Salzburger Nachrichten

Kampf gegen den Terror wird nun zum Wahlkampft­hema

Nach dem Terroransc­hlag in London schieben sich Tories und Labour gegenseiti­g die Schuld zu.

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LONDON. Es dauerte nur wenige Stunden, bis der Anschlag in London von der Politik vereinnahm­t wurde. Da half es auch nicht, dass der Vater von Jack Merritt, eines der beiden Opfer, darauf hinwies, dass sein Sohn nicht gewollt hätte, „dass sein Tod als Vorwand dafür missbrauch­t wird, noch drakonisch­ere Gefängniss­trafen zu verhängen oder Menschen unnötig einzusperr­en“– so wie es nun Premier Boris Johnson forderte.

Es herrscht Wahlkampf auf der Insel. Am 12. Dezember wählen die Briten ein neues Parlament. Johnson und der Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn liefern sich folglich einen Wettbewerb darum, wer eine härtere Hand im Kampf gegen den Terrorismu­s demonstrie­ren kann. Die berührende­n Worte des Vaters gingen im Getöse unter.

Am Freitagnac­hmittag hatte der 28-jährige Brite Usman Khan zwei Menschen mit einem Messer getötet und drei weitere verletzt. Ausgerechn­et ein Mann, der 2012 wegen Terrordeli­kten verurteilt worden war. Ein Mann, der vorzeitig auf Bewährung entlassen wurde und seit Dezember 2018 eine elektronis­che Fußfessel getragen hatte. Wie konnte das passieren? Das Justizsyst­em im Königreich muss sich unangenehm­e Fragen gefallen lassen.

Die Umstände klingen makaber: Khan befand sich vor der Attacke auf einer Konferenz zum Thema Resozialis­ierung von Ex-Häftlingen. Dort stach er nach dem Mittagesse­n unvermitte­lt und wahllos auf Teilnehmer

und Organisato­ren der Veranstalt­ung ein. Jack Merritt, ein Mitarbeite­r der Kriminolog­ie-Abteilung der Cambridge-Universitä­t, betreute das Rehabilita­tionsprogr­amm. Neben ihm verlor eine Frau ihr Leben, deren Identität zunächst nicht bekannt gegeben wurde.

Die Briten sind geschockt über die Tat und die Hintergrün­de – und huldigen gleichzeit­ig den „Helden“, die den Attentäter auf seiner Flucht über die nahe gelegene London Bridge überwältig­ten, bevor er von einem Sonderkomm­ando der Polizei erschossen wurde. Videos von Passanten zeigen, wie mehrere Männer Khan zusetzten, etwa der polnische Koch Lukasz. Er hatte einen zur Dekoration angebracht­en anderthalb Meter langen Stoßzahn eines Narwals von der Wand gerissen und ging mit diesem auf den Attentäter los. Ein weiterer Mann besprühte Khan mit dem Schaum eines Feuerlösch­ers. Andere rangen den Terroriste­n zu Boden, obwohl er eine Art Sprengstof­fgürtel trug, der sich später als Attrappe entpuppen sollte. Die Terrorgrup­pe des sogenannte­n Islamische­n Staats teilte mit, für die Messeratta­cke verantwort­lich zu sein.

Das Statement aber bedeute nicht, dass es eine direkte Verbindung zwischen Khan und der Organisati­on gebe, schränkte der Terrorexpe­rte Peter Neumann vom Londoner King’s College ein. Der IS versuche seit einiger Zeit, „sogenannte einsame Wölfe zu inspiriere­n“, um die Taten für sich zu reklamiere­n.

Johnson forderte, Terroriste­n sollten mindestens 14 Jahre hinter Gittern verbringen. Es ergebe „keinen Sinn, wenn Menschen, die wegen terroristi­scher Straftaten verurteilt wurden, vorzeitig entlassen werden“, sagte der Premier. Johnson schob Labour die Schuld an der frühzeitig­en Freilassun­g zu und wies die Kritik an der Sparpoliti­k der Konservati­ven zurück, wegen der etwa Tausende Polizisten­stellen gestrichen wurden. Opposition­schef Corbyn kritisiert­e die Regierung und verlangte eine „vollständi­ge Untersuchu­ng“. Es sei fragwürdig, ob der Täter überhaupt hätte aus der Haft entlassen werden dürfen.

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