Die türkis-grünen Verhandlungen werden diese Woche Chefsache
Ex-Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle kennt sowohl Grüne als auch ÖVP von innen. Einer Koalition der beiden gibt er gute Chancen.
Nachdem die Chefverhandler über das Wochenende die Ergebnisse der Untergruppen gesichtet haben, wollen sie am Montag kundtun, wie es um die türkis-grünen Regierungsverhandlungen steht. Diese Woche geht es intensiv weiter: ÖVP-Chef Sebastian Kurz und
Grünen-Chef Werner Kogler haben sich die Tage für Termine freigeräumt. Offenbar sind das Kapitel Kultur und andere Themen bereits „durch“. Ex-Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle gibt einer türkis-grünen Koalition gute Chancen, wie er im SN-Interview sagt.
WIEN. Karlheinz Töchterle war in seiner Heimat Tirol lange Zeit bei den Grünen aktiv, ehe er für die ÖVP parteifreier Wissenschaftsminister (2011 bis 2013) und später Abgeordneter wurde. Er kennt also beide Parteien, die derzeit über eine Koalition verhandeln.
SN: Glauben Sie, dass die Koalitionsverhandlungen von ÖVP und Grünen letztlich erfolgreich sein werden? Töchterle: Ich glaube schon, dass das was wird. Denn erstens sind beide beinahe zum Erfolg verdammt, weil es ja kaum Alternativen gibt. Und zweitens ist es die stimmigste Koalition, die Regierung, die am besten in die heutige Zeit passt.
SN: Inwiefern? Als jemand, der seit 50 Jahren umweltbewusst lebt und das Klima zu schützen versucht, empfinde ich die gegenwärtige Klimadebatte als hysterisch. Aber der Klimaschutz ist nun einmal das Gebot der Stunde. Und da sind die Grünen, die das Thema vorantreiben, und die ÖVP, die mit Augenmaß darauf achtet, dass bei allem Klimaschutz die Wirtschaft nicht kaputtgeht, eine gute Kombination. Manche Schwarze sind am Umweltauge blind und manche Grüne sind am Wirtschaftsauge blind. Eine türkisgrüne Koalition sieht, so denke ich, mit beiden Augen.
SN: Österreich kann in den nächsten fünf Jahren die tollste Klimapolitik machen und auf alles Klimaschädliche verzichten, aber die weltweiten Klimadaten werden sich dadurch nicht ändern. Ist da nicht der Frust der Wähler programmiert? Wir Österreicher werden das Weltklima nicht retten, das ist schon klar. Aber wir können Maßnahmen ergreifen, die sowohl dem Klima als auch der Bevölkerung nützen. Etwa, indem man den wahnwitzigen Straßenverkehr in Tirol eindämmt. Oder etwas gegen den enormen Bodenverbrauch in Österreich tut. Damit wäre allen gedient – den Menschen und auch dem Klima.
SN: Das klingt jetzt so, als wäre eine türkis-grüne Koalition eine g’mahte Wiesn. Nein, beide müssen höllisch aufpassen, ihre Wählerklientel nicht zu verschrecken. Alle Wahlen haben zuletzt gezeigt: Die ÖVP zieht viele Stimmen von der FPÖ ab und die Grünen viele Stimmen von der SPÖ. Darin liegt natürlich eine Gefahr. Denn wenn Sebastian Kurz zu sehr auf die Grünen zugeht – etwa beim Tempo 100 –, wird er Wähler an die FPÖ verlieren. Und bei den Grünen ist es genauso. Das wird die Schwierigkeit dieser Koalition werden. Denn klarerweise wird es Kompromisse geben müssen.
SN: Wird ein Koalitionspakt mit all diesen Kompromissen die Gremien von ÖVP und Grünen problemlos passieren? Kurz hat die ÖVP so sehr hinter sich, dass er seine Entscheidungen sicher durchsetzen kann. Werner Kogler hat es schwerer, da die Grünen das aufmüpfigere Völkchen sind. Ich sehe in Kogler auch nicht den großen Retter der Grünen. Er ist sicher tüchtig und jetzt der Richtige, aber im Grunde haben die Grünen jetzt nicht viel mehr Stimmen als vor ihrer Krise 2017. Also ich glaube, es wird eher Kogler als Kurz in Schwierigkeiten kommen, wenn er zu viele Kompromisse eingeht.