Eine Stimme für jene, die die Politik nicht hört
Sind französische Politiker von Jacques Chirac bis zu Emmanuel Macron tatsächlich schuld daran, dass es dem Vater des Autors nach dessen Arbeitsunfall immer schlechter geht? Auf diese Behauptung spitzt Édouard Louis seinen Text „Wer hat meinen Vater umgebracht“zu. Der Franzose hat mit seiner Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen in seiner Heimat den Nerv der Zeit getroffen: Eine Bühnenversion wird seit Kurzem in Wien am Volkstheater gespielt und hat in diesem Jahr auch noch in München Premiere. Im Schauspielhaus Salzburg wird diese Anklage mit dem Monolog „Der Vater“von Stéphanie Chaillou kombiniert.
In beiden Texten geht es ums Scheitern, um Menschen aus einfachen Verhältnissen, deren Leben aus dem Lot gerät. Chaillou stellt einen Bauern ins Zentrum, der mit 30 Jahren auch wegen der Agrarpolitik der EU in Konkurs gegangen ist und nicht nur über seine Armut, sondern auch über die Niedertracht seiner Umwelt räsoniert.
Der Vater von Édouard Louis ist ungelernter Arbeiter, mit 37 brach er sich bei einem Unfall in der Fabrik die Wirbelsäule. Den verschiedenen Restriktionen der Politik von der Weigerung, weiterhin die Medikamente zu bezahlen, bis zum Zwang, trotz der Verletzung wieder arbeiten gehen zu müssen, stellt der Autor Erinnerungen an die Kindheit gegenüber. Und er unterfüttert sie mit philosophischen und soziologischen Überlegungen.
Der Text von Louis würde also höchste Konzentration des Publikums erfordern. Doch die Regie von Gerhard Willert macht das Zuhören schwer: Der Text – gelesen von Bastian Dulisch – kommt aus dem Off, in einem Höllentempo prasseln die Sätze daher, gelegentlich kaum sinnstiftend betont, gegen die Sprechmelodie geschnitten, zusätzlich von Musik von Wolfgang Dorninger akzentuiert. Auf der Bühne – Theo Helm als sprachloser Spieler der Aufführung: Er zeigt die Hinfälligkeit dieses Vaters, der kaum gerade sitzen kann, sich nur schlurfend oder stolpernd bewegt, manche Episoden lassen ihn zustimmend nicken oder kaum merklich lächeln, eine Konzeption, die die gut 60-minütige Aufführung quälend lang macht.
Der zweite Teil des Abends, „Der Vater“von Stéphanie Chaillou, ist Monolog im klassischen Sinn: Helm, nun weniger Spieler als Sprecher, hat nur seine Stimme als Mittel der Gestaltung: Denn die Bühne bietet nur ein zierliches Sitzmöbel, wie ausgebaut aus einem Traktor, und eine Projektion im Hintergrund: grüne Halme, die sich erst zurückziehen, dann wieder zu wachsen beginnen, als der Bauer wieder Licht am Horizont sieht.
Diese Bühne, ein Deltoid, das mit der langen Spitze in den Publikumsbereich ragt, verbindet die beiden Teile des Abends. Und auch eine gewisse Haltung der zentralen Figuren: Sie zeigen sich zu Beginn wie der berühmte vitruvianische Mensch von da Vinci: eine Figur, deren Füße und Hände von einem Kreis umgeben sind. Der Körper mag weiterhin idealtypisch erscheinen, doch was die Politik mit den Ärmsten von ihnen macht, läuft den Vorstellungen von Menschenwürde zuwider.