Deutschlands SPD-Basis hat die Nase voll
In Österreich würde man sagen: Die Parteimitglieder zeigten ihrer Führung, wo der Bartel den Most holt. Die ist schockiert.
Saskia wer? Und „Nowabo“? Echt jetzt? Das neue Führungsduo der deutschen Sozialdemokratie? Nicht nur viele in der eigenen Partei reiben sich ungläubig die Augen. Doch es stimmt. Saskia Esken, eine dem linken Flügel angehörende Bundestagsabgeordnete, und Norbert Walter-Borjans, kurz: Nowabo, ein ehemaliger Finanzminister Nordrhein-Westfalens, wurden nach monatelangem Verfahren von der Parteibasis als nächste Vorsitzende gewählt. 53 Prozent wollten die Digitalspezialistin und den Steuerexperten an der Spitze sehen. Beide sind ausgesprochene Kritiker der Koalition mit CDU und CSU.
Nur 45 Prozent, darunter allerdings fast das gesamte Partei-Establishment samt Gewerkschaften, setzten auf Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, der mit Klara Geywitz ins Rennen gegangen war, einer Verfechterin des Bundes mit CDU/CSU.
Der Kater ist groß. Altkanzler Gerhard Schröder zeigte sich besorgt. Auch für die SPD-Ministerpräsidenten und die Bundestagsfraktion gilt die GroKo als Inkarnation der Staatsräson. Die Neuen müssen am kommenden Sonntag noch vom Parteitag bestätigt werden. Stürzt nun die ungeliebte GroKo? Beendet die regierungsmüde SPD-Basis die zunehmend anspruchsfreie Ära von Angela Merkel? Kippt Deutschland ins Chaos? Bange Fragen werden gestellt. Aber weder Deutschland noch die EU gehen unter, weil die SPD eine neue Spitze wählt. Auch wenn sie den fleischgewordenen Kompromiss heftig kritisiert, den die jetzige Parteiführung darstellt.
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans versicherten am Wochenende umgehend, die Koalition weder überstürzt noch im Alleingang zu verlassen. Der Parteitag solle den Kurs festlegen. Aber beide, so ihr Versprechen, wollen den Koalitionsvertrag nachbessern. Ob das die CDU will, ist die andere Frage.
Es geht um soziale Gerechtigkeit, um staatliche Investitionen in die Infrastruktur und, vor allem, um Klimaschutz. Esken forderte kurz nach ihrem Sieg einen deutlich höheren CO2-Preis. Statt der im Klimaschutzkompromiss vorgesehenen 10 Euro sollen es 40 Euro pro Tonne sein. Das liegt näher an dem, was Wissenschaft, Ökonomen und Fridays for Future fordern, aber weit weg vom Wirtschaftsflügel von CDU/CSU. Der aber dürfte den Neuen ziemlich egal sein. Wenn man vorneweg gleich alle Bedenken anderer möglicher Regierungspartner berücksichtige, „versteht keiner mehr, wofür die Sozialdemokratie steht“, sagte Walter-Borjans vor einigen Wochen. Näheres ab dem 2. Adventsonntag. Bleiben Sie dran.