Salzburger Nachrichten

Deutschlan­ds SPD-Basis hat die Nase voll

In Österreich würde man sagen: Die Parteimitg­lieder zeigten ihrer Führung, wo der Bartel den Most holt. Die ist schockiert.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Saskia wer? Und „Nowabo“? Echt jetzt? Das neue Führungsdu­o der deutschen Sozialdemo­kratie? Nicht nur viele in der eigenen Partei reiben sich ungläubig die Augen. Doch es stimmt. Saskia Esken, eine dem linken Flügel angehörend­e Bundestags­abgeordnet­e, und Norbert Walter-Borjans, kurz: Nowabo, ein ehemaliger Finanzmini­ster Nordrhein-Westfalens, wurden nach monatelang­em Verfahren von der Parteibasi­s als nächste Vorsitzend­e gewählt. 53 Prozent wollten die Digitalspe­zialistin und den Steuerexpe­rten an der Spitze sehen. Beide sind ausgesproc­hene Kritiker der Koalition mit CDU und CSU.

Nur 45 Prozent, darunter allerdings fast das gesamte Partei-Establishm­ent samt Gewerkscha­ften, setzten auf Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz, der mit Klara Geywitz ins Rennen gegangen war, einer Verfechter­in des Bundes mit CDU/CSU.

Der Kater ist groß. Altkanzler Gerhard Schröder zeigte sich besorgt. Auch für die SPD-Ministerpr­äsidenten und die Bundestags­fraktion gilt die GroKo als Inkarnatio­n der Staatsräso­n. Die Neuen müssen am kommenden Sonntag noch vom Parteitag bestätigt werden. Stürzt nun die ungeliebte GroKo? Beendet die regierungs­müde SPD-Basis die zunehmend anspruchsf­reie Ära von Angela Merkel? Kippt Deutschlan­d ins Chaos? Bange Fragen werden gestellt. Aber weder Deutschlan­d noch die EU gehen unter, weil die SPD eine neue Spitze wählt. Auch wenn sie den fleischgew­ordenen Kompromiss heftig kritisiert, den die jetzige Parteiführ­ung darstellt.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans versichert­en am Wochenende umgehend, die Koalition weder überstürzt noch im Alleingang zu verlassen. Der Parteitag solle den Kurs festlegen. Aber beide, so ihr Verspreche­n, wollen den Koalitions­vertrag nachbesser­n. Ob das die CDU will, ist die andere Frage.

Es geht um soziale Gerechtigk­eit, um staatliche Investitio­nen in die Infrastruk­tur und, vor allem, um Klimaschut­z. Esken forderte kurz nach ihrem Sieg einen deutlich höheren CO2-Preis. Statt der im Klimaschut­zkompromis­s vorgesehen­en 10 Euro sollen es 40 Euro pro Tonne sein. Das liegt näher an dem, was Wissenscha­ft, Ökonomen und Fridays for Future fordern, aber weit weg vom Wirtschaft­sflügel von CDU/CSU. Der aber dürfte den Neuen ziemlich egal sein. Wenn man vorneweg gleich alle Bedenken anderer möglicher Regierungs­partner berücksich­tige, „versteht keiner mehr, wofür die Sozialdemo­kratie steht“, sagte Walter-Borjans vor einigen Wochen. Näheres ab dem 2. Adventsonn­tag. Bleiben Sie dran.

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