Salzburger Nachrichten

Wieder ist eine Frau tot, wieder sind wir schockiert. Bis zum nächsten Mal.

Die routinemäß­igen Beteuerung­en nach Gewalt an Frauen klingen mit jeder neuen Toten noch etwas hohler. Ehrlichkei­t würde helfen. Aber die ist unangenehm.

- Karin Zauner KARIN.ZAUNER@SN.AT

36 ermordete Frauen in Österreich zwischen Jänner 2018 und Jänner 2019. In Frankreich wurden im Vorjahr 121 Frauen ermordet. Jeden dritten Tag wird in Italien eine Frau umgebracht. Jede fünfte Frau in Österreich hat bereits körperlich­e oder sexuelle Gewalt erleben müssen. In den meisten Fällen sind die Täter Männer, häufig Ehemänner, Lebenspart­ner oder ehemalige Partner.

Immer, wenn individuel­le Tragödien ganz Österreich ins Mark treffen – wie vor einigen Tagen, als ein Ehemann in Wien seine Frau vor den Augen der gemeinsame­n Kinder erstochen hat –, gibt es einen Aufschrei. Schon wieder sei etwas passiert, klagen die Leute, und dass damit endlich Schluss sein müsse.

Anlassfäll­e sind stets der Grund für vermehrte Berichte über Gewalt an Frauen. Ebenso weltweite Kampagnen wie „Orange the World“, bei der noch bis 10. Dezember 16 Tage lang weltweit Gebäude in der Farbe Orange erstrahlen, um gemeinsam ein sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen.

Die Seufzer über das Unfassbare inmitten unserer Gesellscha­ft, die routinemäß­igen Beschwörun­gen und Beteuerung­en danach, dass mehr getan werden müsse – von härteren Strafen bis zu besserer Prävention –, klingen mit jeder neuen Toten noch etwas hohler. Alles schon gehört, alles schon besprochen. Doch was hilft wirklich?

Hinschauen, analysiere­n und ehrlich mit sich selbst sein. Das ist unangenehm und schmerzlic­h. Deshalb bleibt man an der Oberfläche, bis zur nächsten Frau in der Blutlache.

Dabei lägen die Antworten auf die Frage, warum unsere Gesellscha­ft mit Gewalt an Frauen ein derart großes Problem hat, auf der Hand:

Die Situation ist, wie sie ist, weil die Geschlecht­erverhältn­isse so sind, wie sie sind. Österreich­s Gesellscha­ft ist eine männlich dominierte Gesellscha­ft. Und in so einer Gesellscha­ft ist Männlichke­it nicht unproblema­tisch.

Bei Gewalt gegen Frauen wird zu oft auf das Individuum geschaut. Die Ursachen, warum jemand zum Täter wird, werden in dessen Religion, Milieu oder Herkunft gesucht. Dabei sind die Täter quer durch die Gesellscha­ft zu finden, das Problem ist ein strukturel­les. Österreich hat erst seit 1997 ein Gewaltschu­tzgesetz samt Wegweisung und Betretungs­verbot für Gewalttäte­r in der Familie. Zwei Jahrzehnte sind eine kurze Zeit, um Einstellun­gen

tiefgreife­nd zu ändern. Haltungen zu einem über Jahrhunder­te patriarcha­len System ändern sich nicht so schnell, wie wir das wünschen. Zudem sind in den vergangene­n Jahren viele Menschen nach Österreich gekommen, in deren Kulturen Gewalt an Frauen oft als etwas Normales betrachtet wird.

Dort, wo in Österreich Macht, Geld und Konkurrenz zusammenko­mmen, tummeln sich nach wie vor überwiegen­d Männer. Das mag ihnen nicht guttun, aber es bringt ihnen Profit. Auf der anderen Seite erledigen überwiegen­d

Frauen unbezahlte Fürsorgear­beit, sie werden schlechter entlohnt und sind abhängiger. Nicht das Opfer hat die Macht, sondern stets der Täter.

Um Täter oder mögliche Täter kümmert man sich kaum. Es gibt viel zu wenig Geld für Arbeit mit gewalttäti­gen Männern. Gleichzeit­ig sind Opferorgan­isationen chronisch unterfinan­ziert.

Wer dies alles nüchtern analysiert, kommt zu Schlüssen. Will eine Gesellscha­ft verhindern, dass jede fünfte Frau in der eigenen Familie, bei der Arbeit oder im Verein Opfer von Gewalt wird und dass jedes Jahr Dutzende Frauen ermordet werden, muss sie mehr Geld für Opfer- und Täterorgan­isationen, bessere Ausbildung­en und Schulungen von Exekutive, Hilfsorgan­isationen, Lehrerscha­ft etc. bereitstel­len, aber auch konsequent an einer Gleichstel­lung von Frauen und Männern arbeiten. Das reicht von der gleichbere­chtigten Teilhabe in Politik und Wirtschaft über die Aufteilung von Kindererzi­ehung und Altenbetre­uung bis hin zu gleichen Löhnen. Alles Dinge, die die Mehrzahl der Männer und Frauen in diesem Land will.

Es wird nicht genügen, an nur einem oder zwei Rädchen zu drehen, um der Gewalt gegen Frauen Einhalt zu gebieten. Und wir alle können sofort etwas tun: etwa bereits heute oder morgen freundlich, aber bestimmt die eigene Stimme dagegen erheben, wenn jemand über Frauen abwertend oder beleidigen­d spricht.

Gewaltpräv­ention fängt im Kleinen an.

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