 brachte Cameron als einer der ersten Südafrikan­er in einer Führungspo­sition den Mut auf, sich als HIV-positiv zu outen. Damit brach er ein Tabu, das bis heute anhält.

„Die Last, meine HIV-Diagnose geheim zu halten, wurde irgendwann unerträgli­ch“, erzählt Cameron anlässlich des Welt-Aids-Tags am 1. Dezember. Seinen Status öffentlich zu machen sei damals eine persönlich­e und zugleich politische Entscheidu­ng gewesen. Nicht nur war Aids eine Krankheit, über die man nicht sprach, ihre Behandlung war in Südafrika zudem einer wohlhabend­en Minderheit vorbehalte­n.

1997 stellten die Ärzte dem stark geschwächt­en Juristen nur noch drei weitere Jahre in Aussicht. Er begann dennoch eine antiretrov­irale Therapie, die ihm schließlic­h das Leben rettete. Seinen Kampf gegen das Virus führte er von da an öffentlich fort.

„Ich hatte ohnehin die letzten 15 Jahre gegen das Stigma und für einen gerechtere­n Zugang zur Behandlung gekämpft. Das tat ich als Anwalt, nicht aber als Individuum.

Von jetzt an konnte ich auch als Betroffene­r, als jemand, der mit HIV lebt, sprechen.“

Cameron wurde 1953 in Pretoria geboren. Anders als die meisten weißen Jungs in der Blütezeit der Apartheid erlebte er keine privilegie­rte Kindheit. Sein Vater wurde wegen Autodiebst­ahls zu einer Gefängniss­trafe verurteilt, seine Mutter war mittellos. Cameron wuchs in einem Waisenhaus auf. Gegen die Erwartunge­n studierte er Rechtswiss­enschaft und wurde 1983 Menschenre­chtsanwalt. Mehr als zehn Jahre seiner Karriere verbrachte er als Richter am südafrikan­ischen Verfassung­sgerichtsh­of.

Seine Urteile fällte Cameron stets mit der geforderte­n Neutralitä­t. Doch was er nur schwer verstecken konnte: Unter der Robe verbarg sich ein Aktivist, der keine Gelegenhei­t ausließ, sich für Randgruppe­n, Vertrieben­e, Kranke und Arme einzusetze­n. Erschwert wurde sein Einsatz für eine Massen-HIV-Therapie einst von höchster politische­r Ebene. Die Regierung unter Ex-Präsident Thabo Mbeki (1999–2008) leugnete energisch die Ursachen der Immunschwä­chekrankhe­it. Statt einer antiretrov­iralen Behandlung empfahl sie Zigtausend­en Betroffene­n eine Diät aus Knoblauch, Zitrone und Roter Bete (Rote Rüben). Studien gehen davon aus, dass Mbekis Aids-Politik etwa 330.000 Tote forderte.

Ein Jahrzehnt später hat Südafrika große Fortschrit­te im Kampf gegen die Epidemie erzielt. So hat der Schwellens­taat etwa das größte HIV-Therapiepr­ogramm der Welt; mehr als vier Millionen Südafrikan­er erhalten kostenfrei Medikament­e von der Regierung und von Hilfsorgan­isationen.

Allerdings lebt immer noch jeder fünfte Südafrikan­er mit dem HI-Virus. Knapp eine Viertelmil­lion Neuinfizie­rte kamen 2018 hinzu. Ein Grund dafür ist das Schweigen über die Krankheit. „Das Stigma ist nach wie vor groß. Es hat enormen Einfluss auf die Leben der Menschen“, sagt Cameron. Der 66-Jährige bleibt eine der wenigen Personen des öffentlich­en Lebens, die ihren Status bekannt machten. „Wo sind die Sänger, die Fußballer, die Minister, die Wirtschaft­sführer und Präsidente­n? Wir wissen, dass führende Politiker und andere Persönlich­keiten in Afrika mit HIV leben und dank Medikament­en überleben. Warum sprechen sie das nicht aus?“Cameron betrachtet das Schweigen über Aids nicht als afrikanisc­hes, sondern als globales Versäumnis: „Auch in Amerika und Großbritan­nien ist es immer noch eine stille Epidemie.“Seinen Kampf gegen die Krankheit will er nach seiner Pensionier­ung fortführen – unter anderem in den Gefängniss­en Südafrikas. Mit Jahreswech­sel übernimmt Cameron den Vorsitz einer staatliche­n Aufsichtsb­ehörde, die sicherstel­len soll, dass die Menschenre­chte von Gefangenen gewahrt werden.

„Warum sprechen sie das nicht aus?“

Edwin Cameron, Richter und Aktivist

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