Der große Musiker Jansons ist nicht mehr
Noch ist es unfassbar und wird es wohl bleiben: Mariss Jansons kann den heiß ersehnten „Boris Godunow“bei den Salzburger Festspielen nicht mehr hören lassen. Der große Dirigent ist am Samstag in St. Petersburg gestorben.
Noch ist es unfassbar und wird es wohl bleiben: Mariss Jansons kann den heiß ersehnten „Boris Godunow“bei den Salzburger Festspielen nicht mehr hören lassen. Der große Dirigent ist am Samstag in St. Petersburg gestorben.
Obwohl die Nachricht in den letzten Monaten und Wochen befürchtet werden musste, erschütterte sie in ihrer Endgültigkeit am Sonntag die klassische Musikwelt: Der lettische Dirigent Mariss Jansons ist am Samstag 76-jährig in St. Petersburg gestorben.
Mit Bangen vernahm man in letzter Zeit vermehrt Meldungen über Schwächeanfälle, Konzertabsagen, zuletzt die Nachricht von einem Achillessehnenriss, der die für dieses Wochenende geplanten Auftritte mit den Wiener Philharmonikern verhinderte. Denn bei der eisernen Disziplin und Pflichtversessenheit dieses immer für die Sache, aber in keiner Sekunde für sich selbst oder seinen eigenen Ruhm brennenden Musikers schien es lange schlicht undenkbar, dass er seinen Aufgaben
nicht bedingungslos würde nachkommen können.
Bei unserer letzten Begegnung, zu Ostern 2019, als er in Salzburg den Karajan-Preis erhielt, schien der zarte Mann zwar noch schmaler geworden zu sein, aber seine Willensstärke war ungebrochen, positiv, zukunftsoffen. Wie ein Kind freute er sich, nach unserem Treffen ins Karajan-Institut zu fahren, um die originale Dirigierpartitur seines großen Idols zu Mussorgskijs „Boris Godunow“studieren zu können. Jansons sollte das kapitale Werk im kommenden Sommer bei den Salzburger Festspielen herausbringen: ein Herzenswunsch, der nun unerfüllt bleibt.
Lernen, studieren, nach immer neuen Details forschen, ohne das gleich an die große Glocke einer „Interpretation“zu hängen: Das war für Mariss Jansons die selbstverständliche Grundvoraussetzung seines Tuns. Musik, vor allem: Klang in all seinen unermesslichen, magischen Facetten Gestalt werden zu lassen, war leidenschaftliche Arbeit, gewonnen aus bedingungsloser Zugewandtheit und Empathie zum Werk und, in einem Atemzug, zu den Menschen, die diese Musik nachschöpfend kreieren.
Ohne Zweifel war Mariss Jansons der menschenfreundlichste, integerste, loyalste, ehrlichste „Star“Dirigent unserer Zeit. Er kannte nicht die geringsten Allüren, begegnete den Musikerinnen und Musikern „seiner“Orchester stets mit höchstem Respekt, ohne die nötige fachliche Strenge außer Acht zu lassen: ob früh in Oslo, später in Pittsburgh, dann gleichzeitig in Amsterdam und München, wo er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in 16 Jahren zu einem Ensemble der Weltspitze formte.
Die Wiener Philharmoniker, die er bewunderte und verehrte seit seinem Studium in Wien, zu dem der junge Mann aus St. Petersburg zugelassen worden war, wurden wohl zu seinem „Herzensorchester“. Allein die drei Neujahrskonzerte (2006, 2012 und 2016) waren nicht obligate mediale Weltereignisse, sondern Sternstunden der Musik. Man möchte dabei gewesen sein, wie sich Jansons studierend und probend mit dieser Musik auseinandersetzte, sie penibel zu verstehen suchte, um sie dann in die klingende Freiheit zu entlassen.
Die Salzburger Festspiele hatten das Glück und das Privileg, dass ihnen Mariss Jansons noch zwei Opernproduktionen schenken konnte, die nun zum prägenden Besitz der Festspielgeschichte gehören: „Lady Macbeth von Mzensk“(2017) und „Pique Dame“(2018). Auch hier zeigte sich, wie er seinen „Beruf“verstand: Er trug Verantwortung vom ersten bis zum letzten Moment, war mit allen Parametern der Aufführungen vertraut, weil er keine Probe als minder erachtete, alles von Anfang bis Ende mitgestaltete. Man spürte dieses Besondere, Einzigartige auch als Hörer.
Im unbedingten Ethos seines allem Äußerlichen abholden Musizierens und Dirigierens, in der Ehrlichkeit seines Wollens, Willens und Wirkens wird, nein: muss Mariss Jansons Vorbild bleiben. Wir verneigen uns ein letztes Mal vor einem großen Musiker und wunderbaren Menschen.
Sein ganzes Tun war den Menschen zugewandt