Iraker fordern politischen Neustart
Der Rücktritt von Premierminister Adel Abdel Mahdi reicht der Protestbewegung nicht aus. Die Demonstranten wollen eine starke Führungsperson – und zwar „eine wie Saddam Hussein“.
BAGDAD. Die Party auf dem Bagdader al Tahrir-Platz dauerte länger als erwartet. Die Feiernden bejubelten den Rücktritt von Premierminister Adel Abdel Mahdi. Doch bereits 24 Stunden später herrschte in der irakischen Hauptstadt wieder Katzenjammer.
Der Rücktritt des Premiers sei „nur ein Tropfen in einem Ozean von Forderungen“gewesen, erklärte die Studentin Dania „im Namen der Protestbewegung“einer Gruppe arabischer Fernsehjournalisten. Nach dem Ministerpräsidenten müssten auch seine Minister und die Parlamentsabgeordneten ihre Stühle räumen. Das Land brauche eine neue Verfassung, ein neues
Wahlgesetz, dem ein Urnengang unter internationaler Aufsicht folgen müsse.
Wie im Libanon verlangt auch die Protestbewegung im Irak eine politische Neuordnung des Landes. Die seit 2003 herrschende korrupte Politikerkaste müsse komplett abtreten. Anstelle des nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahre 2003 eingeführten parlamentarischen Regierungssystems wird eine Rückkehr zum Präsidialsystem verlangt. Was das Land jetzt brauche, sei eine starke Führungsperson, „einen wie Saddam Hussein“. Unter seiner Herrschaft sei es dem Irak besser gegangen, behaupten einige der Demonstranten in Fernsehinterviews. Vermutlich waren es ihre Eltern, die ihnen diese Mär ins Ohr gesetzt haben. Denn als Saddam Hussein vor 16 Jahren von den Amerikanern gestürzt wurde, waren die meisten irakischen Demonstranten blutjung oder gar nicht geboren. Sie konnten sich von der Gewaltherrschaft des Diktators kein Bild machen.
Dass Saddam Hussein dennoch als ein „Alternativmodell“genannt wird, zeigt, wie verzweifelt die irakische Protestbewegung ist. Bis es, falls überhaupt, zu einer politischen Neuordnung kommt, werden Jahre vergehen. Wie im Libanon und im Iran denken auch die Herrschenden im Irak nicht ans Abtreten. Ebenso ist es undenkbar, dass der in die Kritik geratene Iran freiwillig das Feld räumen wird.
In Zeiten der Bedrängnis werden die Herrschenden versuchen, mit
Versprechen, Absichtserklärungen und falschen Kompromissen der Protestbewegung entgegenzukommen, ohne die eigenen Privilegien wirklich anzutasten. Diese Hinhaltetaktik hat die Protestbewegung längst durchschaut. Sie will deshalb so lang auf der Straße bleiben, bis sie ihre Ziele erreicht hat. Den Demonstranten fehlt allerdings eine Galionsfigur.
Wie langwierig die Suche nach einem neuen irakischen Premierminister werden wird, deutete sich bereits am Sonntag an. Nachdem das Parlament das Rücktrittsgesuch von Ministerpräsident Mahdi angenommen hatte, wurde Staatspräsident Barham Salih gebeten, einen Nachfolger zu bestimmen.
Die Ernennung erfolgt in Absprache mit der größten Parlamentsfraktion, dem Sairun-Block. Nach der Verfassung hat der neue Premierminister dann 30 Tage Zeit, um eine Regierung zu bilden, welche vom Parlament mit absoluter Mehrheit bestätigt werden muss. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich die zerstrittenen irakischen Politiker an das vorgegebene Zeitfenster halten werden. Wie vor der Vereidigung von Mahdi im Oktober letzten Jahres könnte sich das Gerangel um die Macht über Monate hinziehen. So lang will die irakische Protestbewegung nicht warten.