Zwei Unbekannte führen die SPD
Saskia Esken und Norbert WalterBorjans waren auch in Deutschland nur wenigen bekannt. Nun soll das Spitzenduo die SPD aus der Krise holen.
HELMUT UWER
„Ich bin völlig baff“, kommentierte FDP-Chef Christian Lindner als einer der Ersten das überraschende Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids über die künftige Parteiführung. In einem sechs Monate dauernden Prozess nach dem überraschenden Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles im Juni haben sich die deutschen Sozialdemokraten für einen deutlicheren Linkskurs entschieden, was ihnen prompt Glückwünsche von Grünen und Linkspartei einbrachte.
Mit 53 Prozent setzte sich das Duo aus der Bundestags-Hinterbänklerin Saskia Esken und dem früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert WalterBorjans gegen das Duo aus Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz und der Brandenburgerin Klara Geywitz durch (45%). Die Wahlbeteiligung lag bei rund 54 Prozent. Das Duo muss nun auf dem Parteitag am Freitag in Berlin ordentlich gewählt werden.
Mit dieser Entscheidung rutscht die SPD nach links und das Ende der Großen Koalition ist ein gutes Stück näher gerückt. „Nikolaus ist GroKoAus“, mit diesem Spruch machen die Anhänger von Esken und Walter-Borjans seit Wochen Stimmung gegen die Koalition. Verloren haben die GroKo-Befürworter Scholz und Geywitz. Für Vizekanzler Scholz bedeutet das eine herbe Niederlage. Er will dennoch weitermachen.
Auf der neuen Führung lastet ein enormer Druck. Mit ihrer Kritik an der GroKo haben Esken und WalterBorjans viele Erwartungen geweckt, die sie nun erfüllen müssen. Zwar haben sie inzwischen relativiert, sie wollten die GroKo „nicht fluchtartig“verlassen. Allerdings fordern sie Nachbesserungen und wollen den Koalitionsvertrag nachverhandeln. Das Klimapaket soll wieder aufgeschnürt und der Mindestlohn von 9,19 auf zwölf Euro angehoben werden. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat diese Forderungen aber abgelehnt. Ihre erste Bewährungsprobe haben Esken und Walter-Borjans auf dem Parteitag am Freitag. Dann müssen sie die Richtung vorgeben. Da die Jusos und die Parteilinke Aufwind
haben, sind Anträge zum sofortigen Ausstieg aus der GroKo zu erwarten. Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, als würde sich das für die SPD rechnen. Denn in den Umfragen liegt sie bei 13 bis 15 Prozent. Das würde das Aus für ein Drittel ihrer Bundestagsabgeordneten bedeuten. Und in der Opposition könnte sie keinen einzigen ihrer Programmpunkte umsetzen.
Auch ist es nicht sicher, dass es zu Neuwahlen käme. Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte sowohl eine Minderheitsregierung versuchen als auch erneut Grünen und FDP eine Koalition anbieten. Da die Grünen in den Umfragen derzeit hervorragend dastehen, gilt Jamaika als wenig wahrscheinlich. Laut Umfragen würde es bei einer Neuwahl für Schwarz-Grün reichen, nicht aber für Rot-Rot-Grün. Auf die SPD käme zudem das Problem der
Kanzlerkandidatur zu. Sollte man angesichts der Umfragen gar keinen Kandidaten nominieren, wie Walter-Borjans vorgeschlagen hat? Andererseits würde sich Esken das durchaus zutrauen.
Dass mit dem Ausgang des Mitgliederentscheids das Problem der SPD nicht gelöst sein würde, war schon vorher klar. Der kurzzeitige SPD-Chef und ehemalige EU-Kommissionspräsident Martin Schulz erklärt das mit der Drei-Botschaften-These. Die SPD sende immer drei Botschaften aus. Als Erstes komme ein Parteitagsbeschluss, der prompt von einem Drittel als nicht weitgehend genug kritisiert werde. Darauf reagiere ein weiteres Drittel mit der Kritik, das gehe viel zu weit. Und das führe nicht nur zu innerem Unfrieden. So könne man auch niemanden überzeugen und erst recht keine Wahl gewinnen.
„Die neue Führung hat meine Unterstützung.“
Olaf Scholz, Vizekanzler und unterlegener Kandidat